Corona-Alltag im Seniorenheim
Risikopatienten, Besuchsverbot, Ausgangsbeschränkungen. Die Corona-Pandemie trifft die gesamte Gesellschaft. Aber ganz besonders beeinträchtigt sie das Leben der Senior*innen in Senioreneinrichtungen. Sie können ihre Kinder, Enkel und Verwandten nicht mehr sehen. Und wie erklärt man einem an Demenz Erkrankten was gerade vor sich geht?
"Am Anfang dachte ich, ‚Das geht nicht lange gut‘"
Yujin Li ist Einrichtungsleiterin des Seniorenzentrums Haus Tobit in Elchingen. Zu Beginn der Corona-Krise, als das Ausmaß und die Dauer der Pandemie noch gar nicht abzusehen waren, war Li besorgt. Sie dachte sich, dass das nicht lange gut gehen könne mit einem Besuchsverbot für die Bewohner*innen ihrer Einrichtung. Schließlich ist es gerade für Senior*innen ein Höhepunkt des Tages, wenn sie Besuch von ihrer Familie bekommen. Aber, erzählt Li "Die Bewohner*innen sind total ruhig. Es gibt keine Probleme und alle Angehörigen hatten von Anfang an Verständnis für die Maßnahmen". Vielmehr noch: Das offizielle Betretungsverbot für Seniorenheime galt ab dem 13. März. Doch Li hatte Angehörigen schon am 6. März empfohlen, ihre Besuche einzuschränken. Um den Kontakt zur Familie jedoch nicht völlig zu unterbrechen hat man im Haus Tobit von Anfang an "etwas Besonderes gemacht", wie Li erzählt. "Ab Einführung des Betretungsverbotes haben wir im Haus Tobit ein schnurloses Telefon eingerichtet. Eine Betreuungsassistentin geht damit von Zimmer zu Zimmer. So haben die Bewohner*innen jeden Tag die Möglichkeit "nach Hause zu telefonieren", wie man so schön sagt. "Außerdem haben wir die Angehörigen dazu ermuntert, ihren Lieben im Haus Tobit einfach E-Mails zu senden. Die werden dann auch von unseren Betreuungsassistentinnen vorgelesen.", sagt Li.
Angehörige, die ans Fenster kommen? Warum nicht.
"In der aktuellen Situation wird mir ganz besonders bewusst, was für ein tolles Team ich habe! Am Gründonnerstag verabschiedete ich mich von meinen Mitarbeitern. Einige Stunden später wurde mir erst bewusst: Die Betreuungsassistentinnen haben nun auch vier Tage frei, wer wird dann Zeit mit den Senior*innen verbringen - noch dazu an Ostern?", erzählt Li. Sogleich schrieb sie ihren Mitarbeiter*innen von der Problematik und tatsächlich organisierten zwei Mitarbeiterinnen ein Osterfrühstück für den Ostersonntag. "Das macht mich sehr stolz!", sagt Li.
Die Corona-Krise ist aus globaler Sicht freilich nichts anderes als eine Krise. Dennoch bringt sie, wenn man genauer hinsieht, auch viel Gutes hervor. So gibt es manche Angehörige, die an die Fenster des Hauses Tobit kommen, um ihre Verwandten mal wieder zu sehen. Li erzählt, dass es da eine Ehefrau gebe, die jeden Tag ans Fenster komme, um ihrem Mann beim Mittagessen zuzusehen und ihm so nah zu sein. "Trotzdem machen das natürlich nicht alle, denn viele nutzen eben die elektronischen Kommunikationsmittel", sagt Li. Für Menschen, die an Demenz erkrankt sind, ist diese Situation natürlich erst recht kompliziert. Auch sie haben die Möglichkeit, über Telefon Kontakt zu ihren Familien zu halten, aber "Oft verstehen sie einfach nicht, was da passiert oder was ein Telefon ist. Zudem fällt es ihnen schwer, Stimmen beim Telefonieren zuzuordnen.", sagt Li. Aber auch hierauf sind Lis Mitarbeiter*innen eingestellt und die Betreuungsassistentinnen widmen den Demenzkranken besondere Aufmerksamkeit.
Auch das Pfarrer Knaus Heim in Kühbach ist dankbar für die neueste Technik. "Eine Bewohnerin hatte letztens Geburtstag. Zu diesem Anlass wir über What’s App einen Video-Anruf mit ihrer Familie organisiert. Darüber hat sie sich unglaublich gefreut.", erzählt Sandra Bartsch, Aromaexpertin im Pfarrer Knaus Heim. Auch sonst versucht man im Pfarrer Knaus Heim alles, um den Bewohner*innen diese außergewöhnliche Zeit so angenehm wie möglich zu machen. "Wir haben unsere Bewohner*innen in drei Gruppen geteilt, jede Gruppe nimmt zum Beispiel an einem anderen Ort ihre Mahlzeiten ein. Außerdem gibt es für jede Gruppe eine/n Betreuer*in. So kann sich der/die Betreuer*in mehr Zeit für jeden Einzelnen nehmen. Für Demenzkranke gibt es eine eigene Gruppe. Des Weiteren haben wir mit manchen Angehörigen feste Zeiten für Telefonate ausgemacht. Dann weiß auch der / die Bewohner*in genau, ‘Jetzt kann ich mit meiner Tochter und später mit meinem Sohn telefonieren‘", erzählt Bartsch. Briefe, die die Bewohner*innen von ihren Familien erhalten, werden vorgelesen. Auch wird jeden Tag aus der Zeitung vorgelesen, damit die Senior*innen wissen und verstehen, was passiert. Solche Maßnahmen sorgen für Struktur, die sehr wichtig in solchen Zeiten ist. Mit Blumen auf den Tischen und Mitbringseln wie Süßigkeiten bereiten die Pfleger*innen den Bewohner*innen immer mal wieder eine Freude. "Das erfreut einfach das Herz", sagt Bartsch. Ganz besonders freuten die Senior*innen sich auch über "Osterpost" von Nachbarskindern des Pfarrer-Knaus-Heims. "Das war ein wahres Highlight", freut sich Bartsch.
"Fürsorge und Zuhören sind das A und O"
Doch sind es gerade die Senior*innen, die so eine ähnliche Situation schon einmal erlebt haben. Bei vielen gibt es Redebedarf. Erinnerungen aus dem Krieg werden bei manchen nun wieder wach und viele möchten nun verstärkt von früher erzählen. Neben allen Beschäftigungsmaßnahmen sind also "Fürsorge und Zuhören gerade das A und O", sagt Bartsch. "Wir nehmen uns jetzt gerne mal zehn Minuten mehr Zeit und hören einfach zu. Das ist sehr wichtig." (Text: Karin Pill)