"Wo bleiben die denn?" fragt sich Kirsten Kremer (55), die Leiterin der Schwangerschaftsberatungsstelle des Sozialdienstes Katholischer Frauen und Männer (SKFM) in Gelsenkirchen. Gemeinsam mit einer Kollegin und einer Ehrenamtlichen steht sie am Haupteingang der Gruga in Essen und wartet auf eine 50 köpfige Gruppe von Frauen und Kindern. Heute ist der Ausflug des "Café ohne Grenzen". Einer von bereits mehreren Aktionen, die das vierköpfige Team der Schwangerschaftsberatungsstelle in Gelsenkirchen gemeinsam mit ihren vier bis sechs ehrenamtlichen Familienlotsinnen für die Frauen organisiert. Frauen die zum größten Teil aus Syrien kommen, aber auch aus Ländern wie Eritrea, Albanien, Irak, Sudan und Marokko.
Impressionen vom Ausflug des Café ohne Grenzen Caritas / Christoph Grätz
Dann kommen die ersten die elend lange Rolltreppe hoch. "Wir haben den Aufzug nicht gleich gefunden." Es dauert einfach alles etwas länger bei einer Gruppe von 18 jungen zum Teil schwangeren Frauen und 30 Kindern, davon 12 im Kleinkindalter. Und das bei 30 Grad. Trotzdem sind alle bester Laune und freuen sich auf den Besuch in der Gruga. Die älteren Kinder, die wegen der Schulferien dabei sind, würden am liebsten schwimmen gehen. "Dies ist aber aufgrund der Gruppengröße und Verantwortung nicht möglich", erklärt Kirsten Kremer, die seit 30 Jahren beim SKFM Gelsenkirchen arbeitet. So bleibt es für die Kids beim Planschen auf dem Wasserspielplatz. Was dem Spaß aber nicht abträglich ist.
Die Frauen werden selbstbewusster
Jeden zweiten und vierten Donnerstag im Monat treffen sich die Frauen von 9 bis 12 Uhr im Café ohne Grenzen in den Räumen der Gemeinde Heilige Familie in Gelsenkirchen Bulmke-Hüllen, dies in enger Kooperation mit dem angrenzenden Familienzentrum. Das Projekt für schwangere Frauen oder Mütter mit bis zu drei jährigen Kindern wird mit 5.100 Euro aus dem Flüchtlingshilfefonds des Bistums Essen gefördert. Der Ausflug heute, wird über eine Spende der Bundeszentrale des Sozialdienstes katholischer Frauen e.V. (SKF) ermöglicht. Die Gäste des Cafés haben die unterschiedlichsten Berufe, unter ihnen eine Islamwissenschaftlerin, eine Tierärztin, Lehrerinnen und Frauen, die in Familienbetrieben gearbeitet haben.
Sozialarbeiterin Kirsten Kremer vom SKFM Gelsenkirchen, seit 30 Jahren nah an den Menschen Caritas / Christoph Grätz
"Wir haben in der Beratung einen deutlichen Bedarf an Austausch bei den geflüchteten Schwangeren gesehen und 2016 das Projekt ins Leben gerufen", sagt Kirsten Kremer. "Die Frauen bewegen sich in ihrem kleinen Kosmos zwischen Arztbesuchen, Schule, Kita und Einkaufen; die Männer haben zum Beispiel über Sprachkurse weit mehr Kontakte außerhalb der Familie. Für die Frauen ist in dieser Situation vor allem der Spracherwerb ein Problem. Sie können keinen Sprachkurs besuchen und sind deshalb schneller isoliert. Ihnen bleibt das einsame Lernen über Youtube und KiKa. Was wir anbieten sind kleine ganz lebenspraktische Sprachübungen mit Rollenspielen, beim Arzt oder im Bürgeramt. Das ersetzt nicht einen Sprachkurs, aber es ist ein Anfang." Die Frauen würden spürbar selbständiger und damit auch selbstbewusster. Zumal hier auch über Themen wie Frauenrechte und Stellung der Frau in Deutschland gesprochen wird und über die Situationen in den Herkunftsländern der Frauen.
