Caritas-Projekt "Sozialrechtliche Mobilisierung und Befähigung" begeistert Vize-Bezirkstagspräsidentin Holzmann
Augsburg, 09.08.2022 (pca). "Man spricht nicht mit uns auf Augenhöhe", beklagt Robert Stegner. Er lebt in einer Einrichtung der Stiftung Sankt Johannes Schweinspoint in Rennertshofen. "Ich will endlich als gehbehindert von den Busfahrern ernst genommen werden, wenn man ihn schon anspricht", fordert Anke Böttger aus Neuburg. Stegner wie Böttger nehmen am Projekt "Sozialrechtliche Mobilisierung und Befähigung" des Caritasverbandes für die Diözese Augsburg e. V. teil. Die Projektverantwortliche bei der Caritas, Verena Rauch, hatte zu einem Austauschtreffen Betroffene eingeladen.
Barbara Holzmann, erste Vizepräsidentin des Bayerischen Bezirketags und stellvertretende Bezirkstagspräsidentin von Schwaben, lobte nun das Projekt. "Dass die Caritas dies macht und sich dafür einsetzt, ist grandios. Ich kann nur sagen: Weiter so!"
Eine zentrale Rolle für die Teilhabe spielt die Leichte Sprache. Wenn man Texte in Zeitungen oder Gesetze nicht versteht, "wird man ausgegrenzt", gesteht die Projektkoordinatorin Kathrin Schulan von der Caritas. Die Politikerin Holzmann weiß von Bescheiden für die Behindertenhilfe, die wegen ihres komplizierten Textes oft falsch verstanden werden und dadurch Frust und Enttäuschung bei Betroffenen auslöst und bei der Bezirksverwaltung Mehrarbeit bedeutet, obwohl der Inhalt eigentlich positiv für die Betroffenen sei. "Auch da müssen wir etwas tun und die Leichte Sprache künftig nutzen". Sie will das Thema in die Gremien des Bezirkstages einbringen.
Stengl wie andere Teilnehmer*innen fordern bei dem Austauschtreffen noch viel mehr. "Es hapert doch schon daran, dass die Mehrheit gar nicht weiß, dass wir in unseren Werk- und Wohnstätten Werkstatträte und Bewohnervertretungen haben, die unsere Interessen vertreten", sagt Stengl. Er hat im Projekt deutlich dazu gelernt. Teilhabe heißt für ihn nicht darauf zu warten, dass andere ihn nach seinen Wünschen fragen. "Ich weiß, was ich kann und will. Wenn wir gehört werden wollen, müssen wir uns für uns selber einsetzen."
Rauch und Schulan haben in den vorausgegangenen Treffen sehr großen Wert darauf gelegt, die Inhalte des BTHG zu vermitteln. Beim jetzigen Austauschtreffen konnten nun 22 Betroffene aus Donauwörth, Neuburg, Lautrach, Offing, Glöss, Rennertshofen und Schweinspoint ihre Wünsche der Bezirkstagsvizepräsidentin Holzmann vortragen. Sie hatten sie zuvor in ihren Räten diskutiert und beschlossen.
Tobias Ulm von der Regens-Wagner-Einrichtung in Lautrach stört sich an "den Barrieren im Kopf der nichtbehinderten Menschen". "Warum spricht man nicht mit mir, wenn es um den Umzug geht? Ich habe doch auch meine Frage, wie ich dann zur Arbeit oder zum Arzt komme! Ich will wie jeder andere meine Entscheidungen überlegen und vorbereiten können." Stegner bekräftigt Ulms Anliegen. Wenn zum Beispiele Personen neu in die Gruppe kommen, "wäre uns doch allen geholfen, wenn man zumindest erfahren könnte, welches Handicap diese Person habe, denn dann könnten wir viel besser damit umgehen".
Da gehe es nicht nur um ein gutes Miteinander und Teilhabe, ergänzt Erika Leinfelder. Sie ist Vertrauensperson in Schweinspoint bei der Stiftung Sankt Johannes. "Wir müssen sie ernst nehmen. Oft sagen Menschen mit Behinderungen etwas und wir nehmen sie nicht wahr!" Und das führe dazu, "dass sie schnell aufgeben".
So profitiert niemand von einem guten Miteinander mit Menschen mit Behinderungen auf Augenhöhe. Martina Bartsch aus Lautrach ist sich dabei aber sicher, dass nicht nur das unmittelbare Umfeld von einem Gespräch auf Augenhöhe und einem Austausch profitieren würden. Auch die Organisatoren von Veranstaltungen wie Musik-Events würden davon einen großen Nutzen ziehen. "Wir könnten unsere Anliegen einbringen, und weil das dann geschieht, könnten die Veranstalter auch durch unsere Eintrittsgelder verdienen."
Die Teilnehmer*innen an dem Austauschtreffen des Projektes Sozialrechtliche Mobilisierung wissen um ihre Einschränkungen. Sie wissen auch, dass nicht alles immer einfach ist. Aber sie wollen gehört werden. Geschieht das nicht, entsteht automatisch eine Benachteiligung oder gar ein Ausschluss, ohne dass es eigentlich beabsichtigt wurde. Karl-Heinz Bischof, der in Offingen in einer Wohneinrichtung der CAB Caritas Augsburg Betriebsträger gGmbH wohnt, findet zwar das 9-Euro-Ticket toll. "Aber nun fahren so viele mit den Zügen, so dass wir mit unseren Rollstühlen und Gehhilfen keinen Platz mehr finden."
Barbara Holzmann, die stellvertretende schwäbische Bezirkstagspräsidentin, zeigte sich beeindruckt von dem intensiven und aufrichtigen Austausch mit den Teilnehmer*innen des Austauschtreffens, zu dem der Caritasverband für die Diözese Augsburg eingeladen hatte. So nahm sie sich viel Zeit und hörte sich die Wünsche der einzelnen Gruppen in den verschiedenen Einrichtungen auf Augenhöhe an. "Sie haben alle nur allzu verständliche Wünsche, Wünsche, die alle haben." Sie bot deshalb, das Anliegen des Caritas-Projektes Sozialrechtliche Mobilisierung mit ihren Möglichkeiten zu unterstützen.
Info:
Hintergrund des Projektes ist das Bundesteilhabegesetz der Bundesrepublik Deutschland, kurz BTHG. Es tritt in vier zeitversetzten Reformstufen bis 2023 in Kraft. Es eröffnet Menschen mit Behinderungen die gleichen Möglichkeiten wie Menschen ohne Behinderungen und Einschränkungen. Ziel ist eine größtmögliche Teilhabe am gesellschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Leben. Gesetze müssen aber auch Wirklichkeit werden. Dazu braucht es Betroffene wie auch jene, die nötig sind, um die Rechte der Betroffenen durchzusetzen. So baut das Projekt auf zwei Säulen auf - das Netzwerk zwischen Anwälten und Mitarbeiter*innen in der Behindertenarbeit, um Menschen mit Behinderungen einen leichteren Zugang für eine sozialrechtliche Beratung zu ermöglichen - und die Austauschtreffen der Betroffenen, der Menschen mit Einschränkungen und Behinderungen, selbst. Ziel dieser Austauschtreffen ist es, Wissen über die Rechtslage und rechtlichen Ansprüche zu vermitteln, um dadurch sie zu befähigen, ihre Wünsche zu formulieren und sich auch dafür einzusetzen.