Gleichwertige Ganztagsbildung für alle!
Am 15.11.22 luden der Deutsche Caritasverband sowie der Bundesverband Caritas Kinder- und Jugendhilfe (BVkE) aus aktuellem Anlass zu einer Fachtagung. Die Tagungsleitungen Liane Muth, DCV, und Luisa Neininger, BVkE, führten in Ziel und Thema der Fachtagung ein. Sie gingen ein auf die politischen Hintergründe: Angesprochen wurde die Einführung des Rechtsanspruchs auf Ganztagesförderung für Kinder im Grundschulalter ab 2026, der gestartete Ausbau des Platzangebots, die hierfür bereitstehenden Gelder und der noch notwendige Abschluss der Verwaltungsvereinbarung II zum Ganztagsförderungsgesetz.
Dargestellt wurde auch das vielfältige Involvement der Caritas mit zahlreichen Fachkräften und Ehrenamtlichen, die in pädagogischen Settings arbeiten und sich engagieren: in der Angebotsvielfalt des Ganztags, etwa in Kindertageseinrichtungen/Horten, Fachberatungen, in Schulen. Es gelte nunmehr, den Ganztag entwicklungsförderlich für alle Kinder zu gestalten und das Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag zu begleiten, einen gemeinsamen Qualitätsrahmen zu entwickeln, dabei die Erfahrungen der Praxis zu berücksichtigen und wissenschaftlich zu reflektieren.
Ganztagesförderung für Kinder im Grundschulalter
Als erster Vortragender sprach Prof. Johannes Münder, der im Vorfeld der gesetzlichen Verankerung des Rechtsanspruches hierzu rechtliche Expertisen erstellt hatte und aktuell die Weiterentwicklung der Gesetze zur Kita-Qualität und Umsetzungsfragen des Ganztags in den Ländern juristisch begleitet.
In seinem rechtswissenschaftlichen Fachvortrag zur Verortung von Qualitätsstandards für die Betreuung von Kita- und Grundschulkindern mit dem Titel "Qualität braucht einen Rechtsrahmen" gab Prof. Dr. jur. Johannes Münder (em.) wichtige Hinweise dazu, wie Qualität gesetzlich abgesichert werden könnten. Er erläuterte Hintergründe und Mechanismen des kooperativen Föderalismus, machte deutlich welche Gesetzgebungskompetenzen Bund und Länder haben bzw. nicht haben (Stichwort konkurrierende Gesetzgebung), diskutierte Verortungsmöglichkeiten für Qualitätsstandards. Er machte dabei deutlich, dass eine rechtlich eindeutige und verbindliche Regelung nicht für alle Qualitätsaspekte im Ganztag möglich sei.
Anschließend gab Luisa Neininger einen Einblick in das BVkE-Projekt "Zukunft Ganztagsbetreuung", in dessen Verlauf der BVkE eine Abfrage zum Ganztag auf den Weg gebracht hat. Monika Feist-Ortmanns, Direktorin des Forschungsinstituts Institut für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ) in Essen, stellte in ihrem Vortrag "Guter Ganztag?! Was Kinder, Eltern, Fachkräfte dazu sagen" Ergebnisse der bundesweiten Bestandsanalyse 2022 vor. Sie konnte deutlich machen, welche Problemfelder, aber auch Ressourcen im Arbeitsfeld Ganztag erkennbar sind.
Dr. Mike Seckinger, Deutsches Jugendinstitut, sprach in seinem thesenreichen Vortrag "Warum es Fachkräfte braucht - Eine wissenschaftliche Einordnung zur Qualifikation des Personals im Ganztag" über die Notwendigkeit des Arbeitens mit Fachkräften - und über die Notwendigkeit konkrete, auch Übergangs-Lösungen für den Mangel an Fachkräften zu finden. Gleichzeitig dürfe die Ausbildung nicht verwässert werden. Beispielsweise benötige das sozialräumliche Arbeiten im Ganztag Kenntnisse, über die nicht pädagogisch qualifiziertes Personal in der Regel nicht verfüge.
Multiprofessionelle Kooperation im Ganztag
Mit dem Ziel, ein Beispiel dafür zu geben, wie multiprofessionelle Kooperation im Ganztag gelingen kann, trugen Marina Schramm, OGS-Koordinatorin an der Paul-Schneider-Grundschule Münster; und Christina Kleinefenn, Bereichsleitung Schulnahe Jugendhilfe, Caritas Münster, Lösungen für die vielfältigen Schnittstellen zwischen Schule und Jugendhilfe vor in einem offenen Ganztagskonzept vor.
Den Schlusspunkt der Tagung bildete eine Gesprächsrunde unter dem Titel "Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbildung kommt - mit einem gemeinsamen Qualitätsrahmen? Im Gespräch mit Akteuren, die an der qualitativen Weiterentwicklung arbeiten". Diese wurde von Peter Baumeister, BVkE, und Liane Muth, DCV, moderiert. Die Mitwirkenden vertraten engagiert ihre jeweiligen Perspektiven. Marion Binder, für den Ganztag zuständige Referatsleiterin im BMFSFJ, betonte, welch großer Erfolg die Verortung des Rechtsanspruches im SGB VIII und die umfängliche finanzielle Beteiligung des Bundes am Ausbaugeschehen sei. Jörg Freese, Beigeordneter des Deutschen Landkreistags, vertrat die kommunale Ebene: Der Rechtsanspruch sei vor Ort umzusetzen, aber mancherorts seien die Umsetzungsprobleme aufgrund des Personalmangels so gewaltig, dass der qualitätsvolle Ausbau des Ganztags in Gefahr stehe. Ines Rackow, leitende Oberstudienrätin aus der Senatsverwaltung Berlin, berichtete von den Vorhaben des Landes Berlin, sich 2024 mit der Kultusministerkonferenz über Qualitätsstandards für den Ganztag zu verständigen. Stephan Bachmann aus dem Bildungsministerium Rheinland-Pfalz betonte ebenfalls die Notwendigkeit von Qualitätsstandards und den Willen seines Landes, an länderübergreifenden Qualitätsstandards mitzuarbeiten. Dr. Markus Mayer, u.a. auch für den baden-württembergischen Ganztag mit zuständiger Referatsleiter aus dem Diözesan-Caritasverband Freiburg, problematisierte, dass die Qualitätsfragen in Baden-Württemberg aktuell darauf reduziert werden, dass Angebote der Jugendhilfe unter Schulaufsicht gestellt werden. Prof. Dr. jur. Johannes Münder machte ebenfalls deutlich, dass die Schulaufsicht nicht die notwendige Qualitätssicherung biete die es aus Jugendhilfesicht brauche.
Auch die Teilnehmer:innen der Tagung - zugeschaltet waren insgesamt 145 Personen - beteiligten sich im Chat und mündlich an der Diskussion. Dabei wurde deutlich, dass das Arbeitsfeld Ganztag auch für die Caritas ein aktuell brennendes Thema ist.