Viele Fragen zum Leben in Deutschland
Besucherinnen des Café ohne Grenzen beim Gruga-Ausflug Caritas / Christoph Grätz
"Am Anfang haben einzelne Männer ihre Frauen begleitet, mussten aber an der Türe Tschüss sagen", erklärt Kremer. "Wir haben einfach eine andere Gesprächsatmosphäre ohne Partner, so können die Frauen auch ihre Themen besprechen, wenn auch zum Teil mit Hilfe unserer Sprachmittlerin, ansonsten wird hier darauf geachtet, dass Deutsch gesprochen wird. Die Idee einen gemeinsamen Grillabend mit Männern und Kindern zu veranstalten, haben die Frauen mehrheitlich abgelehnt. "Das ist unser Raum", sagen sie. Was sie sich wünschten, wäre ein Frauentag mit Wellness, Essen gehen und tanzen.
Inzwischen sind Im Café auch Freundschaften entstanden. Die Frauen haben eine eigene WhatsApp Gruppe gebildet. "Für viele, weiß Kremer, sind wir der wichtigste Kontakt zu Deutschen." Wie für Fatima Edris (29) und Nesrin Atek (38). Die beiden Syrerinnen sind heute beim Ausflug in der Gruga dabei, obwohl ihre Kinders schon deutlich älter sind als die der meisten anderen Frauen. Nesrin aus Damaskus sagt: Ich wollte von Anfang an Kontakt zu den Deutschen. Ich will alles verstehen, wenn ich beim Arzt in der Schule oder in der Kita bin. Das Café hat mir geholfen hier anzukommen, aber ich wünsche mir noch mehr Kontakte", sagt die alleinerziehende Mutter zweier Kinder von 6 und 10 Jahren, die inzwischen seit zweieinhalb Jahren in Deutschland ist und seit einem halben Jahr das Café besucht.
Freundinnen: Fatima und Nesrin Caritas / Christoph Grätz
Ihre Freundin Fatima ergänzt: Wir bekommen hier wichtige Informationen zum Leben in Deutschland, zu den Regeln und zum System, zum Beispiel worauf wir beim Schulbesuch der Kinder achten sollen, oder wie das Gesundheitssystem funktioniert. Die 29-jährige, die seit März 2017 mit Mann und zwei Kindern in Deutschland ist, möchte eine Ausbildung zur Friseurin machen. Sie hat vor ihrer Flucht in Aleppo in einem Salon gearbeitet und sagt: "Ich habe viel Erfahrung als Friseurin, aber kein Zertifikat." Ein großes Problem in Deutschland. Sie berichtet, dass sie bei einem Salon in Gelsenkirchen nach einer Ausbildung oder einem Praktikumsplatz gefragt hat. Als Kopftuchträgerin habe man ihr direkt gesagt, "das geht nicht."
Fatima und Nesrin haben sich im Deutschkurs kennengelernt und sind inzwischen regelmäßige Besucherinnen des Cafés. Es gibt immer noch viele Dinge in Deutschland, die sie verwundern. "Wir verstehen nicht, warum es hier kein soziales Leben gibt", sagt Nesrin. "Bei uns in Syrien gibt es keine Altenheime, die Familien bleiben zusammen. Es ist doch traurig, wenn man alt ist und die Kinder einen verlassen." Sie wünscht sich nach dem Abschluss des B2 Sprachkurses in einem Bekleidungsgeschäft zu arbeiten. Viele Fragen und Probleme beim Ankommen und der Integration in Deutschland.
Starthilfen bei der Integration
"Wir können den Frauen natürlich nur Starthilfen geben", sagt Kirsten Kremer. "Wir informieren über das Leben in Gelsenkirchen und geben praktische Infos: Wo finde ich was? Ämter, Beratung und Freizeitangebote." So lädt das Café regelmäßig Gäste ein wie Familienhebammen oder eine Kinderärztin, bei der die Frauen ihre Fragen zum Baby loswerden können. Exkursionen im Nahbereich, wie etwa zur Stadtbibliothek in Gelsenkirchen oder zum städtischen Familienbüro zeigen, welche kostenlosen Angebote die Familien nutzen können. "Bei Problemen mit Behörden, in der Familie oder Partnerschaft wissen die Frauen, wir sind da. Wir beraten, zeigen mögliche Wege auf und helfen, Rechte durchzusetzen." Die zwanglose Frühstücksatmosphäre helfe auch kritische Themen anzusprechen: So berichten die Frauen auch gelegentlich von Anfeindungen und Unfreundlichkeit.
Der Nachmittag in der Gruga geht zu Ende. Geschafft und glücklich fahren die Frauen mit ihren Kindern und Begleiterinnen mit der Gruga-Bimmelbahn zurück zum Ausgang. Laut singend und immer noch bester Laune. (ChG)
Rückfragen beantwortet Kirsten Kremer, Telefon: 0209 16587743 mail: k.kremer@skfm-ge.de