"Wir brauchen eine Gesetzesänderung" (Teil 3)
Roman Schlag ist Referent für allgemeine Sozialberatung, Arbeitslosigkeit, Armut, Schuldnerberatung beim Diözesan-Caritasverband Aachen und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) auf Bundesebene.Foto: Christian Heidrich
Caritas in NRW: Wo sehen Sie die Widerstände?
Roman Schlag: Widerstände rühren vor allem daher, dass gesagt wird: Wenn wir an einer Stelle etwas für die Schuldnerberatung ausgeben, müssen wir dieses Geld an einer anderen Stelle wegnehmen. Und da Kommunen ohnehin kaum Luft haben, wird das als problematisch gesehen. Es ist ein großer Schritt, im SGB XII den notwendigen Paragrafen zu verankern. Die Motivation in der Politik, dies zu tun, scheint mir nicht sehr groß. Klar ist aber auch: Wenn man die Politik auf die Notwendigkeit einer Gesetzesänderung hinweist, ist sie sich der Problematik schon bewusst. Daher geht es zurzeit vor allem darum, möglichst viele Politiker dafür zu sensibilisieren, dass wir an der Stelle ein Problem haben.
Caritas in NRW: Sie waren jüngst für die SPD-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen als Sachverständiger bei einer Anhörung im Ausschuss für Verbraucherfragen und im Rechtsausschuss. Worum ging es bei der Anhörung?
Roman Schlag: Es ging um eine Anfrage der Fraktionen von SPD und Grünen, in der gefordert wurde, Schuldnerberatung für alle zu ermöglichen und die Trennung in Insolvenz- und Schuldnerberatung aufzuheben. Meine Erfahrung war: Die Politiker haben viele Fragen gestellt. Dies geschah mit dem Ziel, zu verstehen, was Schuldnerberatung tatsächlich leistet: Schuldnerberatung bietet nicht nur die rein rechtliche Abwicklung der Verschuldungssituation. Auch psychosoziale Beratung und pädagogische Beratung spielen eine Rolle. Ich habe den Eindruck: Selbst wenn das Ansinnen von SPD und Grünen wegen der Mehrheitsverhältnisse im Landtag nicht umgesetzt wird, ist ein Problembewusstsein geweckt worden. Es wurde deutlich: Was die Finanzierung der Schuldnerberatung angeht, haben wir in Nordrhein-Westfalen einen großen Flickenteppich. Die Finanzierung ändert sich an bald jeder Kommunalgrenze. Es gibt keine Einheitlichkeit in der Frage, ob ich eine Beratung kostenfrei bekommen kann oder nicht.
Caritas in NRW: Warum ist die aus Sicht der Caritas so wichtig?
Roman Schlag: Wir müssen als Solidaritätsstifter und Anwalt für die Menschen fordern, in den Kommunen gleichbleibende Beratungsmöglichkeiten vorzuhalten. Es kann nicht sein, dass der eine Personenkreis mehr schlecht als recht beraten werden kann und ein anderer davon vollkommen ausgeschlossen ist, obwohl er Bedarf hat, beraten zu werden, und er sich selbst die Beratung nicht leisten kann, nur weil er auf dem Papier ein Einkommen hat, mit dem er keinen Grundsicherungsanspruch hat. Es wäre vollkommen fatal zu sagen: Um in den Genuss kostenfreier Schuldnerberatung zu kommen, muss es erst einmal so weit kommen, dass ich nicht nur überschuldet bin, sondern auch noch in die Sozialleistungsbedürftigkeit abrutsche. Das würde jedem präventiven Ansatz, um eben nicht in die Leistungsbedürftigkeit abzurutschen, wie ihn das SGB II eigentlich vorsieht, entgegenstehen.
Caritas in NRW: Wie kann die Beratung mir helfen, und wie finde ich den Weg raus aus den Schulden?
Roman Schlag: Die Beratung wird zunächst das Allerwichtigste abklären: Gibt es existenzgefährdende Situationen? Droht Verlust des Wohnraums? Drohen Stromsperren? In solchen Fällen würde die Beratung sofort intervenieren, um die Existenz zu sichern. Ist das geklärt, wird die Beratung den Klienten zunächst einmal motivieren und stärken, sich seiner Überschuldungssituation zu stellen. Das heißt, dass er wieder anfängt, sämtliche Briefe zu öffnen, dass er anfängt - auch mit Unterstützung der Beratung - seine Unterlagen zu sortieren. Es wird also mit einer Schuldenanamnese begonnen. Und in weiteren Schritten wird genau geschaut, welche Lösungsmöglichkeiten es für die Verschuldungssituation gibt und welche Unterstützung die Familie benötigt, damit sie sich auch psychisch wieder stabilisieren kann.
