In Deutschland sind es insgesamt 2,65 Millionen Kinder, die davon betroffen sind. 40.000 Kinder leben mit einem drogenabhängigen Elternteil. Und trotz dieser hohen Zahl führten diese Kinder sehr lange ein Schattendasein. Solange das Kind keine Symptome zeige, "ist das nicht so schlimm", so auch heute noch eine weitverbreitete Meinung. "Es ist deshalb höchste Zeit, hier genauer hinzuschauen und das Thema zu enttabuisieren", so Monika Heitzinger-Furchner. Sie leitet die Suchtfachambulanz der Caritas in Aichach und hatte im Rahmen der der Psychiatrie-Tage des Landkreises Aichach-Friedberg Barbara Habermann und Marion Freitag vom Augsburger Diözesan-Caritasverband eingeladen, über das Projekt "Kinder aus suchtbelasteten Familien" - kurz Kiasu - zu informieren.
Erzieher in den Kindertageseinrichtungen wie auch Lehrer an den Schulen kennen die Rollenbilder des "Clowns", des "Supermann" und "Helden", des "verlorenen Kindes" oder des "Sündenbocks" aus ihrem beruflichen Alltag. Dahinter können sich auch Kinder aus suchtbelasteten Familien verbergen, wie Marion Freitag vom Kiasu-Projekt erläuterte. Der "Clown" habe immer einen coolen Spruch auf Lager und sorge für gute Stimmung und ‚Rambazamba‘. "Aber in Wirklichkeit überspielt er nur seine Probleme, damit man nicht darüber spricht", sagte die Heilpädagogin Freitag. "Im Inneren ist er aber einsam." Den "Helden" beschrieb sie als das Kind bzw. den Jugendlichen, der durch gute Noten und Leistungen in der Schule und im Sport glänzt, sehr früh lernt, sein eigenes Leben selbst zu managen, auch sehr angepasst wirken kann, aber im Kern nichts anderes anstrebt als Sicherheit und Anerkennung, was er zuhause nie erfährt. Der "Sündenbock" falle durch ein lautes und provozierendes Verhalten auf. "Er holt sich dadurch die Aufmerksamkeit, die er zuhause nicht hat", so Freitag. "Und er macht sich selbst zum Problem, um von dem Problem in der Familie abzulenken". Das "verlorene Kind" ziehe sich hingegen zurück in die eigene Welt, um sich dadurch vor unerwarteten Handlungen der suchtbelasteten Eltern zu schützen.
Nun auf die Eltern dieser Kinder zu schimpfen und ihnen Vorhaltungen zu machen, das lehnt Barbara Habermann, die das Referat Sucht und Psychiatrie des Caritasverbandes für die Diözese Augsburg e. V. leitet, entschieden ab. "Schuldgefühle helfen nicht. Sie versperren nur den Blick und die Bereitschaft, die eigentlichen Probleme zu bewältigen", unterstrich sie. "Wir dürfen nicht über Personen diskutieren, sondern über deren Verhalten. Unser Ziel ist es, die Motivation zu guter Elternschaft mit der Suchtbewältigung zu verknüpfen."
Für Habermann hat diese Einstellung eine weiterreichende Bedeutung: Auch wenn sich das Projekt seit 2009 auf Kinder aus entsprechenden Familien mit sehr guten Erfolgen konzentriere, so sind diese Kinder doch Teil jeweils einer Familie. Um wirklich dauerhaft auch den Kindern helfen zu können, "brauchen wir ein ganzheitliches Bild". Sie plädierte deshalb für eine Vernetzung nicht nur der Suchtfachambulanzen untereinander, sondern auch mit den anderen Hilfesystem der Jugend-, Erziehungs- und Gesundheitshilfe. "Auch die Erzieher, Lehrer und sogar die Nachbarn können gefordert sein", so Habermann.
Für Habermann und Freitag lohne sich der Einsatz auf jeden Fall. "Denn Kinder aus diesen Familien haben ein sechsfach höheres Risiko, später selbst suchtkrank zu werden, als andere Kinder." Die Gründe hierfür stimmten die rund 40 Gäste des Info-Abends in der Caritas-Tagesstätte in Aichach nachdenklich. Die Kindheit dieser Kinder sei geprägt von Angst und Unsicherheit, von einem Mangel an Stabilität emotionaler Zuwendung und Geborgenheit. Eine ständige Sorge plage sie, wie sie den Tag überstehen sollen, oder auch die Angst, was alles zuhause passieren könnte, wenn sie in der Schule sind. Auch erleben sie Gewalt in der Familie als Zeugen oder werden gar selbst Opfer von Gewalt oder Missbrauch. Dramatische Verlusterlebnisse gingen einher mit dem Bemühen, das Chaos in der Familie dadurch aufzufangen, indem die Kinder in die Elternrolle schlüpfen und sich um die betrunkenen Eltern und die Geschwister kümmern. Die Fachwelt spricht hierbei von "Parentifizierung". Sie übernehmen aber nicht nur die Rolle der Eltern, sondern auch die Schuld für das Fehlverhalten der suchtkranken Eltern oder des suchtkranken Elternteils. "Der Vater, die Mutter sind so, weil ich da bin und alles falsch mache…"
Die Kinder befänden sich zudem in einem Loyalitätskonflikt. Sie lieben ja ihre Eltern und wollen sie deshalb schützen. "Deshalb wird auch nicht richtig hingeschaut", so Habermann. Umso schwerer sei es deshalb auch, dass die Kinder lernen, über ihre eigenen Gefühle zu sprechen. Durch geduldige Zuhören und die Sicherheit, dass nichts, was Kinder in Gesprächen erzählen, die Gesprächsbeteiligten verlässt, fangen diese Kinder erst an, sich zu öffnen, "mehr als nur traurig und fröhlich als Gefühle zuzulassen" und damit selbst die ersten Grundsteine dafür zu legen, dass sie ihre Scham- und Schuldgefühle abbauen und das Selbstwertgefühl wieder steigern können.
Dafür bietet das Kiasu-Projekt des Caritasverbandes für die Diözese Augsburg e. V. Einzel- und Gruppengespräche, oft auch bei einem Spaziergang ("In der Bewegung findet Begegnung statt", so Habermann), mit tiergestützter Therapiearbeit, mit "kreativem Gestalten" und auch Aktionen in der freien Natur. Bislang wird es aus Eigenmitteln des Caritasverbandes und Spenden finanziert.
Weitere Informationen:
www. caritas-augsburg.de/kiasu
Kontaktaufnahme
Die Kontaktaufnahme kann telefonisch oder online stattfinden durch den jeweiligen Ansprechpartner. Es findet dann ein Erstgespräch statt mit Eltern/Betreuer dem Kind/Jugendlichen.
Ansprechpartner
Marion Freitag
(Staatlich anerkannte Heilpädagogin, Entspannungstrainerin, Systemische Beraterin (DGSF))
Tel: Kontaktdaten:
Tel.: 0821 3156-285
Mobil: 0171 5618941
E-Mail: m.freitag@caritas-augsburg.de
Christiane Kling
(Dipl.-Sozialpädagogin (FH), Sozialtherapeutin/Sucht (VDR), Familientherapeutin (DGSF))
Tel.: 0821 3156-285
E-Mail: c.kling@caritas-augsburg.de