Für den Bereich der Inobhutnahme brauche es eine Kinderfeuerwehr, die zuverlässig da ist, wenn es in den Familien brennt, forderte Michael Kaiser (links), Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Erziehungshilfen, gegenüber Staatssekretär Lorenz Bahr (rechts). Juliane Büker / Caritas im Bistum Münster
Es gibt bereits zu wenige Erzieherinnen und Erzieher, um der Nachfrage an Kita-Plätzen gerecht zu werden. "Durch den Rechtsanspruch auf die Betreuung im Offenen Ganztag ab Sommer 2026, werden wir ein zusätzliches Angebot haben, das weitere Fachkräfte benötigen wird", sagte Dominique Hopfenzitz, Direktor der Caritas im Bistum Münster, zur Eröffnung der Kinder- und Jugendhilfekonferenz der Arbeitsgemeinschaft Erziehungshilfen (AGE) am 1. Juni 2023 im Franz-Hitze-Haus in Münster. Hopfenzitz betonte, es sei notwendig, Antworten zu finden auf die Frage, wie gute Betreuungs- und Unterstützungsangebote bei gleichzeitigem Fachkräftemangel zukünftig möglich sind.
"Der Fach- und Arbeitskräftemangel ist eine der größten aktuellen Herausforderungen", sagte Lorenz Bahr, Staatssekretär im Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration (MKJFGFI) des Landes NRW. Bezogen auf die Kinder- und Jugendhilfe sehe er zwei Extreme: "Wir können auf die Engpässe im Personal reagieren, indem wir Angebote einstellen", das bedeute beispielsweise, Öffnungszeiten von Kitas zu kürzen. Es sei aber auch möglich, alle Angebote aufrecht zu erhalten mit Abstrichen beim Personal: Das bedeute, weniger Anforderungen bei Fachkräften und beim Personalschlüssel. "Ich halte beide Extreme für eigentlich nicht passgenau", sagte Bahr. Seiner Meinung nach bleibe nur der Weg über viele kleine, sehr gut abgestimmte Maßnahmen. Helfen soll beispielsweise das "Kita-Sofortprogramm" und auch, den Kreis der Berufsgruppen, die in der Erziehungshilfe arbeiten, zu erweitern, auch über Quereinstieg.
Gleichzeitig hob der Staatssekretär auch eine gute Nachricht hervor: So viele Kinder wie nie zuvor würden qualitativ hochwertig betreut. Das sei ein Beitrag zu Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit. "Da hat die Kinder- und Jugendhilfe in den letzten Jahren wirklich viel geschafft", sprach er die etwa 70 Konferenzteilnehmenden an. Zur Caritas im Bistum Münster gehören unter anderem 22 stationäre Einrichtungen der Erziehungshilfe, 21 Träger, die an 140 Standorten Offene Ganztagsschule anbieten, und 89 Tageseinrichtungen für Kinder.
Kinder und Jugendliche gut zu fördern, sei wünschenswert, antwortete Elke Kotthoff dem Staatssekretär. Bei zu wenig Personal für große Kindergruppen, bleibe Förderung allerdings nicht selten auf der Strecke. Unter anderem die Angebote des Offenen Ganztags seien oft massiv unterbesetzt. "Wir laufen Gefahr, dass wir die Qualität immer weiter herunterschrauben und den Kindern nicht gerecht werden", mahnte die Leiterin für den Bereich Erziehungshilfen der Caritas Kleve. Dabei gehe es gerade im stationären Bereich, wie in Kinderheimen, um die wichtige Aufgabe, Kindern ein Zuhause zu bieten.
