Diese Worte stehen auf der Rückseite eines kleinen „Gemäldes“. Es ist nur schwarz und drückt völlige Resignation aus. Keine Farbe, keine Bewegung, kein Hoffnungsschimmer. Das Bild und die Worte stammen nicht von einem gescheiterten Erwachsenen. Ein siebenjähriger Augsburger Bub hat damit zum Ausdruck gebracht, wie es ihm geht.
Er hat suchtkranke Eltern. Er ist nicht allein mit dieser Erfahrung. Jedes sechste Kind unter 18 Jahren lebt in Deutschland in einer Familie mit stofflich abhängigen Eltern. Ca. 2,65 Millionen Mädchen und Jungen sind mit der Alkoholkrankheit eines oder sogar beider Elternteile konfrontiert. Die bundesweite Aktionswoche für Kinder aus Suchtfamilien vom 8. bis 14. Februar 2015 will nun diesen „vergessenen Kindern“ eine Stimme geben. An der Aktionswoche beteiligt sich auch das Augsburger Caritas-Projekt „Kiasu“ (Kinder aus suchtbelasteten Familien). Insgesamt nehmen derzeit 20 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen neun und 16 Jahren aus der Stadt und dem Landkreis Augsburg daran teil. „Kiasu“ konnte den Augsburger Bildhauer Sascha Kempter dafür gewinnen. Das Motto dieser Kunstaktion: „Man muss sein Leben aus dem Holz schnitzen, das man hat, auch wenn es Knorpel und Ecken hat. Gemeinsam können jedoch wundere Ideen und Dinge entstehen, die einen liebevoll begleiten.“
Die hohen Zahlen der von Sucht mitbetroffenen Kindern und Jugendlichen sind erschreckend genug. Die Wirklichkeit, die sich dahinter verbirgt, erschüttert allerdings noch mehr. Marion Freitag und Christiane Kling vom Caritas-Projekt „Kiasu“ wissen, wie der Alltag dieser Betroffenen aussehen kann. Die Mutter liegt zuhause im Vollrausch auf der Couch. Und sie hat, um es zurückhaltend auszudrücken, die Kontrolle über ihre Ausscheidungsorgane verloren. Da streiten die Eltern im Rausch, lautstark und aggressiv. Es gibt keinen Tag, an dem die Kinder mit suchtbelasteten Eltern keine Angst davor haben, nach der Schule wieder nach Hause zu kommen. Sie müssen sich um das Essen kümmern, ihre Geschwister versorgen, den Eltern beistehen.
Zuwendung und Liebe, Beständigkeit und Zuverlässigkeit – all das kennen sich nicht von ihren Eltern. Sie sind eher starke Stimmungsschwankungen und ein Verhalten gewöhnt, das für alle unberechenbar ist. Die Eltern sind abends nicht zuhause, sondern in der Kneipe. „Kinder brauchen aber zumindest einen Erwachsenen, der ihnen Halt und Orientierung gibt“, sagt die Heilpädagogin Freitag.
Diese Kinder lieben trotz allem ihre Eltern, weil es eben ihre Eltern sind. Umso mehr schämen sie sich auch für sie. Gegenüber anderen versuchen sie ständig die Sucht ihrer Eltern zu vertuschen, sie verstehen es geschickt durch ihr Verhalten Nachbarn, Klassenkameraden und Freunde von den Problemen zuhause abzulenken. „Eines lernen sie aber nicht, was aber so wichtig für eine gesunde Entwicklung ist“, sagt Freitag. „Sie lernen zu keinem Zeitpunkt, was Gefühle sind und wie sie damit umgehen sollen.“
Wenn sich die Kiasu-Gruppe jede Woche trifft, dann werden Gefühlskarten auf den Tisch gelegt. „Es ist traurig. Diese Kinder und Jugendlichen können ihre Gefühle nicht einmal benennen. Sie sagen ‚Scheiße‘ zu ihrer Situation, können sie aber nicht durch Gefühle beschreiben, geschweige denn sie benennen“, so Freitag. Was ist Trauer, Wut, Stolz, Freude, Überraschung, Hass oder Liebe? Freitag und ihre Kollegin Kling haken nach, wenn die Kinder etwas von sich erzählen, fragen nach. „Was meinst Du damit? Wie geht es Dir damit?“ Zum ersten Mal treffen die Kiasu-Kinder auf jemanden, der sie ernst nimmt und ihnen zuhört.
Fakt ist – und darauf weisen alle Untersuchungen hin – dass die Umstände einer Kindheit in einer suchtkranken Familien für die Kinder prägend sind. Ein Drittel von ihnen entwickelt demnach im Erwachsenenalter ebenfalls eine Suchtstörung. Freitag und Kling arbeiten deshalb gezielt mit den Kindern und Jugendlichen darauf hin, in ihnen einen eigenen „sich selbst bewussten Kern“ zu entwickeln und zu stärken.
„Wir sprechen uns nicht gegen die Eltern aus, aber wir sagen den Kindern auch, dass sie jedes Recht der Welt haben, ihren Eltern auch zu sagen, dass ihr Verhalten und ihre Streiterei sie ärgert, dass sie enttäuscht sind und mehr von ihnen erwarten.“ Kinder und Jugendliche aus suchtbelasteten Familien müssten lernen, „dass sie ihr eigener Steuermann sein sollen und dürfen“, aber auch dass es viele Möglichkeiten gibt, eigene Wunden zu heilen und mit wie auch trotz dieser Erfahrung sich selbst etwas Schönes aufbauen zu können. „Das gelingt uns aber nur, wenn wir genau hinschauen, genau zuhören und dann uns auch dafür Zeit nehmen“, unterstreicht Freitag.
Eltern und Erzieher/innen sollen den Kindern aus suchtbelasteten Familien folgende Botschaft vermitteln:
Sucht ist eine Krankheit
Du hast sie nicht verursacht.
Du kannst sie nicht heilen.
Du kannst sie nicht kontrollieren.
Du kannst für dich selber sorgen.
Indem du über deine Gefühle mit Erwachsenen sprichst, denen du vertraust.
Du kannst gesunde Entscheidungen treffen – für dich.
Du kannst stolz auf dich sein und dich selber lieb haben.
(Empfehlung der nacoa-Aktionswoche)