Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, der heute im Kabinett verabschiedet wird, zeigt auf der Grundlage neuer Daten: Wer in Deutschland arm wird, bleibt es lange. Die Wahrscheinlichkeit, in der nächsten Fünfjahresperiode weiter der sozialen Lage "Armut" zuzugehören, liegt für arme Menschen aktuell bei 70 Prozent. "Besonders ernüchternd ist die Situation für Kinder und Jugendliche aus einkommensarmen Familien. Der Bericht zeigt, dass ein hoher Anteil der Kinder, die in Armut aufwachsen, sich auch im jungen Erwachsenenalter aus der Armut nicht befreien kann. Wir müssen Konsequenzen aus dem Bericht ziehen; Politik und Gesellschaft müssen sich dieser Verfestigung von Armut zuwenden," so Caritas-Präsident Peter Neher. "Wie sollen Kinder und Jugendliche eine Lebensperspektive entwickeln, wenn die Armut ein ständiger Begleiter ist?"
Je früher geholfen wird, desto besser
Der Armuts- und Reichtumsbericht zeigt, dass der sozialen Daseinsvorsorge eine große Bedeutung bei der Prävention und Überwindung von Armut zukommt. Besonders Hilfsangebote, die früh einsetzen, wirken nachhaltig präventiv. Frühe Hilfen für junge Eltern - etwa Babylotsen, die junge Familien rund um die Geburt begleiten und beraten -, Angebote der Familienpflege und Kinderbetreuung im Vorschul- und Grundschulalter gehören zu den Leistungen, welche gestärkt und flächendeckend gesichert werden müssen.
"Gleichwertige Lebensverhältnisse dürfen nicht auf das Straßen- und Mobilfunknetz reduziert werden. Wichtig ist vor allem das Netz sozialer Dienste und Einrichtungen, das Armutsspiralen vermeidet und Teilhabechancen sichert," so Neher.
Armut als Corona-Folge
Der Armuts- und Reichtumsbericht richtet ausdrücklich auch das Augenmerk auf die sozialen Folgen der Corona-Pandemie. Die vorliegenden Zahlen bestätigen die Risiken für kleine Selbstständige, aber auch für Familien und verschuldete Haushalte, die durch die Folgen der Pandemie zusätzlichen Armutsgefahren ausgesetzt sind. Mit dem Programm "Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche" hat die Bundesregierung nun gezielte Schritte getan, um die Folgen für junge Menschen abzufedern und besseren Zugang zu Sozialarbeit zu gewährleisten.
"Corona-Schutzschirme gegen sozialen Absturz sind wichtig, um die Gesellschaft gegen Entsolidarisierung zu impfen," so Neher. "Damit das Geld für Schulsozialarbeit und Frühe Hilfen an der richtigen Stelle ankommt, brauchen wir eine gute Zusammenarbeit zwischen Ländern, Kommunen und Wohlfahrtsverbänden," so Neher. "Wir brauchen deutlich mehr niedrigschwellige analoge und digitale Beratungsangebote für Familien, psychosoziale Angebote für Kinder und Jugendliche sowie Nachbarschaftshilfe und ehrenamtliches Engagement in den Quartieren."
Ein erfolgreiches niederschwelliges Angebot der Caritas ist die [U25]-Online-Beratung für junge suizidgefährdete Menschen. Sie wurde in den vergangenen Monaten deutlich ausgebaut, denn in der Pandemie haben die psychischen Belastungen von Kindern und Jugendlichen zugenommen.
Kinder und Jugendliche beteiligen
Auch beim Übergang von der Schule in die berufliche Bildung sieht der Deutsche Caritasverband Handlungsbedarf. Junge Menschen brauchen eine verlässliche Infrastruktur von Beratungs- und Förderangeboten in allen Schularten. "Bund und Länder sind dringend gefordert, die Begleitung dieses wichtigen Schrittes der Auswahl eines Berufsweges bundesweit nach einheitlichen Standards zu flankieren," so der Caritas-Präsident.
Neher kritisiert, dass Kinder und Jugendliche in der Pandemie im öffentlichen Diskurs häufig auf ihr Schüler- oder Studierenden-Dasein reduziert werden und plädiert dafür, sie an der Erarbeitung von Lösungen als Expertinnen und Experten in eigener Sache zu beteiligen. "Wir brauchen Dialogformate, in denen Kinder und Jugendliche ihre Sorgen, aber auch Lösungsideen einbringen können."