Einmal psychisch krank, immer psychisch krank, für sich selber und in der Art und Weise, wie das soziale Umfeld damit umgeht. Eine Erkrankung wird zum Stigma, unauslöschlich mit einem verbunden. Ob es wirklich so ist und welche Erfahrungen Menschen mit der Diagnose „psychisch krank“ machen, war nun Thema der dritten Runde der Trialogischen Gesprächsreihe in Günzburg.
Rund 20 Personen, psychisch kranke Menschen, Angehörige, die Berater des Sozialpsychiatrischen Dienstes der Caritas wie auch Ärzte des Bezirkskrankenhauses Günzburg tauschten sich miteinander aus. Was heißt dem Wort nach psychische Erkrankung? Sollte man nicht lieber von einer Störung sprechen, die man mindern könne? Oder soll man bei dem Wort „krank“ bleiben, das doch die Möglichkeit einer Heilung beinhalte? Erstaunlich war, wie offen und aufrichtig selbst Betroffene ohne jegliche Scham sich dazu äußerten. „Störung? Nein. Das lehne ich für mich ab“, sagte einer von ihnen. „Ich bin für manche vielleicht störend, aber gestört bin ich nicht. Ich habe eine Erkrankung, mehr nicht. Sicher ist, dass sich Gesunde an psychisch Kranken stören, oft genug stören sich aber auch psychisch Kranke an Gesunden.“
Das Umfeld, so ein Arzt vom Bezirkskrankenhaus in Günzburg, trage eine wesentliche Schuld an der Stigmatisierung. ‚Der sei gestört, der sei psychisch krank und nicht mehr belastbar, mit dem könne man nichts mehr so richtig anfangen, der spinne, der ticke merkwürdig.‘ Viele dieser Sätze bzw. Urteile seien zu hören, bevor man sich mit dem Menschen auseinandersetze und ihn frage, was er denn habe. Mitschuld sei aber auch die medizinische Versorgung selbst, warf eine Kollegin des Arztes ein. „Ist denn nicht so, dass wir Menschen mit psychischen Erkrankungen mit Medikamenten in unserem Krankenhaus versorgen, die dazu führen, dass sie in wenigen Wochen 20 bis 30 kg zunehmen und dass dann jeder sieht, dass sie psychisch krank sind?“, merkte sie an.
Aufklärung über das Phänomen der psychischen Erkrankung mit ihren vielen Facetten war für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein ganz wichtiges Anliegen. Es komme nämlich stark auf die Umwelt an und wie ein psychisch erkrankter Mensch sich in ihr bewegen kann. Umso wichtiger sei es, dass psychisch erkrankte Menschen, die ihre Erkrankung unter Kontrolle haben und sehr gut mit ihr umgehen können, Nicht-Betroffene davon erzählen. „Damit habe ich nur gute Erfahrungen gemacht und bin auf ein großes Verständnis gestoßen“, berichtete ein Teilnehmer. „Man hat auch Verantwortung für sich selbst“, unterstrich Simone Hiller, Mitarbeiterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes der Caritas in Günzburg.
Doch nicht nur Unverständnis der Umwelt ist ein Problem. Psychisch kranke Menschen leiden selbst darunter, wenn sie spüren, dass sie anderen zur Last fallen. Das besonders, wenn es die eigenen Eltern und Geschwister sind. Eine erkrankte Frau sagte zu ihrer anwesenden Mutter: „Das tut mir wahnsinnig leid, dass ihr so viel Rücksicht auf mich nehmen musstet und euch so viele Schwierigkeiten bereite.“ Die Mutter akzeptierte diese Aussage so nicht. „Aber Deine Geschwister haben uns doch auch Probleme bereitet. Die waren auch nicht immer so einfach. Und vergiss nicht, wie viele Freuden Du uns auch bereitest.“
Damit sprach sie Prof. Dr. med. Thomas Becker, dem Chefarzt des Bezirkskrankenhauses in Günzburg aus dem Herzen. „Jeder Mensch ist immer mehr und größer als seine Diagnose. Jeder Mensch hat auch Stärken und Ressourcen.“
INFO
Die Reihe „Trialogische Gespräche“ wird fortgesetzt am 7. Juli 2016. In der letzten Gesprächsrunde steht die „Sozialpsychiatrische Versorgung“ als Thema an. Das Gespräch findet von 18 Uhr bis 19.30 Uhr in den Räumen des Sozialpsychiatrischen Dienstes, Günzburg, Zankersraße 1a, statt.
Menschen, die an einem Beratungsgespräch Interesse haben, können unter der Telefonnummer 08221-32150 einen Termin vereinbaren.