Menschen, die Drogen gebrauchen, kennen das nicht. Sie leben allein, leiden an ihrer Krankheit der Abhängigkeit. Sie fühlen sich, besonders zu Weihnachten oft einsam und nicht verstanden. Und sie wissen auch warum.
Der Caritas-Kontaktladen Talk Inn in Kempten der Caritas veranstaltet seit über 20 Jahren kurz vor Weihnachten eine Weihnachtsfeier zu der alle Drogenkonsumentinnen und—konsumenten herzlich eingeladen sind. Dieses Mal haben sich rund 20 Frauen und Männer angemeldet. Darunter auch Einzelne, die das ganze Jahr nicht vorbei schauen, aber immer wieder bei der Weihnachtsfeier dabei sind.
Ab 13.30 Uhr waren die Gäste in die Brennergasse 15 in Kempten eingeladen. Manche kamen früher, manche später. Gerhard Zech vom Team der Sozialpädagogen vom Talk Inn bewies sich als Meisterkoch. Jeder erhielt ein warmes Essen mit Reis, einer großzügigen Portion Fleisch, gegart in einer würzigen Tomatensoße, und einem gemischten grünen Salat. Keiner der Gäste verzichtete darauf. Pfeffernüsse, Plätzchen und Kekse und so manche andere süße Versuchung fanden sich liebevoll verteilt in Schalen und Schüsseln, es gab keinen Zeitdruck. Alle sollten, wie zu Weihnachten, einfach da sein und den Nachmittag genießen dürfen.
"Hier komme ich viel lieber her als ins BKH", sagt ein Mann, Mitte 30. Er fragt nach, ob er helfen kann, räumt nach dem Essen die Teller ab und gibt sich so, wie man sich verhält, wenn man sich zuhause fühlt. Er kennt ja jeden. "Wie geht’s Dir", fragt Zechs Kollegin Caren Arendt ihn. "Und deinem neuen Haustier, dem Kater?" Arendt weiß um seine Sucht, seine Schwierigkeiten, den Konsum zu reduzieren und stabil zu bleiben. Kein Vorwurf ist ihrem Tonfall zu entnehmen, und doch weiß der junge Mann, dass sie um ihn weiß und er ihr nichts vormachen muss.
Er hatte keine sehr schöne Kindheit, kam aus schwierigen Verhältnissen und wurde ins Internat geschickt. "Ich fing dann an, all das "Unschöne" und meine Probleme mit Drogen wegzudrücken." Glücklich ist er heute nicht damit. Keine Arbeit, nur ein Wohn-Zimmer mit Küchenzeile und einem kleinen Bad in einem schwierigen sozialen Milieu in Kempten. "Weihnachten wird schwer für mich", sagt er, "das halte ich wahrscheinlich ohne Suchtmittel nicht aus. Da werde ich mir wohl was nehmen." Er weiß, dass das nicht richtig ist. Er plappert auch nur so daher. Er sucht das Gespräch mit Zech, tauscht sich auch aus mit den anderen Besuchern.
Die Besucher und Besucherinnen kennen sich alle. Sie wissen vom anderen und seiner bzw. ihrer Abhängigkeit. Sie fühlen sich miteinander verbunden. Sie müssen nichts verschweigen. Die einen erzählen ganz offen, was sie genommen haben oder gar noch nehmen, wie sie versuchen, ihre Sucht unter Kontrolle zu halten bzw. wollen. Einer ist darunter, der seit sechs Monaten trocken ist. "Das erste Weihnachten seit vielen Jahren." Er nimmt ein Medikament, das den Suchtimpuls unterdrückt. "Mir geht es so gut dabei. Leute, ich kann euch nur sagen, vergesst den Alkohol. Der tut nicht gut." Weihnachten wird für ihn wohl dieses Jahr ein schönes Fest. Ein Freund hat ihn eingeladen. Er wird nicht einsam sein.
Ein anderer Mann erzählt Maria Schmelz, der Kollegin von Arendt und Zech, in einer stillen Ecke im Garten bei einer Zigarette, dass ihn eine Operation kurz nach Neujahr erwartet und wie es ihm damit geht. "Hier hört man mir wirklich zu. Hier kann ich einfach alles sagen." Und so herrscht ein unmerkliches Hin und Hergehen, wenn die Gäste mit Arendt, Schmelz oder Zech kurz hinausgehen und mit ihnen etwas besprechen wollen. Bei aller Offenheit und Vertrautheit beim Essen, bei Kaffee und Plätzchen wird doch auch die Vertraulichkeit gesucht, um das eigene persönliche Problem besprechen zu können.
Weihnachten ist das Fest der Liebe, weil Gott - so der christliche Glaube - den Menschen an diesem Fest zeigt, wie wichtig sie ihm sind, so wichtig, dass er in Jesus selbst Mensch wird. Im Drogenkontaktladen Talk Inn in Kempten wird das spürbar bei der Weihnachtsfeier. Egal, ob man mit Maria Schmelz, Caren Arendt oder Gerhard Zech spricht, sie sagen alle dasselbe: "Uns sind unsere Klienten als Menschen wichtig, und zwar so, wie sie sind. Deshalb dürfen sie hier auch so sein, wie sie sind." Am Abend nach dem vorweihnachtlichen Nachmittag gehen sie wieder nach Hause. Ein Stück ihrer Lebenswelt bleibt aber in der Brennergasse verankert.