Umgekehrt bedeutet dies auch, dass jeder fünfte Mann im Laufe seines Lebens seiner Frau gegenüber gewalttätig wird. Hier greift die Gewalt- und Krisenberatung des Katholischen Sozialdienst Hamm (KSD). "Der Mann steht bei uns im Mittelpunkt", sagt Gewaltberater Carsten Spindler, "60 Minuten lang reden wir über sein Erleben ohne zu werten". Das Angebot richtet sich an Männer und Jungen, die sich in einer Krise befinden. Die dem Gewaltkreislauf ein Ende setzen oder es erst gar nicht so weit kommen lassen wollen.
Angebote für Opfer von häuslicher Gewalt gibt es viele und schon lange. Täterarbeit steckt noch in den Kinderschuhen. Umso erfreulicher, dass das Bistum Münster eine Ausweitung der Beratung finanziert, findet Dr. Bernhard Hülsken, Koordinator des bistumsweiten Netzwerkes "Krisen- und Gewaltberatung für Männer und Jungen" im Diözesancaritasverband Münster. Denn Täterarbeit ist zugleich Opferschutz. Markus Brauckmann ist Anfang des Jahres in die Beratung in Hamm eingestiegen und tritt schrittweise die Nachfolge von Carsten Spindler an, der zukünftig nur noch für den Verband für katholische Dienste in Warendorf tätig sein wird. Bislang stand für beide Städte eine halbe Stelle zur Verfügung, seit Jahresbeginn ist es eine 70-Prozent-Stelle für Hamm und eine 80-Prozent-Stelle für die Region Warendorf.
Brauckmann ist gelernter Jurist, war viele Jahre in der Schuldnerberatung tätig und wird im September die Zusatzausbildung zum Gewalt- und Krisenberater abschließen. "Von einem Juristen wird eine Lösung erwartet, aber die gibt es nicht immer", musste der Gewaltberater lernen. Er sieht sich als Begleiter auf dem Weg zur Antwort. Der Mann aber müsse sich selber auf die Schliche kommen. Er könne die Tat nicht länger von sich weisen. "Er muss Verantwortung für sein Handeln übernehmen."
Spindler sagt ganz klar: "Wir bieten hier eine Beratung an, keine Therapie". Denn gewalttätiges Verhalten ist nicht krankhaft sondern erlernt. "Männer tragen Masken", so Brauckmann. Sie agierten oft anders, als es tatsächlich in ihnen aussieht. Die Folge: Sie verhalten sich angepasst und stellen ihre Bedürfnisse zurück, bis es nicht mehr geht. Die Tat ist dann eher ein Ausdruck von Ohnmacht und Hilflosigkeit. In der Beratung lernen die Männer sich selber zu hinterfragen und ihre Grenzen kennen. "Konflikte sollen nicht vermieden, sondern gestaltet werden", erklärt Spindler. Es geht darum, den Prozess in eine andere Richtung zu lenken anstatt zuzuschlagen.
Ein klar definiertes Täterprofil gibt es nicht. Der gewalttätige Mann als solcher ist nicht erkennbar. Männer in hohen Führungspositionen kommen ebenso zu Spindler und Brauckmann wie Arbeitslose. Etwa ein Drittel der Klienten stammt aus dem sogenannten Dunkelfeld. Nur zwei Personen wissen hier von der Tat: Der Mann und seine Frau. Andere sind bereits aktenkundig. Manche kommen weil sie müssen - richterliche Auflage. Aber die Erfahrung zeigt, dass auch diese Männer über die auferlegte Stundenzahl hinaus bleiben. "Echte Männer reden eben doch. Es muss nur ein passendes Angebot geschaffen werden. Und das haben wir hier in Hamm", freut sich KSD-Geschäftsführer Andreas Thiemann.
027-2017 (lu) 25. April 2017