enn auch in den vergangenen Jahren dank der Hospizbewegung sich in Politik und Öffentlichkeit viel bewegt hat, Sterben heute anders sich ereignet als noch vor 30/40 Jahren, als Sterbende in Krankenhäusern noch in gesonderte Räume abgeschoben werden, so gibt sich das Ethikkomitee des Caritasverbandes für die Diözese Augsburg e. V. damit nicht zufrieden. An seinem Fachtag wollte es einen genauen Blick darauf werfen, was alles in Krankenhäusern, Altenpflegeheime, in Einrichtungen der Behindertenhilfe oder in der ambulanten Begleitung getan werden muss, um dem individuellen Wunsch nach einem guten und würdevollen Sterben gerecht werden zu können. Alles Zeichen der Unterstützung dieser Anliegen unterzeichnete Diözesan-Cariasdirektor Dr. Andreas Magg die Charta zur Betreuung schwerstkranker Menschen in Deutschland.
Der Augsburger Soziologe Prof. Dr. Werner Schneider weitete in seinem Eröffnungsreferat des Fachtages den Blick der weit über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Er lehnte es ab, von Sterbeorten zu sprechen. Er zieht den Begriff der Sterberäume vor. Denn kein Mensch sterbe an einem Ort, wo nicht die Geschichte des Menschen und das Tun rundherum diesen Ort mitbestimmen würden. Ein Sterberaum könne deshalb eben nicht nur das Krankenhaus, das Altenpflegeheim oder das Zuhause sein, sondern auch das Gefängnis, die Straße bei Wohnungslosen oder besonderen Einrichtungen für Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Auch verwies er darauf, dass das, was man langläufig unter dem Zuhause verstand, nämlich bei der Familie, in der Nähe von Familienangehörigen, nicht mehr zutreffe. Die bürgerliche Kleinfamilie gebe es heute nicht mehr, die sich wie früher selbstverständlich um ihre Angehörigen kümmerte, so Prof. Schneider. Die Mutter lebe in Augsburg, der Sohn lebt mit seiner Familie im Ausland und die Tochter ist in Hamburg verheiratet, nannte er als Beispiel.
Allen Betroffenen aber stehe es zu, "individuell vorgesorgt", "gesellschaftlich organisiert", "individualisiert", d.h. zum eigenen Leben passend, vor allem schmerzfrei, selbstbestimmt und würdevoll zu sterben, sagte der Soziologe, der in vielen Gremien zum Thema Hospiz und Altenpflege auf kommunaler, Landes- und Bundesebene mitarbeitet. Der Mensch wolle dabei eine "Verfügungsgewalt" über den Ort, die Geschichte des Ortes und das Tun rundherum haben. Die große Herausforderung bzw. Aufgabe sieht er für die Gesellschaft deshalb darin, in den klassischen "Sterberäumen" diesem Wunsch nicht nur heute gerecht zu werden, sondern als Gesellschaft neue organisierte Strukturen zu entwickeln, damit dies auch in Zukunft gelingen kann. Kritisch sieht er dabei die Vereinzelung des Menschen. "Wir müssen auch an die Angehörigen denken, die mit dem Tod des Angehörigen umgehen können müssen. Wer begleitet sie, wenn die Familie nicht gegeben ist?", so Prof. Schneider. Auch hierfür brauchen wir neue Modelle der "gesellschaftlichen Sorge und Mitsorge."
Für das Ziel einer optimalen Sterbebegleitung sei im vergangenen Jahrzehnt auch politisch viel getan worden. Dafür hatte sich auch Brigitte Meyer als frühere Vorsitzende des Ausschusses Soziales, Familie und Arbeit des Bayerischen Landtages eingesetzt. Das Hospiz- und Palliativgesetz 2016 habe viel für die Betroffenen erreicht. In der Politik dies durchzusetzen, sei nicht von vornherein vorgegeben gewesen, wie Meyer beim Fachvortrag eingestand. Persönliche Betroffenheit sei oft auch in der Politik die Voraussetzung dafür, dass man sich mit Tod und Sterben auseinandersetze. Ihr Appell war deshalb eindeutig. "Wir dürfen nicht aufhören, alle in der Gesellschaft für dieses Thema zu sensibilisieren, den Hospiz- und Palliativgedanken in der Gesellschaft zu verankern und so das Anliegen voranzubringen."
