Hospizhelferin und -helfer stellen sich der Frage nach der eigenen Endlichkeit
Krumbach, 01.07.2021 (pca). Hospizhelferinnen und -helfer erklären sich bereit, Menschen, die schwer erkrankt sind und auch deshalb dem Ende ihres irdischen Lebens entgegen gehen, und deren Angehörigen zur Seite zu stehen, sie zu begleiten, ihnen zuzuhören, ihnen dabei zu helfen, die letzten Dinge zu regeln und die Sicherheit zu geben, dass sie auf diesem Weg nicht allein sind. Viele leisten diesen ehrenamtlichen Dienst viele Jahre. Sie erzählen auch immer wieder davon, dass dieser Dienst ihnen keineswegs einfach falle, sie aber doch immer sehr viel an Wertschätzung und Dankbarkeit zurück geschenkt bekommen. Sind Hospizhelferinnen und -helfer deshalb in besonderer Weise vertraut mit dem Tod? Wie gehen sie mit ihrer eigenen Endlichkeit um?
Michael Wiedemann, 59 Jahre alt und seit über 20 Jahre Hospizhelfer, nimmt das Wort, vertraut zu sein mit dem Tod nicht in den Mund. Er tut es einfach nicht, obwohl er viele Menschen bis zum Tod begleitet hat und weiß, wie schwer das Sterben sein kann, bis die Augen sich für immer schließen. Rita Wendl, 71 Jahre alt, ist zwar erst seit sechs Jahren Hospizhelferin. Aber in den vielen Berufsjahren als Pfarrsekretärin war sie mit sehr vielen Sterbefällen konfrontiert. Sie hatte gut 600 Beerdigungen mit vorbereitet, mit den Angehörigen gesprochen und von ihnen Erschütterndes gehört. "Wie oft brach ich in den ersten Jahren selbst in Tränen aus!" Erst später schaffte sie es, für sich etwas Abstand zu schaffen. Aber "vertraut mit dem Tod", nein, das sei auch sie nie geworden.
Die beiden, die sich mit ihrem Engagement in die Ökumenische Hospizinitiative Krumbach einbringen, lehnen es auch ab, davon zu sprechen, dass man vom Sterben anderer Menschen lernen könne. Jeder Mensch erlebe ja sein eigenes Sterben und seinen eigenen persönlichen Tod. Wendl und Wiedemann verweisen lieber darauf, was sie in ihrem Dienst gelernt haben, worauf sie achten müssen und dass sie dem todkranken Menschen in seinem Innersten spüren lassen müssen, wie sehr er in seiner Würde als Mensch wertgeschätzt wird. Wenn sie von Sterben und Tod sprechen, merkt man ihre Fachlichkeit wie auch ihre Feinfühligkeit heraus. Und wer so spricht, da meint man, dass für sie die Regelung der letzten Dinge für sie eine Selbstverständlichkeit wäre. Doch die Frage, wie sie damit für sich umgehen, wie sie sich ihrer eigenen Endlichkeit stellen, die scheint sich erst dann für sie aufgehellt zu haben, als der Tod in ihre Familien eintrat.
Wiedemann hat seine Eltern auf ihrem letzten Weg begleitet. Davor wusste er zwar gedanklich, dass eine Patientenverfügung und auch ein Testament wichtig sind. Aber gekümmert hat er sich nicht darum. Als sein Vater starb, "ging ein Teil von mir selber". Es ging ihm danach "schlecht". Aber dann trat eine Veränderung in seinem Leben ein. Er hat nun für sich eine Patientenverfügung. Auch ein Testament hat er nieder geschrieben. "Eigentlich weiß man ja als Landwirt, dass das Leben kommt und geht, man in Generationen denken und planen muss." Doch es war eigentlich erst der Verlust seines Vaters, der ihm den Anstoß dazu gab, "zu lernen, dass man akzeptieren muss, Dinge in andere Hände zu übergeben." Heute sagt Wiedemann: "Ich kann inzwischen gut loslassen."
Wenn man ihn auf seine Endlichkeit anspricht, dann hört man keine Worte über das, was er sich für seine letzten Tage wünscht und welche Rahmenbedingungen er dann am liebsten erfüllt haben möchte, auch wenn er sagt, er schiebe den Gedanken an den Tod keineswegs von sich. Seinen Blickwinkel richtet er stattdessen eher auf sein Leben. "Ich habe Verantwortung für das, wofür ich Verantwortung habe. Wie habe ich sie erfüllt, wie bin ich mit dem, das ich erworben oder mir übertragen wurde, umgegangen und wie gut kann ich es weitergeben." Der Tod seiner Eltern hat bei ihm diesen gedanklichen Prozess ausgelöst. Wie oft, und da profitiert er von seiner Arbeit als Hospizhelfer, hätten Mensch auf ihrem letzten Lebenswegen sich mit Dingen und Fragen gequält, weil sie sie nicht schon früher geklärt hatten. "Das wollte ich nicht - für mich nicht und auch nicht für meine Kinder."
