Dank der Zentralen Rückkehrberatung der Caritas konnten Eltern in China ihren verschollen geglaubten Sohn wieder in die Arme nehmen
Augsburg / Peking, 21.06.2024 (pca). "Verschwunden. Irgendwo. Ich konnte ihn einfach nicht finden." Von Peking aus hatte sich der Vater von S. vor 16 Jahren auf die weite Reise nach Deutschland gemacht, als er zuvor die letzte Nachricht von seinem Sohn erhalten hatte. "Mir geht’s nicht gut. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich muss in die Klinik." Es gab keinen weiteren Kontakt mehr. Alles Suchen blieb vergebens. Die Eltern glaubten ihren Sohn für immer verloren. Bis sie auf einmal die Nachricht erreichte, ihr Sohn wolle zurückkommen. Verbunden mit der Frage, ob sie bereit seien, sich um ihren kranken Sohn zu kümmern.
16 Jahre Ungewissheit, 16 Jahre die stille Hoffnung, dass der Sohn noch lebe und eines Tages heimkehren werde. 16 Jahre Zweifel und die ständig an der eigenen Seele nagenden Frage, ob man etwas falsch gemacht habe. Die so lange Odyssee von S. hatte aber eigentlich mit den besten Vorzeichen begonnen. S. war ein fleißiger Schüler. Nicht nur seine Eltern setzten große Hoffnung in ihn. S. bekam ein Studentenvisum für Deutschland. Alles verlief nach Plan. Doch nach einigen Monaten zeigte sich S. psychisch auffällig. Die Mitbewohner des Studentenwohnheims waren die ersten, denen die Verhaltensveränderung deutlich aufgefallen war.
S. wurde in eine Klinik eingewiesen. Die Diagnose: Paranoide Schizophrenie. Der junge Mann aus China zeigte beständige, häufige paranoide Wahnvorstellungen. Begleitet werden sie von akustischen Halluzinationen und Wahrnehmungs- und Sprachstörungen. Seine Stimmung schwankte stark, es fehlten ihm auf einmal der Antrieb zu studieren. S. konnte sein Studium nicht fortsetzen. Er wollte aber auch wegen der erfahrenen professionellen Hilfe in Deutschland bleiben. So stellte er einen Asylantrag.
S. hatte keinen Erfolg damit. Der Antrag wurde abschlägig beschieden. Doch das war letztlich nebensächlich. Aufgrund seiner psychischen Erkrankung, aus der zum Teil auch die Gefahr einer Fremdgefährdung erwuchs, musste er immer wieder in stationäre Einrichtungen aufgenommen werden. Insgesamt waren es 20 Aufenthalte.
In dieser Zeit stand er unter gesetzlicher Betreuung. S. war inzwischen 43 Jahre alt. Er war ausreisepflichtig. Gegenüber seiner gesetzlichen Betreuerin sagte er mehrfach, dass er selbst zurück in seine Heimat zu seiner Familie wolle. Die Betreuerin nahm dann 2023 Kontakt mit der Zentralen Rückkehrberatung Südbayern (ZRB) der Diözesan-Caritasverbände Augsburg, Deggendorf und München-Freising sowie der Diakonie Augsburg auf. Die Kontaktaufnahme war nicht vergeblich.
Es tat sich mit der ZRB eine Tür für S. auf. Beraterin N.N. nahm Kontakt mit IOM Family Assessment auf, das als Teil der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sich um Familienzusammenführungen kümmert. Dank deren Unterstützung konnte die Familie von S. in China ausfindig gemacht werden. Kurz danach kam es zum ersten Wiedersehen nach 16 Jahren dank einer Videokonferenz zwischen den Eltern in China und ihrem lange verschollenen Sohn, der zu diesem Zeitpunkt erneut in einer Klinik war. "Wir sind überglücklich und dankbar, dass er noch lebt", sagten seine Eltern. Sie erklärten sich sofort bereit, ihren Sohn trotz seiner psychischen Erkrankung bei sich wieder aufzunehmen und sich um ihn zu kümmern.
Damit stimmte die entscheidende Grundvoraussetzung für eine gelingende Rückkehr. ZRB-Beraterin Sonja Förg. bereitete nun die Rückreise vor. Mit Hilfe einer muttersprachlichen Dolmetscherin besprach Förg mit S. die Rückkehrprogramme und wie die Rückreise erfolgen werde. "Mir war die Dolmetscherin wichtig, damit er wirklich alles versteht. Auch wenn S. Deutsch spricht, er war stark von seiner psychischen Erkrankung gekennzeichnet und in seinem Sprachverständnis eingeschränkt", erzählt sie.
Ohne Reisepass keine Rückkehr. Die ZRB-Beraterin Förg beantragte gemeinsam mit S. beim chinesischen Konsulat ein "Reiseersatzdokument". Für die Ausstellung waren weitere Hilfen notwendig. Die ZRB-Beraterin musste die gesetzliche Betreuerin mit einbinden. Auch die Ausländerbehörde musste kontaktiert werden, damit sie sich ihrerseits gegenüber dem Konsulat für die Ausstellung des "Reiseersatzdokuments" ausspricht. Auch S. musste persönlich im Konsulat erscheinen. "Ich bin dankbar, dass alle so gut mitwirkten", sagt Förg.
Nach Monaten war es dann schließlich so weit. In enger Zusammenarbeit mit der IOM, dem medizinischen Flugunternehmen Air Ambulance24, der gesetzlichen Betreuerin und der Klinik, in der sich S. bis zum Schluss aufhielt, konnte S. - inzwischen 43 Jahre alt - in das Flugzeug steigen. Er wurde während seines langen Fluges von München nach Peking von einem Arzt und einer Krankenpflegerin begleitet. Dort warteten S.‘ Eltern sehnlichst auf ihn. Sie freuten sich, ihren Sohn von der ärztlichen Obhut übernehmen und ihn nach 16 Jahren wieder bei sich aufnehmen zu können.