Was kann das für einen Jugendlichen mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) bedeuten, der ausgerechnet Veränderung und Chaos am wenigsten erträgt? Wie können junge Leute mit ASS auf dem Weg zum Erwachsenwerden unterstützt und begleitet werden? Dazu sprach Prof. Dr. Michele Noterdaeme, Chefärztin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am Josefinum, vor Fachleuten und Interessierten im Haus des Caritasverbands für die Diözese Augsburg. Zu diesem Fachvortrag eingeladen hatte das Kompetenzzentrum Autismus Schwaben-Nord des Caritasverbands der Diözese Augsburg.
Ob mit oder ohne ASS - was in jenen 10 bis 15 Jahren beim Erwachsenwerden geschieht, verläuft
zunächst einmal bei allen ähnlich. Die jungen Leute lösen sich von den Eltern und suchen soziale Kontakte unter Gleichaltrigen. Sie fragen nach ihrer eigenen Identität, auch nach ihrer geschlechtlichen und sozialen Rolle. Sie erleben an sich körperlichen Veränderungen, fangen an zu reflektieren, lernen auch, sich selbst emotional in Griff zu bekommen. Bei alledem können, so Michele Noterdaeme, für Jugendliche mit ASS "Fallstricke" liegen. Veränderungen, das Aufbrechen von vertrauten Ordnungen, machen diesen jungen Leuten zunächst einmal Angst. Wenn sie den Kontakt zu Gleichaltrigen suchen, sprechen sie oft nicht deren Sprache, werden missverstanden und geärgert - und schlagen dann womöglich zu, weil sie sich nicht anders zu helfen wissen. Oder sie sie ziehen sich zurück, weil sie sich nicht mehr aus dem Haus trauen. "Das kann zu Depression oder sozialen Ängsten führen", wies Noterdaeme hin. Die Professorin brachte aus ihrer Berufspraxis einige Fallbeispiele mit, Beispiele, die auch deutlich machten, dass bei jedem dieser jungen Leute die Pubertät mit ihren Begleiterscheinungen durchaus ganz anders verlaufen kann und dass es dafür auch "sehr individueller Lösungen" bedarf.
Jugendliche mit ASS brauchen, so Noterdaeme, vor allem "kleine Schritte". Sie hob hervor, wie wichtig es sei, einen Jugendlichen mit ASS nicht zu überfordern. Es helfe, ihn schon in der Kindheit "mit dem vertraut zu machen, was er an Kompetenzen hat", damit er seine eigene Identität entwickeln kann. Am Beispiel eines jungen Mannes mit ASS, der bei einer seiner regelmäßigen Zugfahrten in Panik die Notbremse betätigt hatte - mit all seinen dramatischen Folgen -, weil er bemerkt hatte, dass er seine Monatskarte nicht dabei hatte und "Schwarz fahren tut man nicht!", zeigte Noterdaeme auf, wie sehr Gewohnheiten und die Sorge, "dass man alles richtig tut", für diese Menschen eine Rolle spielen können. "Verstehen ist etwas ganz ganz Wesentliches", meinte die Referentin. Oft seien es "Kleinigkeiten", an denen so ein junger Mensch hängen bleibe, "manche Situationen lassen sich ganz einfach lösen". Sie ermutigte dazu, diese Jugendlichen zu unterstützen und beim Selbständig werden zu begleiten, ihnen Zeit zu lassen und mit ihnen geduldig zu üben. Dabei könne man ihnen durchaus auch ein "rechtes Maß an Freiheiten" zugestehen - bei allen klaren Grenzen, die man setzt. Text: