Endlich wählen
Für beide war es ein Tag der Freude und für ihre Unterstützer ein Sieg für die Demokratie: Klaus Winkel und Margarete Kornhoff aus Warburg durften bei der Europawahl erstmals ihre Stimme abgeben. "Ich durfte endlich wählen. Darüber freue ich mich", sagt Winkel. Hinter den beiden lag ein langer Weg, eine fünf Jahre währende juristische Auseinandersetzung vor dem höchsten deutschen Gericht, die für sie erfolgreich endete. Das Bundesverfassungsgericht gab den beiden Recht, und das gleich zweimal: Die Wahlrechtsausschlüsse für Betreute in allen Angelegenheiten sowie für wegen Schuldunfähigkeit untergebrachte Straftäter sind verfassungswidrig. Das entschied das Bundesverfassungsgericht am 29. Januar. Und das Wahlrecht galt - anders als von der Politik vorgesehen - auch schon relativ kurzfristig zur Europawahl. Mit dieser Entscheidung legte das oberste Gericht am 15. April noch einmal nach.
"Ich bin sehr glücklich über die Entscheidung, dass ich jetzt genau wie alle anderen wählen kann", sagte Margarete Kornhoff nach der ersten Entscheidung. "Vorher war es sehr unfair geregelt, das hat mich wütend gemacht. Und ich bin stolz, dass ich als eine der Klägerinnen zu diesem Urteil beigetragen habe." Gerade der Fall von Margarete Kornhoff machte die Widersinnigkeit des pauschalen Wahlrechtsausschlusses deutlich. Denn solange sie zu Hause lebte, durfte sie wählen. Erst nach ihrem Umzug in eine Einrichtung der Behindertenhilfe verlor sie ihr Wahlrecht, da sie seitdem in allen Angelegenheiten rechtlich betreut wird. Bei ihrer Klage wurde sie deshalb vom Träger ihrer Einrichtung, den Caritas Wohn- und Werkstätten Paderborn (CWW) unterstützt, ebenso wie von der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP), dem Deutschen Caritasverband (DCV) und der Lebenshilfe. "Ich finde das großartig", sagte denn auch der CWW-Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Vogt; und "Ein großer Tag für die Demokratie" der CBP-Vorsitzende Johannes Magin.
Schon 2013 reichten die beiden Warburger Kläger gemeinsam mit sechs weiteren von der Wahl Ausgeschlossenen Klage beim Bundesverfassungsgericht ein. Doch die Entscheidung des Gerichts verzögerte sich Jahr um Jahr. Auch 2017 durften die mehr als 85.000 betroffenen Menschen mit Behinderung bei den Bundestagswahlen noch nicht wählen. "Voll traurig" mache ihn das, nicht wählen zu dürfen, berichtete Klaus Winkel damals. Auch gegen den erneuten Ausschluss von der Wahl ging er gemeinsam mit den anderen Klägern vor. Inzwischen hatte sich in vielen Bundesländern aber schon die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Wahlrechtsausschluss vor dem Bundesverfassungsgericht wohl keinen Bestand haben würde. Einige Bundesländer, darunter auch Nordrhein-Westfalen, ließen Menschen mit Behinderung zur Landtagswahl zu, auch wenn sie in allen Angelegenheiten betreut werden. Klaus Winkel nutzte sein neu erworbenes Wahlrecht erstmals im Mai 2017. Es war eine Erfahrung, an die er sich gern erinnert. "Das war ein sehr gutes Gefühl, ein bisschen so, als ob ich verliebt wäre."
Trotz des ersten Urteils vom Januar: Die Europawahl am 26. Mai sollte nach dem Willen der Regierungsfraktionen außen vor bleiben. Zu kurzfristig seien die nötigen Wahlrechtsänderungen. Das sah die Opposition anders und rief erfolgreich das Bundesverfassungsgericht an. Sehr zur Freude von Klaus Winkel: Er legt Werte darauf, auch in Europa mitzubestimmen. "Es geht darum, wie es mit uns weitergeht, auch mit England und Deutschland", sagte er am Rande einer inklusiven Caritas-Veranstaltung in Warburg, bei der er sich zusammen mit rund 150 Teilnehmern für ein Europa des Friedens und der Chancengleichheit einsetzte. "Deshalb ist es wichtig, dass wir wählen."