Mehr als nur Geldsorgen
Kinder und Jugendliche leiden bei Überschuldung ihrer Eltern mit. Geraten sie selbst in die Schuldenfalle, ist oft das Handy der Auslöser... Foto: U. Fleischmann
Ist das Konto erst einmal ins Minus geraten, setzt sich oft eine Art Spirale in Gang: das Geld reicht hinten und vorne nicht aus, und mit jeder Rechnung wird der finanzielle Spielraum enger - bis man hoffnungslos überschuldet ist. Treffen kann es jeden, doch meist sind es unvorhergesehene Lebensereignisse, die die Schuldenspirale in Gang setzen: Krankheit, Arbeitslosigkeit, Scheidung, Tod des Ehepartners.
Christian Reuter, Mitarbeiter der Schuldner- und Insolvenzberatung beim Caritasverband für Stadt und Landkreis Fulda e.V., erklärt: "Überschuldet ist man dann, wenn man über einen längeren Zeitraum mehr Geld benötigt, als monatlich herein kommt. So kann man die Schulden nicht wieder abbauen - im Gegenteil, meist wächst das Minus noch immer weiter an, selbst wenn man zur Schuldentilgung den Lebenstandard verringert hat."
In der Konsequenz bedeutet das drohende Armut und soziale Ausgrenzung. Für die Betroffenen ist die prekäre wirtschaftliche Lage somit fast zwingend verbunden mit einer psycho-sozialen Destabilisierung. Reuter: "Überschuldete Menschen bedürfen daher einer umfassenden Hilfe, die über eine rein finanzorientierte, den Haushalt stabilisierende Beratung hinausgeht. Die Situation muss genau analysiert werden: Nicht nur die finanzielle Notlage, sondern auch die durch sie ausgelösten beziehungsweise verstärkten Probleme im im privaten Bereich müssen berücksichtigt werden."
Viele Überschuldete haben den Überblick über ihre eigene Situation völlig verloren oder die Augen lange Zeit einfach vor der Realität verschlossen. Zum Beispiel jene junge Frau, Hartz IV-Empfängerin und Mutter zweier Kinder, die in die Notfallsprechstunde der Schuldnerberatung kam, weil sie einfach nicht mehr weiter wusste: 22.000 Euro Schulden, verteilt auf 93 Gläubiger. "Ich muss dann als Schuldnerberater erst einmal festlegen, welches Problem am dringlichsten ist, und in welcher Reihenfolge eine Lösung mit dem Klienten erarbeitet werden sollte. Womöglich müssen auch weitere Fachberatungsdienste hinzugezogen werden."
Dem gelernten Versicherungskaufmann Reuter ist es wichtig, die Aufgabe "Schuldnerberatung" in ihrer ganzen Komplexität und ihren gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen wahrzunehmen.
Kinder schuldlos arm dran
Die Begleitumstände der Einkommensarmut - mehr als die Hälfte der überschuldeten Haushalte verfügen nicht einmal über 900 Euro monatlich und haben damit weniger als den Pfändungsfreibetrag - wie Schamgefühle, Resignation, depressive Stimmungen bis hin zur Krankheit erleben nicht nur die Eltern, sondern insbesondere auch die Kinder. "Die Kinder haben nämlich oft ein sehr feines Gespür für die Problemlagen ihrer Eltern, auch wenn sie diese vielleicht nicht genau verstehen können. In den Familien wird darüber aber auch meist nicht altersgerecht mit den Kindern gesprochen, und so sehen sie sich der Situation ohnmächtig ausgeliefert und fühlen sich mitunter sogar daran mitschuldig", resümiert Christian Reuter.
Im Rahmen einer Erhebung "Überschuldung Privater Personen und Verbraucherinsolvenzen", die das Statistische Bundesamt mit 212 von deutschlandweit insgesamt 950 Schuldnerberatungsstellen 2008 erstellt hat, wurden Daten von 57.000 Überschuldeten ausgewertet. Hiernach sind in 37 Prozent der Fälle Kinder von Überschuldung direkt mit betroffen. Die Arbeit der Schuldnerbarater zielt immer darauf ab, auf der materiellen Ebene zunächst eine Optimierung des Haushaltsbudgets zu erreichen. Das heißt, überflüssige Ausgaben müssen eingestellt und primäre Zahlungsverpflichtungen wie Miete und Strom sichergestellt werden. Durch diesen "Ballastabwurf" gewinnen die Familien dann auch in Bezug auf ihre Kinder Spielraum für dringende Ausgaben wie Kinderkleidung oder Schulmaterial.
Haushaltsführung erlernbar
Minderjährige selbst übrigens können sich nach geltendem Recht persönlich nicht überschulden, denn ohne Einwilligung der Eltern dürfen sie keine eigenen rechtsverbindlichen Verpflichtungen eingehen, die zu Schulden führen könnten. Handyverträge als so genannte Dauerschuldverhältnisse ohne genaue Festlegung der monatlichen Betragshöhe stellen dabei eine unrühmliche Ausnahme dar, wobei nicht klar ist, wie viele Jugendliche unter 18 Jahren in diese Schuldenfalle tatsächlich tappen. Die Schuldnerberatung fasst in ihrer Statistik Minderjährige und junge Volljährige als "Unter 25-Jährige" zusammen. In Bezug auf diese Gruppe ist ein überproportional genannter Grund für die Überschuldung neben der Arbeitslosigkeit die so genannte unwirtschaftliche Haushaltsführung. "Das bedeutet eigentlich nichts anderes, als dass man nicht mit seinem Geld umgehen kann", erläutert der Fuldaer Schuldnerberater. "In der Tat lernen viele junge Menschen Haushaltsführung ja auch einfach nicht mehr, weder bei ihren Eltern noch in der Schule. Der leichterte Zugang zu EC-Karten, zu Krediten, die Möglichkeiten zur Ratenzahlung oder zur späteren Zahlung des Kaufpreises - all dies wirkt sehr verführerisch, birgt aber auch die Gefahr in die Schuldenfalle zu tappen".
Gerade bei der Gruppe der Jugendlichen müssten deshalb nach Ansicht von Christian Reuter Präventionsprogramme ansetzen: "Sofern die Fähigkeiten für den verantwortlichen Umgang mit Geld nicht innerhalb familiärer Strukturen eingeübt werden können, wäre es sozialstaatliche Verantwortung, entsprechende Curricula für den schulischen Bereich zu entwickeln. Auch eine Public-Privat-Partnership von Schule, Wohlfahrtsverbänden und Kreditwirtschaft wäre aus meiner Sicht denkbar, um die Überschuldung junger Menschen zu verhindern."
Christian Scharf