"Wir brauchen eine Gesetzesänderung" (Teil 2)
Roman Schlag ist Referent für allgemeine Sozialberatung, Arbeitslosigkeit, Armut, Schuldnerberatung beim Diözesan-Caritasverband Aachen und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) auf Bundesebene.Foto: Christian Heidrich
Caritas in NRW: Überschuldung ist also ein Nebenprodukt unseres Wirtschaftssystems.
Roman Schlag: Das kann man durchaus so sagen. Durch die immer komplexeren Finanzierungsangebote, durch die intensive Konsumentenwerbung, wird einkalkuliert, dass es Verbraucher gibt, die irgendwann nicht mehr zahlen können.
Caritas in NRW: Halten Sie das für richtig? Würden Sie es begrüßen, wenn da seitens der Politik interveniert würde?
Roman Schlag: Ich halte es für wichtig, dass die Politik regulierend eingreift, klare Grenzen zieht, wie Verbraucher vor komplexen nicht nachvollziehbaren Angeboten zu schützen sind. Ebenso muss endlich in nachhaltige Prävention und Aufklärung sowohl im schulischen als auch außerschulischen Bereich investiert werden.
Caritas in NRW: Wenn ich nun überschuldet bin, was soll ich tun?
Roman Schlag: Wenn die Überschuldung schon eingetreten ist, sollte man möglichst schnell eine Beratungsstelle aufsuchen und sich Hilfe von Dritten holen. Das sollte auch deshalb geschehen, um die Kraft zu haben, das gesamte finanzielle System neu zu ordnen und zu sortieren. Ganz wichtig ist, nicht zu versuchen, Löcher stopfen zu wollen und dabei neue Löcher aufzureißen. Man sollte sich der Situation stellen. Auf keinen Fall sollten Betroffene hingehen und ihre Post nicht mehr öffnen, dem Druck erliegen, den Gläubiger aufbauen, und eine Grundhaltung entwickeln wie: ,Da komme ich nicht mehr raus.‘ Es wird immer Lösungen geben, aus einer Überschuldungssituation herauszukommen. Weitere Schritte, die sehr hilfreich sein können, wären, sich einmal einen genauen Haushaltsplan zu machen: Man stellt die fixen Ausgaben, die man im Monat hat, den fixen monatlichen Einnahmen gegenüber. Daraus kann man schon erkennen, wie eng es möglicherweise ist oder warum es mit der derzeitigen Finanzierung nicht klappen kann. Und für die weiteren Schritte und Kontakte zu oder Schreiben an Gläubiger ist es hilfreich, sich eine professionelle Beratung zu holen. Freilich kann man selbst direkt mit den Gläubigern in Kontakt treten, aber man sollte dann in keinem Falle Versprechungen machen, die man nicht halten kann. Besser ist es, zu sagen: ,Ich bin in einer verzweifelten Situation, ich muss schauen, was ich machen kann, und ich werde mir dazu Hilfe holen.‘
Caritas in NRW: Nehmen wir einmal an, ich wäre überschuldet. Kann ich mich an eine Beratungsstelle wenden?
Roman Schlag: Das hängt, das muss man ganz offen sagen, unter anderem davon ab, in welcher Kommune Sie leben. Es gibt Städte und Gemeinden, in denen Sie sich an eine Beratungsstelle wenden können, die Ihnen auch kostenfrei weiterhilft. Es gibt mittlerweile aber auch zahlreiche Kommunen, die ein Urteil des Bundessozialgerichtes umsetzen, das besagt: Einen Anspruch auf kostenfreie Schuldnerberatung haben nur Personen, die im Sozialleistungsbezug sind, also Personen, die entweder Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II bekommen. Diese Personen haben einen Rechtsanspruch, aber Personen, die keinen Leistungsanspruch haben, eben nicht. Und diese Menschen würden zunächst einmal große Schwierigkeiten haben, eine Beratungsstelle zu finden, die sie kostenfrei berät.
Caritas in NRW: Ich höre aus Ihrer Antwort heraus, die Caritas sähe es gerne, wenn kostenfreie Schuldnerberatung unabhängig vom Wohnort und vom Geldbeutel des Klienten möglich wäre.
