Caritas sorgt für Karriereknick
Stoppen kriminelle Karrieren von Jugendlichen: (von links) Adrian Petric, Vera Berger und Lukas Klimek.Harald Westbeld
Mindestens ein Gewaltdelikt oder ersatzweise drei Diebstähle eröffnen die Chance auf den Karriereknick. Zumindest in Wesel und sieben weiteren Städten und Kreisen in Nordrhein-Westfalen. Der Projektname "Kurve kriegen" ist dabei wörtlich gemeint. In Wesel arbeitet die Caritas darin eng mit der Polizei zusammen, um bei auffällig gewordenen Kindern und Jugendlichen ab acht Jahren ein Abrutschen auf eine kriminelle Lebensbahn zu verhindern. Auch mit Heilpädagogischem Reiten, wie bei einem durch eine schlimme Schlägerei im Freundeskreis aufgefallenen 14jährigen, den Adrian Petric gerade betreut. Das war für die Polizei erst einmal befremdlich und die Pferdetrainerin hatte etwas Sorge um ihr Reittier, zeigt aber durchaus Erfolg. Ein gutes Beispiel für Vera Berger, Fachbereichsleiterin bei der Caritas Dinslaken-Wesel, dass ungewöhnliche und individuell gestrickte Lösungen gefunden werden müssen. Und wenn es die passende Hilfe noch nicht gibt? "Dann müssen wir sie erfinden," sagt Berger.
Nicht nur Vera Berger ist froh, dass die Vorbeugung mit "Kurve kriegen", initiiert vom Landesinnenministerium, einen neuen Stellenwert bekommt. Auch für Frank Hedderich, Adrian Petrics direkter Ansprechpartner bei der Polizei, eröffnen sich neue Möglichkeiten. Manche der Jugendlichen haben schon zehn oder 20 Anzeigen angesammelt und doch gab es kein rechtes Mittel, sie von weiteren Taten abzuhalten. Ratlos waren auch die Caritas-Mitarbeiter trotz 20 Jahren Erfahrung in Erziehungsbeistandsschaften: "Wir haben uns immer wieder gefragt, wie können wir gegensteuern?" Deshalb habe sich die Caritas auch so bemüht, "dieses Projekt zu ergattern," sagt Berger."
Der neue Ansatz ist zunächst einmal ein Ortswechsel. Adrian Petric hat ein Büro in der Polizeidirektion Wesel bezogen. Die Zusammenarbeit gelingt gut, beide Seiten haben viel von einander gelernt im ersten Projektjahr. Im konkreten Fall ist erst einmal Frank Hedderich am Zug. Aus den täglichen Anzeigen filtert er jugendliche Delinquenten, die am Beginn einer sich verfestigenden kriminellen Karriere stehen. Er nimmt Kontakt mit der Familie auf und sucht die Bereitschaft, dass Adrian Petric aktiv werden darf.
Überwiegend gelingt das. Wie bei dem 14jährigen, der sich mit seinem Cousin zu einer Schlägerei verabredet hatte. Im Gespräch mit ihm entdeckte er "sehr viel positives". Mit PCs kennt er sich hervorragend aus, schreibt eigene Programme und arbeitet nebenbei für ein Reiseunternehmen. Nur, so Petric, hat er ein Sprachproblem, ist schwer zu verstehen. Nebenbei habe er erzählt, dass er Pferde sehr möge. Womit die Idee des Heilpädagogischen Reitens geboren war. Das hat sich so gut bewährt, dass es schon verlängert worden ist.
Kurve kriegen bietet auch die Möglichkeit, langfristig mit den Kindern, Jugendlichen und Familien zu arbeiten. Bis zu zwei Jahre Zeit bleiben Petric. Ganz wichtig ist es für ihn, die Eltern einzubeziehen: "Sie benötigen häufig auch Hilfe". Über das ganze Spektrum an Unterstützungsmöglichkeiten hat er sich im Kreis Wesel erst einmal einen Überblick verschafft. Im ersten Jahr sind Wesel, Kamp-Lintfort, Moers und Dinslaken einbezogen worden. Ziel ist die Betreuung von 40 Familien im ganzen Kreis pro Jahr.
Eigentlich ist es auch kein Knick, der plötzlich zurück auf den "Pfad der Tugend" führt, sondern ein längerer Prozess. Unter anderem versuchen Petric und sein Kollege Lukas Klimek, den Jugendlichen Erfolgserlebnisse zu verschaffen. Denn ihre Agressionen rühren häufig daher, dass sie immer und immer wieder nur Misserfolge erleben. Gepaart mit einer geringen "Frustrationstoleranz" kann das eine gefährliche Mischung ergeben. "Durch eine enge Betreuung erleben sie auch mal Erfolg," sagt Vera Berger.
Im Durchschnitt sind die Jugendlichen, mit denen Petric und Klimek zu tun haben, 13 Jahre alt und haben schon einiges auf dem Kerbholz. Manches stellt sich erst im Lauf ihrer Gespräche in der Familie heraus, denn längst nicht immer kommt es zur Anzeige. Wobei es da wohl ein Stadt-Land-Gefälle gibt. Von den Kölner Kollegen, die ebenfalls bei Kurve kriegen mitmachen, hat Petric gehört, dass dort auch Achtjährige schon eine starke Tendenz zur kriminellen Karriere zeigen.
Geld ist nicht Thema im Projekt, aber eindeutig bleibt, dass diese Arbeit im Vorfeld später hohe Kosten vermeiden wird. Optimistisch ist Petric bei seinem 14jährigen Schützling. Dass er ein- bis zweimal in der Woche mit dem Fahrrad eine halbe Stunde Fahrt für den Weg zum Reiten auf sich nimmt, wertet er als gutes Zeichen. Eines seiner Probleme ist die Fremdwahrnehmung. Da erscheint die Arbeit mit dem Pferd ideal, denn auf jede Reaktion folgt unmittelbar eine Gegenreaktion.