Regelmäßiger Alkoholkonsum schleicht sich immer häufiger bei Frauen aus gehobenen Schichten ein - Nicht nur bereits alkoholkranke Frauen und Männer können Suchtberater*innen Fragen stellen
Mering, 16.04.2021 (pca). Carina L. (36) hat das erreicht, was sie angestrebt hatte. Nach Schule, Ausbildung und dann noch Studium hat sie ihren Traumjob bei einer Marketing-Agentur in München gefunden. Zwei Jahre danach heiratete sie die Liebe ihres Lebens. Sie gründeten eine Familie, und weil alles gut lief, bauten sie auf dem Land ein Haus. "Alles war perfekt. Wir hatten gleichaltrige Freunde, trafen uns mit ihnen und ihren Kindern. Das Leben war schön. Doch dann war ich beim Arzt", erzählt Carina L. "Er fragte mich, ob ich regelmäßig Alkohol trinke. Das hat mich irritiert. Ich doch nicht!"
Carina L., deren Name geändert ist, gehört zu jenen Frauen in der gehobenen Schicht, die mehr und mehr in den Fokus der Suchtberatung geraten. Monika Heitzinger-Furchner, Leitung der Suchtfachambulanz der Caritas in Friedberg und Aichach und der Außenstelle in Mering, beobachtet das Phänomen schon seit längerem. "Es sieht harmlos aus. Junge Paare treffen sich mit ihren Kindern am Spielplatz. Die Erwachsenen, die Frauen und Männer, halten eine Bierflasche oder ein Weinglas in der Hand. Sie wirken entspannt", sagt sie. "Doch das ist nur die Oberfläche."
Mering ist für junge Paare, die sich in München keine Wohnung leisten können, ein beliebter Wohnort geworden. Die Bahnverbindung ist gut, und der Weg nach München damit nicht zu lang. Auch die Bodenpreise stimmen noch einigermaßen, auch wenn man schon der gehobenen sozialen Schicht angehören muss, um sich sie leisten zu können. Frauen und Mütter sind dabei mehrfach belastet durch Beruf, Haushalt, Pendeln und die Kindererziehung. Ihnen fehlt dabei ein über Jahre hinweg gewachsenes soziales Netz, das einem helfen kann, den hohen Druck des Alltagsstress gut auf Dauer aushalten zu können.
Auch Heitzinger-Furchners jungem Kollegen Philipp Frommelt ist diese Entwicklung nicht fremd. Er ist in Mering in der Außenstelle der Suchtfachambulanz für die Beratung zuständig. "Das Leben ist insbesondere für Frauen immer schwieriger geworden. Sie müssen über viele Jahre hinweg mehrere Spagate meistern. Ein Scheitern ist nicht eingeplant. Alles muss perfekt sein." Der Alkohol werde unter diesem hohen Druck ein Mittel zur Entspannung. Fachleute nennen dies "Entlastungstrinken". Aus ¬einem Bier oder einem Glas Rotwein würden schnell man mehr, zwei, drei oder mehr und dann auch nicht mehr im Kreis am Spielplatz. "Die anderen tun es ja auch", räumen sich manche als Entschuldigung ein.
Alkohol ist ein Zellgift, das Nervenzellen im Gehirn verändert. Regelmäßigkeit und Menge des Alkoholgenusses entscheiden über die Schnelligkeit und Intensität dieser Veränderungen. Frauen verstoffwechseln Alkohol schlechter als Männer. So werden sie schneller alkoholkrank, und die Folgeschäden treten deshalb schneller bei ihnen auf. Das kann eine Leberschädigung sein, aber auch Brustkrebs. "Hier besteht bei Frauen ein klarer und nachgewiesener Zusammenhang zwischen dieser Krebserkrankung und dem Alkoholmissbrauch", so Heitzinger-Furchner. Aus lang anhaltendem zu häufigem Alkoholkonsum könne eine Polyneuropathie entstehen. Nerven sterben dabei ab. Taubheitsgefühle zeigen sich. Man hat Schmerzen. Es entwickelt sich eine Stand- und Gangunsicherheit. "Auch hier gilt: In der Regel tritt diese Erkrankung bei Frauen häufiger und früher auf als bei Männern", so Heitzinger-Furchner.
Sie und Frommelt wissen, dass viele der Paare weit weg sind von diesen Krankheitsbildern. "Aber man muss es nicht erst soweit kommen lassen", so Frommelt. Carina L. hatte ihn in der Beratungsstelle in Mering aufgesucht. Nach dem für sie so irritierenden Gespräch mit ihrem Arzt hatte sie sich einen Termin bei der Suchtfachambulanz geben lassen. "Das wollte ich nicht auf mir sitzen lassen. Ich wollte einen Fachmann dazu befragen", erzählt sie.
Das Gespräch verlief anders. Frommelt fragte nach, hörte zu, wie sie ihr Leben gestaltet, machte ein paar fachliche Anmerkungen. "Ich glaube, da ging ihr ein Licht auf." Carina L. änderte ihr Verhalten. Sie gönnt sich jetzt öfters eine persönliche - wenn auch kurze - Auszeit. "Das brauche ich für mich."
Frommelt freut sich darüber. "Das ist es, was wir bei uns auch vermitteln können. Wir zeigen Handlungsalternativen auf. Wir sind auch einfach zum Reden da, oft hilft es schon, wenn man über die Probleme spricht. Es lohnt sich doch nicht, alles in sich hineinzufressen."
Er und Heitzinger-Furchner betonen immer wieder, dass man nicht erst zur Suchtberatung gehen kann und muss, wenn man bereits alkoholkrank ist. Wer früh- und rechtzeitig sich der Frage stellt, ob der eigene Alkoholkonsum wirklich gut tue, "der kann lockerer und sicherer durch das Leben gehen und vor allem sich vor schlimmen Folgeerkrankungen bewahren."
Info:
Suchtfachambulanz für den Landkreis Aichach-Friedberg
Außenstelle Mering
Herzog-Wilhelm-Straße 5
(Papst-Johannes-Haus)
86415 Mering
Beratung jeden Donnerstag. Die Terminvermittlung erfolgt über die zentrale Telefonnummer der Suchtfachambulanz der Caritas in Aichach (Tel. 08251 - 873480).