Heimat als Aufgabe und Grundlage menschlicher Existenz
"Heimat" hat viele Facetten.Deutscher Caritasverband/ Foto: Monika Höfler
So war "Heimat" im Dritten Reich für unzählige Menschen gleichbedeutend mit "Ausschluss" aus der Gemeinschaft, in der sie sich heimisch gefühlt hatten und fühlen wollten – ein Ausschluss mit inhumanen und verbrecherischen Konsequenzen.
Dabei sind der Ursprung des Wortes "Heimat" und seine früheren Gebrauchsweisen eher nüchterner Art: Die Etymologie von "Heimat" verweist auf das urindogermanische Wort "*kei-", das "liegen" bedeutet. In diesem Sinne ist "Heimat" ein "Lager" beziehungsweise der "Ort, wo man sich niederlässt".1 Im Althochdeutschen wird hieraus "heimōti", was so viel wie "Grundbesitz" oder "Gut" meint.2 Diese territoriale und materielle Konnotation spiegelte sich im 19. Jahrhundert auch im "Heimatrecht" wider. Damit verbindet sich der Ort, an welchem dem Menschen quasi staatliche Versorgung im Fall von Krankheit und Armut garantiert wurde und wo er Anrecht auf eine letzte Ruhestätte hatte.3 Heimat wird hier zu einer Voraussetzung für Menschsein in der Gesellschaft; ohne Heimat kann der Mensch sich nicht entfalten. Sie ist die Grundlage für die staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten einer und eines jeden.
Bedeutungswandel eines Begriffs
Seine "romantischen Hypotheken" erhielt der Heimatbegriff, als er im Zuge der Industrialisierung zum Gegenpol der entstehenden Moderne und Urbanisierung wurde.4 Er versinnbildlichte das Heimweh nach den ländlichen Orten, die man auf der Suche nach Arbeit in den Städten zurückgelassen hatte. "Heimat wurde die Idylle, der ideale Ort und die ideale Natur, wo man ganz bei sich, befreit und frei sein konnte."5 Dieser lokale Bezugsrahmen trat im ausgehenden 19. Jahrhundert in den Hintergrund; dagegen erhielt der Begriff eine verstärkt patriotische und politische Konnotation: "Heimat" wurde zum "Vaterland". Im deutschen Sprachgebrauch ist diese Gleichsetzung zunächst auch Ausdruck einer zunehmend gespaltenen Gesellschaft mit sozialen Gegensätzen und Menschen ohne Besitz und Hof, für die die "Nation" zur neuen Identifikationsfigur wurde.6
Im Dritten Reich erlitten viele durch Krieg sowie durch eine rassistische "Blut und Boden"-Ideologie, in der die Zugehörigkeit zu einer Nation über Abstammung und Siedlungsraum definiert wurde, jedoch den Verlust ihrer "Heimat". Dies führte dazu, "dass in diesem Volk … das Reden über ‚Heimat‘ für eine gewisse Zeit seine Unschuld verloren hat". Doch Rüdiger Safranski fügt seiner Aussage gleich hinzu: "Aber hoffentlich nur für eine gewisse Zeit" – denn es brauche wieder eine Positivbewertung von "Heimat".7 Tatsächlich ist für neun von zehn (wahlberechtigten) Deutschen "Heimat" "wichtig" und "positiv", wie eine bundesweite Umfrage aus dem Jahr 2015 ergab.8 Bereits im selben Jahr, in dem auch Safranskis Essay erschien, hatte der Deutsche Sprachrat im Rahmen des von ihm ausgerufenen Wettbewerbs "Das schönste deutsche Wort" festgestellt, dass "Heimat" eines der liebsten Termini im Vokabularium ist; es kam auf den vierten Platz der meistgenannten Wörter.
"Heimat ist da, wo das Herz wehtut."Deutscher Caritasverband/ Foto: Monika Höfler
"Heimat kann man riechen, schmecken, fühlen"
Als der Schweizer Historiker und Diplomat Carl J. Burckhardt 1954 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, formulierte er in seiner Dankesrede, dass "Heimat … ein Wort [ist], das unser Sprachgeist erschaffen hat, das in anderen Sprachen nicht zu finden ist".9 In der Tat ist der Begriff nicht ohne weiteres zu übersetzen – was jedoch nicht zu der irrigen Annahme führen sollte, dass die dahinterstehenden Inhalte nicht auch bei Menschen außerhalb des deutschen Sprachraums zu finden seien. Denn Heimat steht "für Familie. Heimat meint Erinnerungen. Heimat lässt sich verorten. Heimat kann man riechen, schmecken, fühlen. Heimat ist da, wo das Herz wehtut. … Diese Eigenschaften erscheinen beinah zeitlos"10 – und unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder kultureller Prägung. Sie sind Teil der conditio humana.
