Anstifter zu mehr Offenheit
Die Erkenntnis traf die beiden wie ein sanfter Blitz. Als sie in 1794 Metern Höhe auf der Spitze des "Hohen Kasten" in den Schweizer Alpen standen und die Welt um sie herum ganz klein war. Während Irene Pill und Bernd Mayer die Blicke über die große Weite schweifen ließen, sprachen sie über ihre bevorstehende Hochzeit. Über ihre Zukunft, über das Leben zu zweit. Aus Altersgründen konnten sie sich ihren Kinderwunsch nicht mehr erfüllen. Deshalb trieb sie die Frage um: Was wollen wir bewirken? Was wollen wir der jungen Generation hinterlassen?
Und da kam der Blitz. "Warum gründen wir nicht eine Stiftung für Kinder, wenn wir schon keine eigenen bekommen können?", fragte Irene ihren Bernd. Und Bernd schaute seine Irene liebevoll an, so, wie er sie immer anschaut, und nickte. Die Idee war geboren. Die kleine, feine "Dr. Irene Pill und Dr. Bernd Mayer Stiftung für interkulturellen Dialog" fördert seit 2011 interkulturelle Projekte für Kinder und Jugendliche. Von dem kleinen Ort Wolfegg im Oberschwäbischen aus lenkt das Paar sein persönliches Lebenswerk. Wobei das Lenken vor allem aus Denken besteht. Irene Pill kommt in Fahrt, wenn sie über ihre Pläne spricht ("Ich habe da noch viele Ideen"). Welche Projekte noch in der Pipeline lauern. Wer noch im Beirat der Stiftung mitmachen könnte …
Gutes in Kinderköpfe pflanzen
Beide Eheleute leben und arbeiten in, mit und für die Kultur. Bernd Mayer ist promovierter Kunsthistoriker, Irene Pill schrieb ihre Doktorarbeit über die Tübinger Universität, hängte ein Zusatzstudium in Interkultureller Kompetenz an und arbeitet im Kulturmanagement. Was lag da näher, als das gemeinsame Steckenpferd in den Mittelpunkt zu stellen? Pill und Mayer wollen Kindern und Jugendlichen eine interkulturelle Welt vermitteln. Ihnen zeigen, dass Menschen unterschiedlich sind. Dass es verschiedene Religionen, Meinungen und Eigenheiten gibt. Irene Pill hatte den 11. September 2001 in den USA erlebt. Und die Reaktionen in der Welt, die Abschottung und die gegenseitigen Beschuldigungen. Vieles davon ist heute noch spürbar. Dagegen tut die Pill Mayer Stiftung etwas. Gegen Intoleranz und Engstirnigkeit, Überheblichkeit und Egoismus. "Und das geht eben am besten bei den Kindern", sagt Bernd Mayer. "Man kann in diese kleinen Wesen etwas einpflanzen, was später einmal reiche Frucht bringt."
Zum Beispiel mit interkulturellen Bücherboxen, die kindgerecht für eine offene, tolerante Welt werben. Gefördert vom Rotary Club, übergaben Irene Pill und Bernd Mayer die erste Box im Juli 2014 einem Kindergarten in einem Stadtteil Ravensburgs, wo Menschen aus vielen Ländern ein neues Zuhause suchen. Sofort stürzten sich die Kinder auf die Bücher. Die Angestellten im Rathaus haben von der Aktion in der Zeitung gelesen und reagierten schnell. Dank einer Kooperation mit der Stiftung haben inzwischen alle 38 Ravensburger Kindergärten solche Bücherboxen. So setzt das Wolfegger Ehepaar den vielen Meldungen über Kriege, Konflikte und Feindschaften sein kleines Werk entgegen. Oder - seit 2015 - mit seinem neuen Förderpreis für interkulturellen Dialog. Das Interesse daran ist groß. Weltweit. Bewerbungen gingen unter anderem aus Guatemala und Südafrika, Belgien und Tunesien ein. Und von einem jüdisch-arabischen Kinderprojekt im israelischen Jaffa.
Man kann: Eine Stiftung funktioniert auch mit wenig Geld
Dabei hatten Irene Pill und Bernd Mayer ihre Stiftungsgründungsarbeit eher zögernd begonnen. Beeindruckt von den Großen der Branche fragten sie sich, ob Stiftung auch mit wenig Geld geht. Ermutigt von ihrem Freundeskreis stellten sie fest: Es geht. Thomas Reuther, der damalige Geschäftsführer der CaritasStiftung "Lebenswerk Zukunft" in Stuttgart, machte mit dem Slogan "Sinnmaximierung statt Geldmaximierung" aus den zaghaften Wolfeggern entschlossene Wolfegger. Die bringen jetzt statt viel Geld ihre Kompetenz und ihre Erfahrung ein - und ganz viel Arbeit. Dabei verstehen sich die beiden Stifter eher als Anstifter. Sie beziehen Freunde, Nachbarn, soziale Netzwerke und berufliche Verbindungen ein. Das Schneeballprinzip funktioniert. Eine Juristin berät unentgeltlich, Grafiker übernehmen die Gestaltung von Flyern und Internet. Viele Bekannte fragen, wie sie helfen können ("Sagt einfach Bescheid"). Und ein guter Freund hat ihnen anvertraut: "Wundert euch nicht, wenn mein Testament eröffnet wird." So etwas macht die beiden rührigen Schaffer aus Wolfegg glücklich.
Schatulle aufstellen als Sammelprinzip
Irene Pill und Bernd Mayer bitten eigentlich nie direkt um Geld. Irene Pill beschreibt die stiftungsübliche Vorgehensweise so: "Wir machen lieber eine Aktion, laden viele Menschen ein und stellen dann ein Kässle auf." Wie bei ihrer Hochzeit am 17. April 2011. Das Paar wollte keine Geschenke, verwies vielmehr auf die Schatulle hinten im Festsaal. Als Irene Pill nach der Feier den Deckel hob, schossen ihr die Tränen in die Augen. Auch bei Bernd Mayers 60. Geburtstag funktionierte das Kässle-System ganz wunderbar.
Ausgerechnet enge Freunde rieten dringend von der Stiftungsgründung ab: "Ihr werdet euer blaues Wunder erleben." Die Prophezeiung wurde Wirklichkeit - wenn auch anders als gemeint. Irene Pill lacht: "Wir haben tatsächlich schon viele blaue Wunder erlebt. Eins schöner als das andere."
Für ihren Ruhestand planen Irene Pill und Bernd Mayer noch viele kreative Projekte für die nächste und die übernächste Generation. Und noch viele blaue Wunder.
Information und Kontakt
Die Pill Mayer Stiftung unter dem Dach der CaritasStiftung "Lebenswerk Zukunft" hat ihren Sitz in Wolfegg, zwischen Ravensburg und Leutkirch.
Pill Mayer Stiftung für interkulturellen Dialog
kultur@pillmayerstiftung.org
www.pillmayerstiftung.org