In der Corona-Krise - mit all ihren traurigen Ausmaßen - dürfen auch schöne Dinge wachsen: Menschen zeigen sich untereinander solidarisch, die Wertschätzung füreinander und für unser gewohntes Umfeld wächst. Viele haben originelle Ideen, um ihr Geschäft oder ihre Dienstleistung weiter am Laufen zu halten. Und doch gibt es etwas, das einfach nicht zu ersetzen ist: Es ist der persönliche Kontakt untereinander. Gerade in den Suchtfachambulanzen hören die Berater und Beraterinnen fast täglich von ihren Klienten: "Wir vermissen die Gruppentherapien und die persönlichen Gespräche mit Blickkontakt". In Lindau ist man da schon einen Schritt weiter.
"Wir bemühen uns sehr, allen gerecht zu werden", sagt Barbara Habermann, Leitung der Bereiche Sucht und Psychiatrie des Caritasverbandes Augsburg. "Aber der ‚Face-to-Face‘-Kontakt ist einfach nicht zu ersetzen.", sagt Habermann. "Wir rufen unsere Klienten sofort zurück, und telefonieren dann ausgiebig mit ihnen. Aber in den Telefongesprächen fehlen einfach Mimik und Gestik. Gerade in unserem Bereich ist das aber so wichtig. Denn nur so können wir sehen und besser einschätzen, wie es unseren Klienten wirklich geht.", findet Habermann. Dazu kommt, so Habermann, dass es einfach schwer ist, die Klienten telefonisch bei behördlichen Anträgen zu unterstützen. "Es ist schwer, aber es ist machbar", ergänzt Habermann.
"Ich schätze das sehr"
Habermanns Kollege, Klaus Bilgeri, Leiter der Suchtfachambulanz der Caritas in Lindau, hat, wie manch andere auch, eine ungewöhnliche Maßnahme ergriffen: Mit manchen seiner Klienten führt er einfach Gespräche im Freien. "So können wir besser sehen, wie es unseren Klienten wirklich geht und die tatsächliche Situation einschätzen. Ein Gespräch, bei dem man sich gegenüber steht, ist einfach viel wirkungsvoller", sagt Bilgeri. Habermann schätzt diese unkonventionelle Herangehensweise sehr. Zwar ist es sicherlich schwierig, ein Beratungsgespräch mit einem Suchtkranken an einem öffentlichen Dorfplatz zu führen. Aber "Wer soll denn wissen, ob das nun einer meiner Klienten ist, oder einfach ein Freund oder eine Freundin?", sagt Bilgeri. Die Mitarbeiter der verschiedenen Suchtfachambulanzen können so dazu beitragen, dass Klienten mit Suchtproblemen, die ohnehin oft einsam und isoliert leben, ein wenig persönlichen Kontakt haben. "Manche Situationen kann man am Telefon schlicht nicht beurteilen. Meine Kollegen und ich haben es zudem als sehr mühsam empfunden, die Anträge, Erst- und Zweitgespräche telefonisch zu bearbeiten und zu führen.", sagt Bilgeri.
Die Medien berichteten diese Tage, dass während des Corona-Lockdowns auch der Alkoholkonsum stark zugenommen habe. Da liegt die Annahme nahe, dass nun auch Suchtkranke wieder rückfällig werden. Doch Bilgeri hält dagegen: "Zwar ist es gerade wirklich schwierig, unsere routinemäßigen Abstinenztests durchzuführen, aber generell zu beurteilen, ob Suchtkranke nun aufgrund von Corona wieder rückfällig werden, ist schwierig." Sicher ist: Die Situation ist eine zusätzliche Belastung für Menschen mit einer psychischen Störung. Durch die persönlichen Treffen unter allen erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen kann aber nicht nur den Klienten geholfen werden. Auch den Mitarbeitern der Suchtfachambulanzen tut der persönliche Austausch gut. "Für mich ist es sehr viel angenehmer, meine Klienten auch zu sehen", sagt Bilgeri abschließend. (Text: Karin Pill)