Warum nimmt ein Landrat dafür Geld in die Hand? Antworten auf diese Fragen gab beim Fachtag ein „Offenes Gespräch“ mit den Akteuren des Projekts.
Am Anfang stand, so Grabens Bürgermeister Andreas Scharf, eine konkrete Erfahrung: So hatte seine Gemeinde im Jahr 2009 geplant, ein Betreutes Wohnen einzurichten. 30 Prozent der Gemeindemitglieder über 60 Jahre, die dazu gefragt wurden, hätten diesem Projekt zugestimmt, berichtet Scharf. Auf die zweite Frage jedoch, wer denn konkret so eine Wohnung beziehen würde, hätten sich nur drei Bürger gemeldet. Für Scharf war dies der Ausgangspunkt für eine andere politische Denkweise, die danach fragt: „Was will der Bürger wirklich?“ Eine Denkweise auch, die nicht nur von „harten“ Standortfaktoren wie der Verkehrsanbindung, Schulen etc. spricht, die eine Region stark machen, sondern auch von „weichen“ Standortfaktoren. „Darauf zu schauen, sehe ich nicht als mein Hobby, sondern als meine Pflicht an“, so Andreas Scharf.
Zunächst auf freundschaftlicher Ebene sei der Kontakt der Gemeinde Graben mit der Caritas entstanden, berichtete Dr. Andreas Magg, Diözesan-Caritasdirektor. Zusammen mit Mitarbeitern aus seinem Haus habe er erkannt: „Es würde sich lohnen, hier vertieft einzusteigen.“ Spannend sei es gewesen, zu schauen: Was braucht ein ländlicher Raum, um attraktiv zu bleiben für Jung und Alt? Diese Symbiose zwischen einer Kommune und einem Wohlfahrtsverband habe seither beide Seiten bereichert, so Magg. Und es entspreche auch dem Selbstverständnis der Caritas, „ganz nah an den Menschen zu sein“.
In Landrat Martin Sailer fand das Projekt einen weiteren Unterstützer. Sailer sprach auf dem Podium von diesem Modell als „Leuchtturmprojekt“. „Was gibt es Schöneres, als dass sich Menschen für Menschen engagieren?“, so der Landrat. Er wolle versuchen, dies auch anderen Bürgermeistern näher zu bringen. „Angesichts der demografischen Entwicklung sollte dies Thema Nr. 1 bei allen Bürgermeistern sein.“
Prof. Annette Plankensteiner, die an der wissenschaftlichen Begleitung des Projekts beteiligt ist, hob den „Mehrwert“ eines Modellprojekts mit einem Anfang und einem Ende – in diesem Fall nach drei Jahren – hervor. Man könne Dinge ausprobieren, man könne nach dem fragen, was sich bewährt hat, aber auch nach den Möglichkeiten, wie Bewährtes weiter geführt werden kann. Die Wissenschaftlerin ist davon überzeugt, dass das Projekt das Selbstverständnis der Bürger deutlich verändert habe. „Es hat sich eine Identitätsbildung entwickelt.“
Von einer ähnlichen Erfahrung, direkt vor Ort, berichtete Vera Lachenmaier, die im Auftrag der Caritas zusammen mit einer Kollegin das Büro „Inklusives Graben“ in Graben führt. „Ich erlebe sehr viel Zuspruch. Die Grabener haben sich verortet“, meinte sie. Als Beispiel dafür, dass sich Bürger in der Mitverantwortung für ihr Dorf sehen, nannte sie Senioren, die die Initiative ergriffen haben, um zusammen mit Kindern einen Garten anzulegen.
Einig waren sich die Podiumsteilnehmer darin, dass auch dann, wenn das Modellprojekt abgeschlossen sein wird, das, was hier dadurch gewachsen ist, in die Zukunft geführt werden kann. Überlegungen dazu waren, künftig wesentlich stärker die Bürger zu beteiligen. Angedacht werde auch, so Bürgermeister Andreas Scharf, künftig einen professionellen Begleiter auf dem Lechfeld zu belassen – eine Art Streetworker, der mit allen Altersgruppen in Kontakt kommt. Auch müssten Foren geschaffen
werden, wo alle Akteure in der Gemeinde, die ehrenamtlichen wie die professionellen, zusammengebracht werden.