Mit dem Hospiz- und Palliativgesetz wurden Palliativ-Bündnisse und ein Hospizverband auf bayerischer Landesebene geschaffen. Auch die ehrenamtlichen Hospizdienste werden besser finanziert. Damit sei aber noch nicht alles geregelt. Meyer sieht die Kommunen in einer besonderen Pflicht. Sie wünscht sich überall SAPV-Zentren. 40 gebe es schon in Bayern, aber das sei zu wenig. Meyer, die heute Vizepräsidentin des Bayerischen Roten Kreuzes ist, wünscht sich auch von den Kommunen, dass sie die im Pflegestärkungsgesetz III festgeschriebene Verpflichtung, sich vor Ort um die Pflege zu kümmern, auf die Frage der Hospiz- und Palliativversorgung erweitern und diese mit hineinnehmen in ihre Planungen.
Zustimmung erfuhr sie von Wilfried Mück, aber nur zum Teil. Der Geschäftsführer des Landes-Caritasverbandes Bayern, sieht noch "viel Luft nach oben". Zuhause sterben zu können, werde zwar zumeist erwünscht, aber die Caritas sieht hierfür noch viel zu wenig realisiert. Die Koordinierung der Leistungserbringer müsse noch vorangetrieben werden. Die palliativmedizinische Qualifizierung der Hausärzte sei noch voranzubringen. Die Aufgaben seien deshalb sehr groß. Wenn er aber an die vielen Diskussionen mit Krankenkassen als Kostenträger über Cent-Beträge denke, "dann wird dies dem nicht gerecht." "Eine flächendeckende Regelversorgung erreichen wir um der Menschen willen aber nur durch eine ausreichende Regelversorgung." Hier sieht er die Verbände in der Pflicht, gemeinsam dafür zu kämpfen.
Auch für die stationären Pflegeeinrichtungen sieht er große Herausforderungen. Die Caritas habe in ihrem Bereich schon sehr viel für die Qualifizierung des Pflegepersonals getan. Im Bistum Augsburg arbeite der Caritasverband für die Diözese Augsburg e. V. seit Jahren an der Implementierung des Hospiz- und Palliativgedankens in ihren Seniorenzentren. Doch, so Mück, "die Finanzierung der gesundheitlichen Versorgungsplanung, der Kooperation mit den Hausärzten, die Zusammenarbeit mit den Hospiz- und Palliativnetzen ist nicht entsprechend vorhanden und geklärt." Wenn die stationären Pflegeeinrichtungen wirklich "bessere Orte des Lebens und Sterbens betagter Menschen" werden sollen, müssten die Finanzierungsleistungen mit den Forderungen nach Aufbau der genannten Schritte "Schritt halten". Auch die Krankenhäuser müssten noch weiter fachlich, personell und finanziell unterstützt werden. Zweifel hat er zum Beispiel daran, dass die Krankenhäuser tatsächlich in der Lage sind, das ehrenamtliche Engagement für hospizliche Begleitung begleiten zu können.
Mit großer Sorge betrachtet der Geschäftsführer des Landes-Caritasverbandes die Bürokratisierung. "Wenn inzwischen der Kostenaufwand für die Sicherstellung der Dokumentation inzwischen mehr kostet als die Leistung selbst, stimmt etwas nicht mehr", so Mück. "Wir müssen der Bürokratisierungen einen Riegel vorschieben."
Auch wenn alle diese Fragen im Raum stehen und noch der Diskussion bedürfen, Mück gestand ein, dass alles nichts nutzen würde, wenn es der Gesellschaft wie auch den Wohlfahrtsverbänden nicht gelingt, genügend Personal für die Pflege zu gewinnen. "Die Pflege, die Begleitung von alten Menschen muss endlich einen höheren gesellschaftlichen Stellenwert haben. Wir müssen mit einem Leuchten in den Augen davon zu erzählen beginnen, wie wertvoll und wie schön dieser Beruf ist. Es muss Schluss sein damit, dass der Pflegeberuf so gering eingeschätzt wird."