Ob „Leichte Sprache“ oder einfache oder die normale Alltagssprache hat demnach automatisch etwas damit zu tun, ob und wie gut Menschen mit entsprechenden Einschränkungen am Alltags- und am Arbeitsleben teilhaben können.
Damit dies immer besser gelingt, dafür traf sich das Netzwerk Leichte Sprache jetzt in Augsburg. Verena Bentele, die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, machte in ihrem Grußwort viel Hoffnung und stärkte das Netzwerk in seinem Bemühen. „Die Leichte Sprache ist ganz wichtig und notwendig, damit Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt leben, für sich selbst entscheiden und für ihre eigenen Rechte eintreten können.“
Rund 100 Büros, Organisationen und einzelne Personen gehören dem Verein Netzwerk Leichte Sprache an. Er besteht seit 2013 und war in Augsburg gegründet worden. Es ist ein inklusiver Verein, weil Menschen ohne und mit Behinderungen gleichberechtigt im Verein vertreten sind und weil Menschen ohne Behinderungen Texte in Leichte Sprache übersetzen und Menschen mit Lernschwierigkeiten diese Übersetzungen prüfen. Zudem wird keine Entscheidung ohne die andere Seite getroffen. Das Ziel des Vereins ist es, für Menschen, die Schwierigkeiten mit Texten der komplexen Normalsprache haben, die sprachlichen Verständnisbarrieren abzubauen. „Wer Sprache versteht, dem eröffnen sich viele neue Zugänge und damit mehr Teilhabe im Alltag“, erklärte Christine Borucker, Leiterin des Fach-Zentrum Leichte Sprache der CAB Caritas Augsburg Betriebsträger gGmbH.
Die Beauftragte der Bundesregierung Bentele ist offensichtlich ein Fan der Leichten Sprache. Ihre Überzeugung: Kein Mensch darf benachteiligt werden, auch nicht wegen seiner Behinderung. Sie wies deshalb mit Stolz auf die gesetzliche Bestimmung hin, wonach ab 2018 alle Bundesbehörden alle Papiere und Erläuterungen in Leichter Sprache anbieten können müssen. „Ich kann nur jedermann einladen, die Formblätter in Leichter Sprache anzufordern. Je mehr dies geschieht, umso stärker wird die Bewusstseinsbildung sein“, so Bentele. Sie würde sich auch wünschen, dass künftig nicht nur Behörden, sondern auch die privatwirtschaftlichen Unternehmen dazu verpflichtet würden, die Leichte Sprache anzuwenden. Auch die Pharmaindustrie sollte dies tun müssen. Die Beipackzettel seien ja schon für den nichtbehinderten Nutzer oftmals nicht verständlich. Gabi Zehe, Prüferin der Leichten Sprache und Vorstandsmitglied des Netzwerkes, warb nachdrücklich dafür. „Hätte ich den Text verstanden, hätte man mir nicht den Magen auspumpen müssen.“
Bentele ging aber noch weiter. Bislang dürfen Menschen, die für alle Lebensbelange eine Betreuung haben, nicht wählen. Wenn die Leichte Sprache die Voraussetzung dafür schaffe, dass Betroffene für sich selbst entscheiden und damit auch für ihre Rechte eintreten können, müsste das Wahlrecht sich für diese Gruppe öffnen. „Damit würden sich Folgewirkungen auch für die Politik ergeben“, machte Bentele klar. Parteien müssten ihre Programme in Leichter Sprache veröffentlichen. „Das heißt, dass sie sich in der Sprache auf das Wesentliche konzentrieren und damit auch klarer sagen müssen, was sie wirklich wollen.“ So könnte die Leichte Sprache immer mehr Raum in der Gesellschaft gewinnen. Damit dies Wirklichkeit wird, setzt sie sich dafür ein, dass die Tätigkeit eines Prüfers als Berufsausbildung anerkannt wird und dadurch Menschen mit Lernschwierigkeiten einen nachhaltigen und dauerhaften Arbeitsplatz auch bei Behörden oder in der freien Wirtschaft erhalten.
Dass die Leichte Sprache nicht nur ein Ideal von Idealisten ist, sondern ganz konkrete Auswirkungen für betroffene Menschen hat, das machte schließlich Stephanie Schuchmann aus Osnabrück deutlich. Sie ist aufgrund ihrer schweren Behinderung an den Rollstuhl gebunden. Wegen ihrer spastischen Lähmung ist nicht in der Lage zu sprechen. Bis 2011 konnte sie in einer Reha-Firma mitwirken, in der auch ihr Vater beschäftigt war. Sie kommunizierte nur mit den Augen, beobachtete schließlich auch wie Rollstühle gebaut würden. „Mein Kopf war voll von Gedanken und Ideen, ich konnte sie aber nicht ausdrücken.“ Mit über 20 Jahren lernte sie die Leichte Sprache kennen. Buchstabe für Buchstabe prägte sie sich ein. Mit Hilfe eines augengesteuerten Computersprachausgabegerätes kann sie nun ihre Gedanken zum Ausdruck bringen. Dank der Leichten Sprache lernte sie auch lesen, „und so kann ich fortan selbst prüfen, ob ich eine Behandlung will oder nicht.“ Auch betonte sie: „Die Leichte Sprache hilft mir mich verständlich auszudrücken.“ Sie wurde sogar so gut darin, dass sie einen Arbeitsplatz in einem Büro für Leichte Sprache erhielt und dort Texte prüft. Zudem ist sie Mitglied des Vorstandes des Netzwerkes. Ihren Vortrag hielt sie – übrigens nicht ohne Witz und Humor – mithilfe ihres Sprachausgabegerätes.
Wissenschaftliche Bedeutung gewinnt die Leichte Sprache durch ein Forschungsprojekt an der Universität Leipzig. Dort hat man unter dem Titel „LEISA – Leichte Sprache im Arbeitsleben“ begonnen, zusammen mit Menschen mit Lernschwierigkeiten das Projekt zu entwickeln. Bislang wurden eine Online-Befragung und Arbeitsplatzbeobachtungen durchgeführt. Zudem habe man sich Texte zuschicken lassen. „Hier fehlt es noch an Wissen, was Leichte Sprache ist, und manchmal übertreibt man es mit den Regeln“, so Anja Seidel von der Universität Leipzig. Das dürfe aber nicht sein, wie alle Vorstandsmitglieder und Bentele betonten. Die Leichte Sprache muss komplizierte Begriff oder alltägliche Fachbegriffe auch aus der englischen Sprache erklären, „sie darf sich aber nicht von der Alltagssprache inhaltlich abkoppeln.“