Auf einem Fachtag der Caritas zu den prekären Lebenslagen von Bürgern der EU in Deutschland prangerte er die Praktiken eines in Teilen auch kriminellen Ausbeutertums an. Verschlimmert worden sind die Bedingungen noch durch die Verschärfung des Zugangs zu Sozialleistungen für EU-Bürger. Zum ersten Mal, so der Vorsitzende des Diözesancaritasverbandes Münster, Domkapitular Josef Leenders, "gibt es eine Gruppe von Menschen, die per Gesetz von absoluter Armut betroffen sind".
Die osteuropäischen Arbeitsmigranten suchen Hilfe in den Kirchengemeinen und Diensten der Caritas. Vor allem die allgemeine Sozialberatung, Wohnungslosenhilfe und Schwangerschaftsberatung sowie die Migrationsdienste werden angefragt. Mitarbeiter aus diesen Diensten suchen nach neuen Ansätzen für diese Arbeit. "Unsere Angebote sind häufig die letzte Hoffnung dieser Menschen", erklärte Leenders. So anstrengend diese Arbeit sei, so zeige die Praxis doch, dass es sich lohne. Wichtig sei dafür eine gute Vernetzung der verschiedenen Akteure.
Als hilfreich erweist sich dabei auch die internationale Zusammenarbeit, wie Sangeeta Fager von der Diakonie Hamburg am Beispiel "Crossroads" aufzeigte. Ein Fachkräfteaustausch vermehre die Kenntisse über die unterschiedlichen Lebensverhältnisse. Dabei könne man durchaus von den Partnerländern lernen, erklärte Fager. Rumänien beispielsweise sei vorbildlich in der vorbeugenden Arbeit. Hier werde vor ausbeuterischen Strukturen rechtzeitig gewarnt. Bulgarien habe ein gut ausgebautes Netzwerk gegen Menschenhandel, von dem vor allem Frauen profitierten.
Peter Kossen machte deutlich, dass über Netzwerke hinaus grundsätzliche Änderungen notwendig sind. Es brauche unter anderem eine Arbeitskontrollbehörde, die Gesetze durchsetze und kriminelle Strukturen zerschlage. Die EU-Arbeitsmigranten müssten in Deutschland kranken- und unfallversichert werden - "und nicht irgendwo". Ein Grundübel sieht Kossen in den Regelungen zu Werkvertrags- und Leiharbeit. Erst sie ermöglichten die Ausbeutung der Arbeiter.
Mit vielen Beispielen konnte er die menschenunwürdigen und krank machenden Arbeits- und Wohnbedingungen vor allem in der Fleischindustrie aufzeigen. Da erhalte ein Schlachthofarbeiter 1200 Euro für 255 Arbeitsstunden, müsse aber unter Umständen bis zu 500 Euro für ein Zimmer zahlen, das jeder Beschreibung spotte. Einer Krankmeldung folge sofort die Kündigung. Großes Problem sei auch die Prostitution, so Kossen. Die sei fest in osteuropäischer Hand. Allein in Münster gebe es rund 400 bulgarische Prostituierte.
Josef Leenders widersprach der Angst vor einer Zuwanderung von Osteuropäern in das deutsche Sozialsystem. Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit sei ihre Beschäftigungsquote deutlich höher als die aller ausländischen Mitbürger. Tatsächlich zahlten sie weit mehr in die Sozialkassen ein, als ihnen ausgezahlt werde. Leider habe die Verschärfung des Zugangs Ende 2016 nicht dazu geführt, die diffuse Angst davor zu verringern, sondern habe den gegenteiligen Effekt gehabt.
071-2018 (hgw) 13. November 2018