Caritas in NRW: Wenn ich einmal bei einer Beratungsstelle gelandet bin, wird diese mich auch durch den gesamten Prozess begleiten?
Roman Schlag: Es ist das Ziel einer Beratung, den Klienten durch den gesamten Prozess zu begleiten. Eine gute Schuldnerberatungsstelle wird bei einem eröffneten Insolvenzverfahren die Beratung nicht einstellen. Der Ratsuchende ist aufgefordert, sich jederzeit bei Fragen oder Problemen an die Beratungsstelle zu wenden auch im Hinblick darauf, dass die Beratungsstelle erklärt, was weiter passiert.
Caritas in NRW: Das Insolvenzverfahren ist dann die Lösung, um wieder aus der Überschuldung herauszukommen?
Roman Schlag: Es ist häufig eine Lösung, aber nicht zwangsläufig die Lösung. Es ist ganz wichtig: Das Verbraucherinsolvenzverfahren ist innerhalb des Beratungsprozesses eine Möglichkeit, um aus der Überschuldung herauszukommen, um wieder ein schuldenfreies Leben führen zu können. Unter Umständen müssen diese oder andere Wege aber gar nicht notwendig sein. Es ist wichtig, im Beratungsprozess genau zu beobachten und zu analysieren, wieweit ein Insolvenzverfahren Sinn macht oder nicht.
Caritas in NRW: Es gibt Bemühungen in der Politik, das Insolvenzverfahren zu verändern. Welche Hintergründe hat das?
Roman Schlag: Die Europäische Union hat eine Richtlinie entworfen, um zu erreichen, dass die Insolvenzverfahren für Unternehmen und Privatpersonen einheitlich geregelt werden. Man hat sich verständigt, dass ein Insolvenzverfahren für Unternehmen zukünftig drei Jahre dauern soll. Die Richtlinie ließ offen und gab die Möglichkeit, diese Regelung auch auf die Verbraucherinsolvenzverfahren anzuwenden. Nach derzeitigem Stand hat das Bundesjustizministerium angekündigt, eine Vorlage zu erarbeiten, die besagt: Auch für Verbraucher soll die auf drei Jahre verkürzte Verfahrensdauer angewendet werden. Das begrüßen wir sehr. Aller Voraussicht nach wird diese Regelung mit dem letztmöglichen Termin, den die EU-Richtlinie gewährt, im Jahr 2022 in Kraft treten. Es wird allerdings an Übergangslösungen gearbeitet, damit Insolvenzverfahren, die jetzt sechs Jahre dauern, nicht mehr beantragt würden, sondern dass es insgesamt eine sukzessive Verkürzung des Verfahrens gibt, bis die neue Regelung in Kraft tritt.
Caritas in NRW: Begrüßt die Caritas die Entwicklung?
Roman Schlag: Die Caritas begrüßt diese Entwicklung ausdrücklich. Wir hoffen darauf, dass wegen der guten Erfahrungen, die wir mit dem Insolvenzverfahren bislang gemacht haben, wenig Weiteres verändert wird. Das zeichnet sich ab. Aus dem Referentenentwurf, der in den nächsten Tagen und Wochen kommen soll, wissen wir, dass es im wesentlich eine Veränderung der gesetzlichen Vorgaben geben wird, die im Wesentlichen zu einer Verkürzung des Insolvenzverfahrens führen wird.
Caritas in NRW: Sind überschuldete Menschen Ihrer Einschätzung nach genügend im Fokus der Politik?
Roman Schlag: Ganz viele Menschen kennen jemanden, der wiederum jemanden kennt, von dem man weiß, dass er überschuldet ist. Das Thema Geld und Schulden ist in aller Munde. Und ich denke, dass Politiker das auch im Fokus haben. Die Frage ist für mich nur: In welcher Form haben sie es im Fokus? Die Dimension, wie viele Personen von Überschuldung betroffen sind, was das eigentlich bedeutet, wie hoch die Überschuldung ist, wie schwierig die Perspektive für die Betroffenen und wie komplex ihre Beratung ist, ist teilweise überhaupt nicht im Fokus der Politik. Das braucht dringend Erklärung.
Das Interview führte Christian Heidrich.