Wiedemann hat alles für sich geklärt, soweit er es heute für sich abschätzen kann. Der Tod, sein Tod, die Frage nach ihm, nach seiner Befindlichkeit, das belastet ihn aber nicht. "Im Gegenteil. Ich hatte alles geklärt. Auch mit meinen Kindern. Was für ein befreiendes Gefühl! Ich war wesentlich entspannter. Ich habe eine neue Energie entwickelt." Er wurde Kreisobmann des bayerischen Bauernverbandes, er engagierte sich in der Deutschen Rentenversicherung, der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung, im Vorstand des Arbeitgeberverbandes Landwirtschaft in Bayern. Sein Rat lautet deshalb: "Kläre Deine letzten Fragen und Du hast mehr vom Leben."
Auch Hospizhelferin Wendl begann erst dann eine Patientenverfügung aufzusetzen, als der Tod in ihre Familie eindrang. Vor neun Jahren war ihre Mutter nach vier Jahren langer Pflege gestorben. Vor einem Jahr starb ihre Schwester. "Sie besuchte ich noch einen Tag vor ihrem Tod. Sie sagte mir klar und eindeutig, dass sie auf keinen Fall lebensverlängernde Maßnahmen wünsche." Die 71-jährige Frau betrachtete dann ihr eigenes Leben. Sie hatte die Frage nach den "letzten Dingen" bislang hinausgeschoben. "Ich fühlte mich einfach fit. Es erschien mir unnötig."
Doch dann setzte sie sich hin und schrieb ihre Verfügung nieder. Sie wolle auf jeden Fall die Krankenkommunion und -salbung empfangen. Mit ihrer Tochter hat sie darüber gesprochen, ob sie in bestimmten Situationen lebensverlängernde Maßnahmen wünsche oder nicht und was die Ärzte tun dürfen, "wenn es mir nicht mehr gut geht". "Da geht schon einem allerhand durch den Kopf", sagt sie. Sie denkt dabei auch an ihren Ehemann, mit dem sie seit 46 Jahren verheiratet ist. Er ist stark sehbehindert und wäre ohne sie völlig hilflos. Ihre Tochter ist ihr eine große Entlastung. Sie hatte sie nämlich in den Gesprächen beruhigt und ihr zugesichert, "dass sie für uns da sein wird, egal was kommt".
Wenn man in einer belastenden Situation steckt, "da weiß ich als Hospizhelferin, was ich anderen Menschen in einer dauerhaft belastenden Situation sagen würde und wie ich helfen könnte. Doch wenn man selber drinsteht, dann ist es etwas ganz anderes." Für sie war es nämlich nicht einfach zu akzeptieren, dass sie nicht ständig für ihren Mann da sein müsse. "Auch wenn ich das in meinem Ehrenamt schon gelernt hatte. "Ich muss auch auf mich selbst achten. Ich muss mir eine Auszeit nehmen, spazieren gehen, um meinen Kopf wieder etwas freier zu bekommen und Kraft zu schöpfen." Bewusst pflegt sie auch ein Hobby und behält es bei. Zusammen mit 40 weiteren Frauen strickt sie Socken oder Fausthandschuhe für Obdachlose. "Das macht Spaß. Man tut etwas."
Sie und Wiedemann wissen: Drückt sich das Sterben und der Tod in das eigene Umfeld hinein, greift nicht mehr ihre Professionalität als Hospizhelfer. Sie tritt automatisch in den Hintergrund. "Hilfe von außen, durch die Hospizhelfer wenn nötig, sollte man annehmen. Das gilt auch für ausgebildete Hospizhelferinnen und -helfer, wenn sie selbst betroffen sind", sagt Monika Drexler, die Einsatzleiterin der Ökumenischen Hospizinitiative Krumbach.
Wendl und Wiedemann haben keine Angst vor dem Tod selbst. Sie wissen ja um ihn. Kein Mensch werde davor bewahrt werden. Was Wendl aber bewegt, ihr auch etwas Angst macht, "das ist die Zeit davor". "Wie sieht mein Sterben aus?" Auf keinen Fall wolle sie alleine sterben. Einsamkeit und Schmerzen, das weiß sie aus ihrer ehrenamtlichen Arbeit selbst ganz genau, "das braucht es nicht und ich will es nicht". Sie blickt auf die Einsatzleiterin der Krumbacher Hospizinitiative Drexler. "Mach Dir keine Sorgen. Wir werden Dir zur Seite stehen. So wie Du es brauchst, wenn Du es brauchst", sagt sie zu Wendl.