Wenn es um Armut geht, ist das Ruhrgebiet die Problemregion Nummer Eins in Deutschland. Das geht aus dem aktuellen Armutsbericht hervor, den der Paritätische Wohlfahrtsverband am Donnerstag, 12. Dezember, veröffentlicht hat. Als größter Ballungsraum Deutschlands mit 5,8 Millionen Einwohnern weist das Ruhrgebiet eine Armutsquote von 21,1 Prozent auf; in Nordrhein-Westfalen sind es 18,1, bundesweit liegt die Armutsquote dem Bericht zufolge bei 15,5.
"Die gesamtgesellschaftliche Dramatik für die betroffenen Menschen und Kommunen in der Ruhrregion wird besonders sichtbar, wenn man die Quote der unter 15-Jährigen in den Blick nimmt, die SGB II-Leistungen beziehen", sagt Angelika Wagner, Armuts-Referentin im Caritasverband für das Bistum Essen. Laut Sozialbericht NRW waren 40 Prozent aller unter 15-Jährigen in Gelsenkirchen im Jahr 2018 von Hartz IV abhängig (NRW: 18,5 Prozent). In Essen sind es 33, in Duisburg 29, in Mülheim und Oberhausen knapp 28 Prozent. "Angesichts solcher katastrophaler Zahlen ist es dringend erforderlich, dass Sozialleistungen für Kinder transparent, gebündelt und unbürokratisch beantragt und gewährt werden können, damit die Hilfe bei den Betroffenen ankommt", so Wagner, "die Kindergrundsicherung, die derzeit politisch diskutiert wird, würde dies ermöglichen."
Auch im Ruhrgebiet unterscheiden sich die Regionen erheblich. Die Städte und Gemeinden im ländlichen Bereich zeigen laut Sozialbericht NRW ein deutlich höheres Einkommensniveau. Im Ennepe Ruhr-Kreis und im Märkischen Kreis liegen das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen bei ca. 23.000 Euro und damit gut 2.000 Euro über dem Ruhrgebiets-Durchschnitt. Dagegen liegt das Pro-Kopf-Einkommen in Gelsenkirchen bei 15.500 und in Duisburg bei rund 16.500 Euro.
Im Zehnjahresvergleich von 2008 zu 2018 ist laut der Untersuchung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes die Armut im Ruhrgebiet fast viermal so schnell angestiegen wie im gesamten Bundesgebiet - anders als in anderen Bundesländern mit besonders hoher Armut wie zum Beispiel Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt oder Berlin, in denen - mit Ausnahme Bremens - die hohe Armutsquote sogar rückläufig war.
Den Raum Duisburg/Essen trifft die Entwicklung besonders, hier ermittelt die Untersuchung eine Steigerung der Armutsquote in den letzten zehn Jahren von 14,8 auf 20,9 Prozent. Dies entspreche einem Zuwachs um 41,2 Prozent, was einem "armutspolitischen Erdrutsch" gleichkomme.
Gegenläufig zum Bundestrend ist im Ruhrgebiet auch die Hartz IV-Quote deutlich gestiegen. Bundesweit ging sie in zehn Jahren von 10,3 auf 8,9 zurück. Im Ruhrgebiet lag sie jedoch 2018 bei 15,3 Prozent und war damit um 1,4 Prozentpunkte gestiegen. Besonders dramatisch ist die Lage in Gelsenkirchen und Essen, wo jeder vierte bzw. fünfte Einwohner Hartz IV bezieht.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband sieht in Deutschland 30 Jahre nach dem Mauerfall ein regional und sozial tief zerklüftetes Land und fordert ein Sofortprogramm zur Armutsbeseitigung.
Cordula Spangenberg