Ermutigende Worte, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, fand Dr. Dirk Nüsken: "Freie Träger sind nicht ohnmächtig", sagte der Professor der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe, "sie haben die Chance und Aufgabe, Arbeit attraktiv zu gestalten". Er präsentierte unter anderem empirisch belegte Faktoren, die Fachkräfte, die in der Erziehungshilfe arbeiten, belasten oder auch entlasten: "Wesentliche Belastungsfaktoren sind Grenzverletzungen, Beschimpfungen, Gewalt." Aber auch Termindruck gehöre dazu oder die Unsicherheit, ob das freie Wochenende auch eines bleibt - oder ob man einspringen müsse. Ermutigend hingegen sei die Erkenntnis: "Fachkräfte in Hilfen zur Erziehung empfinden Freude in ihrer Arbeit, erleben das Sinnstiftende." Viele Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe identifizieren sich laut Prof. Nüsken stark mit ihrer Einrichtung. Eine professionelle Organisation zeichne sich durch Handlungsspielräume, Mitbestimmungsmöglichkeiten und orientierungsgebende Konzepte aus. "Als entlastend erleben Fachkräfte Supervision, kollegiale Beratung, Unterstützung durch Vorgesetzte", zählt Prof. Nüsken einige wissenschaftliche Erkenntnisse auf.
"Aber auch für diese Arbeit brauchen wir Ressourcen", nahm Michael Kaiser die Hinweise auf, und diese seien knapp. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Erziehungshilfen in der Diözese Münster (AGE) und Leiter des Kinderheims und der Kinder- und Jugendhilfe St. Mauritz in Münster fordert von der Politik eine Erarbeitung guter Rahmenverträge für die Erziehungshilfen. Außerdem seien zusätzliche finanzielle Mittel und eine Unterstützung der Kommunen durch das Land notwendig. "Die Kommunen leisten sich Feuerwehren, die sind einfach finanziert und immer da. Wenn es brennt, löschen sie, wenn es nicht brennt, pflegen sie unter anderem ihre Materialien." Für den Bereich der Inobhutnahme beispielsweise brauche es eine "Kinderfeuerwehr", die da ist, wenn es in der Familie brennt.
Breite Zustimmung bei den Beteiligten fand die Aussage, dass der kommende Anspruch auf eine Betreuung im Offenen Ganztag den Balanceakt zwischen Betreuungsangebot und Qualität während des Fachkräftemangels verschärfen wird. Prof. Nüsken würdigte die Situation der Mitarbeitenden in den Angeboten der Erziehungshilfen: "Wir dürfen die Augen nicht verschließen vor der Not." Gleichzeitig sprach er sich für die Chance des Betreuungsanspruchs im Offenen Ganztag aus: "Auf gar keinen Fall dürfen wir zurückgehen hinter politische Beschlüsse", auch wenn es in den kommenden Jahren Schwierigkeiten geben werde.
Deutlich wurde, diese Herausforderung könne nur gemeinsam gemeistert werden. Staatssekretär Lorenz Bahr schloss darum mit den Worten, er wünsche sich für die Zukunft der Kinder- und Jugendhilfe weiterhin so offen miteinander zu diskutieren und viel voneinander mitzunehmen.
Von Recke bis Recklinghausen, von Emmerich bis Lengerich - die Caritas im Bistum Münster ist für Menschen in Notsituationen da. Ob Jung oder Alt, Alleinstehend oder Großfamilie, mit Behinderung oder Migrationshintergrund, körperlicher oder psychischer Erkrankung. Unter dem Motto "Not sehen und handeln" sind 80.000 hauptamtliche Mitarbeitende und 30.000 Ehrenamtliche rund um die Uhr im Einsatz. Für die Hilfe vor Ort sorgen 25 örtliche Caritasverbände, 18 Fachverbände des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) und 3 des SKM - Katholischer Verein für Soziale Dienste. Hinzu kommen unter anderem 68 Kliniken, rund 150 Einrichtungen der Behindertenhilfe, 205 Altenheime, 105 ambulante Dienste, 110 Tagespflegen und 22 stationäre Einrichtungen der Erziehungshilfe.
024-2023 (bü) 7. Juni 2023