Roman Schlag: Das ist vollkommen richtig. Bei einer so existenziell wichtigen Beratungsform darf es nicht davon abhängen, wo ich wohne. Es müssen gleiche Verhältnisse und gleiche Zugänge für alle Bürger hergestellt werden. Das ist unter anderem die Forderung der Caritas. Hinzu kommt: Wenn ich mit meinen Einnahmen über der Grenze des Sozialleistungsbezuges liege, kann das aus Sicht der Caritas nicht das einzige Kriterium sein, nicht in den Genuss der kostenfreien Schuldnerberatung zu kommen. Auch solche Personen leben aufgrund der Zahlungen, die sie zum Eingehen ihrer Verpflichtungen zu leisten haben, oder durch Pfändungen mit einem gesetzlich festgelegten Existenzminimum und können gar keine Zahlungen für eine Beratung aufbringen. De facto stehen sie also gar nicht besser da. Es betrifft Arbeitslose, es betrifft Menschen, die Arbeitslosengeld I beziehen und ein gutes, mittleres Einkommen hatten, es betrifft aber auch Rentner, die keinen ergänzenden Grundsicherungsanspruch haben, aber das Geld für Beratung nicht zur Verfügung haben. Diese Personenkreise haben nach Auslegung des Urteils des Bundessozialgerichtes keinen Anspruch auf kostenfreie Schuldnerberatung.
Caritas in NRW: Gibt es Erkenntnisse, ob Menschen, die eine Schuldnerberatung aufsuchen, mit der Situation besser zurechtkommen als diejenigen, die keine Beratung besuchen?
Roman Schlag: Es gab immer wieder Untersuchungen, die die Wirkung der Beratung gezeigt haben. Dazu wurden Ratsuchende befragt. Es gibt sogar Beratungsstellen, die ein eigenes Instrument entwickelt haben, um Erkenntnisse zu gewinnen, indem sie die Zufriedenheit der Klienten abfragen. Diese diversen Untersuchungen haben gezeigt, dass es den Menschen durch die Beratung relativ schnell viel besser gegangen ist. Ich selbst habe in der Beratung eine Familie gehabt, die aufgrund der Überschuldungssituation Verwahrlosungstendenzen zeigte. Im Laufe des Beratungsprozesses konnte man allein am Geruch spüren, wie sich mit der Familie etwas veränderte. Man sah auf einmal, dass ihre Kleidung sauberer war, dass sie gepflegter waren, dass sie mit einer positiveren Haltung in die Beratung kamen.
Caritas in NRW: Die Ergebnisse, die sie anführen, legen ja den Schluss nahe, der Politik zu empfehlen, allen unabhängig vom Wohnort und vom Geldbeutel den Zugang zu kostenfreier Schuldnerberatung zu ermöglichen. Warum ist es so schwierig, das durchzusetzen?
Roman Schlag: Zunächst einmal kann man vermuten, dass die Politik grundsätzlich das Instrument Schuldnerberatung, wie es in den Gesetzen SGB II und SGB XII geregelt ist, begrüßt und die Politik die Notwendigkeit der Beratung erkannt hat. Weil es durch die Aufteilung der beiden Gesetze keine Auffanggesetze mehr gibt, sind Personenkreise von Schuldnerberatung ausgeschlossen. Ob das Absicht war, ist reine Spekulation. Tatsache ist: Wir brauchen eine Gesetzesänderung. Die Wohlfahrtsverbände und die Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) haben eine gemeinsame Positionierung erarbeitet. Sie besagt: Im SGB XII sollte ein Paragraf eingeführt werden, der Schuldnerberatung für alle gewährleistet. Um dafür politische Mehrheiten zu bekommen, heißt es, irrsinnig dicke Bretter zu bohren. Denn eine solche Gesetzesänderung hat zur Konsequenz: In das System Schuldnerberatung muss deutlich mehr Geld investiert werden. Auf kommunaler Ebene scheuen sich die Kämmerer, dafür mehr Geld in die Hand zu nehmen. Es gibt mittlerweile einige Untersuchungen nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich und in der Schweiz, die zeigen: Jeder Euro, der in die Schuldnerberatung investiert wird, liefert fünf Euro zurück, das heißt: Das ist der Betrag, der an Sozialleistungen gespart wird. Das ist sehr konservativ gerechnet. Es bleibt aber dabei: Geld, das in Schuldnerberatung investiert wird, ist sehr gut angelegtes Geld.