Davon sind 80 Prozent entweder arbeitslos oder nicht adäquat beschäftigt, obwohl 70 Prozent eine abgeschlossene Ausbildung oder gar einen akademischen Abschluss vorweisen können. Schuld daran sind einerseits Vorurteile, andererseits die Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz. Das sind Aspekte, die man ändern kann. Das Kompetenzzentrum Autismus Schwaben – Nord lud deshalb Fachleute sowie Angehörige und Betroffene zu ihrem diesjährigen Fachtag Autismus und Arbeit ein.
Prof. Dr. Matthias Dalferth aus Regensburg, der sich seit vielen Jahren mit der Inklusion von Menschen mit Autismus in die Arbeitswelt beschäftigt, erzählte von einer 38-jährigen Frau. Sie war Lebensmitteltechnikerin, scheiterte aber immer wieder in der Arbeit und wurde so immer wieder arbeitslos. Als bei ihr im Alter von 38 Jahren eine Autismus-Störung bei ihr festgestellt wurde, hätten ihre Bekannten alle gesagt, dass sie doch ganz anders sei als der wohl berühmteste Autist im Hollywood-Film „Rainman“. Autismus sei aber viel komplexer, so der Regensburger Professor. Es gelte deshalb sich damit auseinanderzusetzen und wirklich „wahrzunehmen, was der Autist wirklich braucht“.
Bei all seinen Forschungsarbeiten und Untersuchungen stellte Prof. Dalferth immer wieder fest, dass die Arbeitgeber gar nicht die Vorteile von insbesondere hochfunktionalen Menschen mit einer Autismusstörung sehen würden. „Diese Menschen arbeiten systematisch, können sehr gut analysieren, stechen durch ihre Detailgenauigkeit hervor, sie sind perfektionistisch, gewissenhaft, weisen eine geringere Fehlerquote auf als Kollegen ohne eine Autismusstörung, sind nach einer intensiven Einarbeitungszeit vielleicht sogar schneller, sie sind perfekt bei sich ständig wiederholenden Aufgaben, sie sind zuverlässig und sie lügen nicht. Sie sagen einem knallhart die Wahrheit ins Gesicht.“
Auf der anderen Seite stehen die Punkte, die anders sind als bei Mitarbeitern ohne Autismus. Dazu gehöre, dass man nur sehr geringe kommunikative Anforderungen stellen dürfe, weil Menschen mit Autismus darauf angewiesen sind, dass die Kommunikation klar gegliedert ist nacheinander nach den einzelnen Arbeitsschritten erfolgen muss. Deshalb müsse man für eine klar gegliederte Aufgabenstruktur sorgen, das Aufgabenfeld eindeutig definieren und es so gestalten, dass die Reihenfolge der Aufgaben vorhersehbar ist. „Gleichbleibende Rahmenbedingungen sind wesentlich genauso wie ein reizgeschützter Arbeitsplatz.“ Wenn diese Rahmenbedingungen aber stimmten, dann könnten sie eine „erstaunliche Leistungsfähigkeit“ entwickeln.
Damit die Integration in den Arbeitsmarkt gelinge, müsse man von dem allgemeinen Prinzip, wonach die Ausbildung und die Vorbereitung für eine bestimmte Arbeit Voraussetzung für den Arbeitsplatz ist, für Menschen mit Autismus wegkommen. Bei ihnen solle man vorab deren Fähigkeiten prüfen, aus denen sich das Profil des Arbeitsplatzes ableitet, und sie dann an diesem Arbeitsplatz ausbilden und trainieren. „Dazu ist eine arbeitsbegleitende Unterstützung nötig. Sie ist wesentliche Voraussetzung für die Teilhabe am Arbeitsleben“, so Prof. Dalferth.
Welche Voraussetzung müsse dafür der Arbeitgeber erfüllen? Prof. Dalferth: „Er muss Toleranz gegenüber den „Verhaltensoriginalitäten“ der Menschen mit Autismus entwickeln und verstehen lernen, dass Menschen mit Autismus diese „Verhaltensoriginalitäten“ benötigen um Stress abzubauen und sich wieder zu stabilisieren“. Darüber hinaus sollte er für diesen Menschen einen Ansprechpartner bestimmen, der für Autismus sensibilisiert ist. „Auf jeden Fall muss die Bereitschaft gegeben sein, den Menschen mit Autismus nicht in der Arbeit zu behindern, sondern ihn mit seinen Sonderheiten befähigen zu wollen.“
Mitarbeiter eigens dafür zu schulen, sei zwar wichtig. Doch wenn ihnen jegliche Empathie, d.h. die Fähigkeit und Bereitschaft, Gedanken, Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen und zu verstehen, dann sei die Ausbildung umsonst. Darauf verwies Helmut Hirner, der in Hohenwart das Programm „Mit Autismus in die Arbeit“ leitet. Wer sich zum Ziel setze, das störende Verhalten zu reduzieren, verfolge den falschen Weg. Richtiger sei es hingegen, die Schwächen, das verstörende Verhalten zu akzeptieren, die Stärken zu erkennen, sie auszubauen und damit Erfolgserlebnisse zu verschaffen, die das Selbstbewusstsein fördern. Das „Setting“ sprich die Rahmenbedingungen, müsste dabei nicht gleich sein. „Wir müssen uns vielmehr jeden Einzelnen genau anschauen“, so Hirner. „Individualplanung geht vor Gruppenplanung.“
Was das konkret im Alltag bedeuten kann, das veranschaulichte Dr. Peter Schmidt mit seinen Erlebnisberichten aus seinem Leben als Autist. Er erzählte davon, wie er bei SAP als promovierter Geophysiker mit seinem klaren analytischen Verständnis von Prozessen und Zusammenhängen ein gutes Miteinander mit den Kollegen entwickelt hatte. Das Problem: Er erkannte seine Kollegen an ihren Hosen und an Anzügen, nicht an ihren Gesichtern. Als sie sich zum bunten Abend an einem Sommertag in legerer, auch kurzer Kleidung trafen, kannte er sie auf einmal nicht mehr. „Und ich galt als unhöflich“, sagte Dr. Schmidt. Die Kommunikation mit ihm leide auch darunter, dass er versteckte Botschaften nicht erkennen kann. „Small Talk mit mir zu pflegen, ist deshalb ziemlich unsinnig.
„Ich kann auch keine Gefühle erkennen“, fügte er hinzu. Wenn einer genervt sei, muss er mir das klar sagen. „Mir als Autisten dann zu sagen, ich hätte keine Gefühle, stimmt deshalb noch lange nicht.“ Im Gegenteil: Was für den Menschen ohne Autismus im emotionalen Normbereich liege, könne für den Menschen mit Autismus eine „schmerzvolle Extremwahrnehmung“ sein. So nehme ein Autist ein Großraumbüro als ein „bebendes Stadion wahr, in dem man stundenlang konzentriert arbeiten können soll“.
Dr. Schmidt, inzwischen erfolgreicher Autor mehrerer autobiografischer Bücher, machte durch seine vielfältigen Beispiele sehr drastisch deutlich, was die anderen Referenten immer wieder angesprochen haben. „Bei falschen Rahmenbedingungen funktioniere ich nicht, sind sie richtig, funktioniere ich perfekt.“ Er empfahl deshalb allen Menschen ohne Autismus, die Weltsicht des Autisten unvoreingenommen einzutauchen. „Vor allem versuchen Sie nie, aus ihm etwas zu machen, was er nicht ist und nie sein können wird, sondern lassen Sie ihn mit dem, was er aus seinem Innersten heraus anbieten kann, aufblühen.“