Es sind drei grundlegende Merkmale, die Heimat auszeichnen beziehungsweise die Bedingung dafür sind, dass Heimat entstehen kann: So braucht es das Gefühl, zu einer Gemeinschaft dazuzugehören, in ihr anerkannt zu sein (Sense of Community). Darüber hinaus setzt Heimat ein bestimmtes Wissen über die geltenden Regeln und (Verhaltens-)Normen, auch die Kenntnis der Sprache, voraus, die den eigenen Alltag selbstverständlich werden lassen. Dieses Wissen ist es, das zum einen Sicherheit und Vertrauen, zum anderen Handlungsfähigkeit ermöglicht (Sense of Control). Schließlich muss man in der Heimat ein sinnstiftendes Dasein erfahren können. Verantwortung übernehmen und in der Gesellschaft partizipieren zu können, bewirken die Identifikation mit dem Ort, wo man lebt (Sense of Coherence).11
Die Aufgabe lautet: "Zusammen Heimat schaffen für alle".Deutscher Caritasverband/ Foto: Monika Höfler
Die Welt zur Heimat umbauen
Ein Blick in die Bibel zeigt aber auch: Irdische Heimat ist offenbar nur etwas vorläufig Gegebenes. Die Erzählungen des Alten und Neuen Testaments berichten von Menschen, die unterwegs sind, die aus ihrer Heimat fliehen müssen, die Heimat suchen und wiedergewinnen – die zu Fremden werden, die Gäste sind und die eine neue Lebensgrundlage und Existenz finden.
Denn Heimat ist nicht statisch, sie ist veränderbar, ein Prozess – der Mensch ist auf Heimat angewiesen, aber zugleich fähig, diese neu werden zu lassen. Folgt man dem Philosophen Ernst Bloch, der den Begriff an den Schluss seines Hauptwerkes "Das Prinzip Hoffnung"12 stellt, so ist es die existenzielle Aufgabe der Menschheit, die Welt zur Heimat umzubauen, eine Heimat zu schaffen, die so noch nicht ist. Im Konkreten bedeutet das: "Zusammen Heimat schaffen für alle", an der diejenigen mitwirken, die schon länger Heimat haben und die, welche diese erst neu gefunden haben. So ist die Entscheidung des Deutschen Caritasverbandes nicht nur eine mutige, sondern eine unbedingt menschennotwendige.
Anmerkungen
1. Joisten, K.: Der Mensch als Heim-weg. In: Klose, J.; Pöttering, H.-G. (Hrsg.): Wir sind Heimat. Annäherungen an einen schwierigen Begriff. St. Augustin/Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung, 2012, S. 15.
2. Bastian, A.: Der Heimat-Begriff. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung in verschiedenen Funktionsbereichen der deutschen Sprache. Tübingen: Niemeyer, 1995, S. 20 f., S. 99.
3. Heilingsetzer, G.: Verortung und Identität. Wer bin ich ohne Heimat? Hamburg: disserta, 2014, S. 21.
4. Bausinger, H.: Typisch deutsch? Wie deutsch sind die Deutschen? München: C.H. Beck, 2000, S. 72.
5. Joisten, K., a. a. O., S. 17.
6. Bausinger, H.: Was bedeutet eigentlich Heimat? In: Der Bürger im Staate 33/34. 1983, S. 212 f.
7. SafranskiI, R.: Heimat. In: Du. Das Kulturmagazin 64, 2004, S. 89.
8. Infratest Dimap [Bundesweite Umfrage 2015] [Online abrufbar].
9. Burckhardt, C. J.: Heimat. In: Börsenverein d. dt. Buchhandels (Hrsg.): Friedenspreis d. Dt. Buchhandels, 1954, S. 5 [Online abrufbar].
10. Egger, S.: Heimat. Wie wir unseren Sehnsuchtsort immer wieder neu erfinden. München: Riemann, 2014, S. 11.
11. Mitzscherlich, B.: Heimat ist der Raum, in dem wir uns sicher bewegen können. In: Zöller, R. (Hrsg.): Was ist eigentlich Heimat? Annäherung an ein Gefühl. Bonn: bpb, 2015 [Lizenzausgabe], S. 169.
12. Bloch, E.: Das Prinzip Hoffnung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1977.
Der Artikel erschien im Original in der Beilage der neuen caritas "Migration & Integration Info", Ausgabe 1/2017.
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