Ergänzende unabhängige Beratung für Betroffene wechselt Träger - Caritas Augsburg lädt zur Austausch-Bar ein
Augsburg, 31.10.2022 (pca). Kritisch beäugt wurde sie, zuweilen auch als Konkurrenz gesehen, als die EUTB®, die Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung, 2018 vom Gesetzgeber ins Leben gerufen worden war. Doch der Blick auf sie hat sich inzwischen gänzlich geändert. Die EUTB® nimmt heute einen festen Platz in der Landschaft der verschiedenen Beratungsstellen für Menschen in schwierigen Lebenslagen ein. Von Einschränkungen Betroffene, Peer-Berater*innen, wie auch von Einschränkungen Nichtbetroffene arbeiten Hand in Hand zusammen. Sie ist eingebunden in ein bestehendes Netzwerk von Beratungsstellen, z.B. dem Krisendienst und dem Gesamtpsychiatrischen Verband. Allein in 2021 konnte das Augsburger Team mit zwei Sozialpädagog*innen fünf Peerberater*innen 1.167 Beratungen durchführen. Zum Jahreswechsel geht die Trägerschaft zu Pro Retina, der gemeinnützigen Patientenvereinigung für Menschen mit Netzhauterkrankungen und deren Angehörigen in Augsburg.
Die EUTB® war als völlig neues, verbandsübergreifendes und selbsthilfegruppen-unabhängiges Beratungsangebot in Deutschland geschaffen worden. Bestehende Beratungsstellen für die unterschiedlichen Lebenseinschränkungen, für psychisch Kranke oder Menschen mit Behinderungen waren sich unsicher, wie sich dieses neue Angebot auf sie auswirken würde. "Da wurden wir schon kritisch beäugt, was wir denn so tun und welche Themen wir besetzen würden". So erinnert sich Christoph Kaut an die Anfänge der EUTB® in der Stadt Augsburg zurück. Der Sozialpädagoge wurde damals zusammen mit einer Kollegin für die EUTB® vom Caritasverband für die Stadt und den Landkreis Augsburg e.V. als Träger der EUTB® angestellt.
Die Grundidee der EUTB® liegt darin, die Selbstbestimmung der Ratsuchenden zu stärken und Lotse im System zu sein, da Menschen von der Vielfalt der Beratungsangebote oftmals überfordert waren und letztlich auch nicht das erreichten, was sie wirklich brauchten. Der übergreifende vernetzende Blick der EUTB® spiegelte sich "in unserem Bemühen wider, den Ergänzungscharakter der EUTB® herauszustellen. Wir sahen uns nie als Konkurrenz!", so Kaut. Die EUTB® ist nicht auf spezifische Einschränkungen oder auf eine Altersgruppe beschränkt.
Bereits 2019 stieg dann die Zahl der Beratungen an. Klienten kamen von den Kostenträgern und deren Einrichtungen, von Reha-Einrichtungen, dem Bezirkskrankenhaus und anderen Beratungsstellen. Der Grund: Sehr schnell erkannte man die Schnittstellenfunktion für die Klienten. Deren Bedarfe waren und sind vielschichtiger und können oftmals nicht von einer Beratungsstelle abgedeckt werden.
Nachteile hatte dadurch keine andere Beratungsstelle. "Im Gegenteil", so Kaut. "Wir haben die Beratungsstellen untereinander vernetzt, ja manche sogar untereinander erst bekannt gemacht. Und selbstverständlich haben wir auf sie verwiesen, damit spezifische Probleme dort schnell bearbeitet werden konnten." Kaut ist im Rückblick stolz auf die Entwicklung der EUTB® in Augsburg, die er zusammen mit Michaela Huber maßgeblich mitgestaltet hat. "Heute besteht ein sehr gutes Netz eines Beratungsmiteinanders, das einen recht intensiven fachlichen Austausch untereinander pflegt."
Die EUTB® will mehr als nur eine Schnittstelle sein. Echte Teilhabeberatung könne nur dann gelingen, wenn Betroffene in den Beratungsprozess auch auf der Seite der Beratung miteingebunden sind. Die EUTB® in Augsburg schulte deshalb von Anfang an Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen. Sie sollten als Peer-Berater*innen bei den Beratungen mit dabei sein können.
Die meisten von ihnen arbeiten ehrenamtlich mit. Yvonne Wiedenmann gehört zu ihnen. Seit 2018 ist sie dabei. Zum 1.7.2022 wurde sie von der Caritas eingestellt und verstärkt seitdem das hauptamtliche Team der EUTB®. Wiedenmann, die sich selbst als "mit Rollstuhl flexibel" bezeichnet, weiß aus persönlicher Erfahrung, wie schwierig es ist, als Mensch mit Handicap den Dschungel der Beratungsstellen wie auch der Behörden zu überwinden. "Das ist auch mein Vorteil bei den Beratungen", sagt sie. "Ich rede mit den Ratsuchenden auf Augenhöhe. Da ich eine andere Sichtweise als die anderen Berater*innen haben, erfahre ich von Anfang an mehr Vertrauen." Und so - und das bestätigt ihr ihr Kollege Kaut - "kommt man schneller zu den Ursachen des Beratungsbedarfs".
Für Wiedenmann eröffnete ihre Mitarbeit in der Peerberatung einen "Blick über den Tellerrand". "Ich konnte so viele unterschiedliche Beeinträchtigungen wahrnehmen", erzählt sie. Und weil sie viel schneller Vertrauen gewann, konnte sie in nicht wenigen Fällen Betroffenen dabei schneller helfen, für sie die richtigen Anträge auch selbst zu stellen. In die Lage versetzt zu werden, die Angelegenheit für sich selbst in die Hand zu nehmen, weil man nun weiß, wie es geht, "das ist Befähigung oder wie die Fachwelt sagt - Empowerment". Für ihre Aufgabe ist Wiedenmann bestens vorbereitet. Sie hat die Ausbildung zur Peerberaterin des Bildungs- und Forschungsinstituts zum selbstbestimmten Leben Behinderterin (bifos) in der Tasche. Sie will noch mehr erreichen und macht deshalb derzeit die Ausbildung zur Heilpraktikerin für Psychotherapie. Gerne würde sie bei der Caritas für die EUTB weiterarbeiten. Doch die Projektdauer von fünf Jahren geht zu Ende.
Die EUTB® -Beratungsstellen wurden vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales erneut ausgeschrieben. In Augsburg hat sich die Selbsthilfevereinigung Pro Retina Deutschland e.V. beworben und den Zuschlag als Selbsthilfegruppe erhalten. Am 30. November 2022 lädt das jetzige Team der EUTB® zu einer "Austausch-Bar" ein. Sie wollen mit der Veranstaltung alle Verantwortlichen, Beteiligten, Betroffenen und Pro Retina zusammenbringen, um den Austausch zu stärken und deutlich machen, dass die EUTB® zurecht einen festen unabhängigen Platz in der Beratungslandschaft hat.
Veranstaltung:
Austausch-Bar am Mittwoch, 30. November 2022, 17.00 Uhr
Ort: Caritasverband für die Stadt und den Landkreis Augsburg e.V., Depotstraße 5, 86199 Augsburg.