Wenn Hemmungen fallen
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Das führt zu ganz konkreten Herausforderungen. "In unserer Einrichtung hatten wir immer wieder Situationen, in denen Bewohnende ihre Sexualität ausleben wollten. Das hört ja nicht einfach auf, nur weil Menschen alt oder pflegebedürftig werden", berichtet Carina Tauber. "Es gab beispielsweise Ehepaare in Doppelzimmern oder auch Paare, die sich hier neu gefunden haben." Für die 44-Jährige war das Anlass, für die Einrichtung ein Konzept zum Umgang mit Sexualität im Alter zu erstellen. "Wir wollten einen sensiblen Umgang damit entwickeln, um den Bewohnenden einen geschützten Rahmen zu bieten und gleichzeitig unsere Mitarbeitenden zu sensibilisieren", erklärt sie. "Zum Beispiel sollte niemand einfach unbedacht in ein Zimmer platzen."
Eine besondere Situation gab es, als zwei an Demenz Erkrankte eine Beziehung entwickelten. "Sie haben sich gegenseitig besucht, oft auch nachts in einem Zimmer geschlafen und ihre Zweisamkeit genossen. Das war für unser Team zunächst Neuland, und wir mussten uns besprechen, wie wir damit umgehen."
Heikel an der Situation war, dass beide verheiratet waren und zumindest die Ehefrau des dementen Mannes von der neuen Beziehung erfuhr. "Sie war anfangs verzweifelt und verletzt, da sie die Verbindung zu ihrem Mann nicht verlieren wollte", erzählt Carina Tauber. Für die Ehefrau sei es schwer gewesen, mit anzusehen, dass ihr Mann die neue Partnerin vermutlich als seine Ehefrau betrachtete. Genau habe man das aber nicht feststellen können. Die Ehefrau hätte gern den Kontakt ihres Mannes zu der anderen Frau verhindert. "Das konnten wir aber nicht verbieten", sagt Carina Tauber. "In vielen Gesprächen konnten wir ihr helfen, zu verstehen, dass es für ihren Mann keine bewusste Entscheidung war, kein Fremdgehen, sondern eine Folge der Erkrankung, dass er halt das Gefühl hat, dass sie es gewesen ist." Letztlich akzeptierte die Frau, dass es für ihren Mann keinen bewussten Betrug darstellte, sondern dass die Krankheit seine Erinnerungen verändert hatte. "Das war für sie ein harter Prozess, den sie nur mit Unterstützung bewältigen konnte."
Die neue Beziehung war dann auch Thema im Team der Pflegekräfte. "Wir haben gemeinsam entschieden, dass wir diese Beziehung nicht unterbinden, da sie beiden guttat." Ein Bitte-nicht-stören-Schild an der Tür sollte private Zweisamkeit ermöglichen. Nachts wurden so wenige Kontrollen wie möglich durchgeführt. "Wobei man natürlich wegen der Sturzgefahr nachschauen muss, ob alles in Ordnung ist." Das Team behielt die Beziehung im Blick. "Wir haben gesagt, sobald man merkt, dass es einem von beiden nicht guttut, werden wir einschreiten, damit es nicht übergriffig wird."
Vom Ehemann der dementen Dame gab es dagegen keine Rückmeldungen. "Der hat das vermutlich gar nicht so mitbekommen, weil er nicht so oft zu Besuch kam", sagt Carina Tauber. "Vielleicht hat er das Thema aber auch verdrängt, jedenfalls hat er sich nicht dazu geäußert." Das Team verzichtete darauf, ihn darüber zu informieren, auch weil die Frau nicht ganz so dement wie der andere Mann war. "Die wusste schon noch, dass sie verheiratet war."
Einfaches Mittel zur Wahrung der Zweisamkeit im Altenheim: Carina Tauber bringt ein Bitte-nicht-stören-Schild an einer Zimmertür an.Foto: Markus Jonas
Generell ist es Carina Tauber als Pflegedienstleitung wichtig, das Thema Sexualität bei den Bewohnenden des Pflegeheims mit den Mitarbeitenden zu besprechen, auch weil diese aus ganz unterschiedlichen Generationen stammen. "Jüngere Mitarbeitende sind oft offener und haben schon in der Ausbildung darüber gesprochen. Ältere Pflegekräfte haben manchmal noch Berührungsängste."
Anzüglichkeiten von Bewohnern
Vor allem die Mitarbeiterinnen müssen sich gelegentlich auch mit Anzüglichkeiten von Bewohnern auseinandersetzen. "Sie können dann auch ablehnen, einen bestimmten übergriffigen Bewohner zu pflegen", erklärt Tauber. "Wir bieten Schulungen in diesem Bereich an und haben eine Präventionsbeauftragte, an die sich Mitarbeitende wenden können."
Denn bestimmte Formen der Demenz, aber auch manche Medikamente lösen ein enthemmtes Verhalten aus. "Da kann es durchaus schon mal sein, dass jemand ohne Hose rumläuft, anzügliche Bemerkungen macht oder versucht, Mitarbeiterinnen anzufassen." Tauber erinnert sich vor allem an einen inzwischen schon verstorbenen Bewohner. Der hatte sich die Hose ausgezogen und lief in eindeutiger Absicht einer Mitarbeiterin hinterher. Die reagierte aber souverän, nahm ihn bei der Hand, führte ihn zurück in sein Zimmer und zog ihm die Hose wieder an. Unangenehm nur, dass in dieser Situation die Tochter zu Besuch kam. "Die war natürlich äußerst peinlich berührt, hat sich tausendmal für ihren Vater entschuldigt", erinnert sich Carina Tauber. Die Mitarbeitenden versuchten, sie zu beruhigen, dass dies Verhalten aufgrund der Krankheit nicht ungewöhnlich sei. Für die Angehörigen sei es denn auch am schwersten, mit den durch Demenz verursachten Veränderungen ihrer Angehörigen umzugehen. Andererseits: "Wenn ich mit einem Elternteil in der Situation wäre, weiß ich auch nicht, wie ich reagieren würde", räumt Carina Tauber ein.
Kritische Situationen kann es dabei durchaus auch geben, sie sind aber selten. "Wir hatten einen Fall, in dem ein dementer Bewohner versucht hat, in das Bett einer immobilen Frau zu klettern, die sich nicht bewegen oder artikulieren konnte. Das war eine klare Übergriffigkeit, und wir haben sofort gehandelt und auch die Polizei eingeschaltet." Der Bewohner wurde dann nach einer psychiatrischen Einschätzung in eine spezialisierte Einrichtung verlegt.
Der Umgang mit Sexualität in Pflegeeinrichtungen bleibt eine Herausforderung. Doch obwohl das Thema immer präsenter wird, gibt es bisher keine offiziellen Regelungen oder Vorgaben. "Ich würde mir wünschen, dass ein solches Konzept verpflichtend wird, um das Thema selbstverständlicher zu machen und Mitarbeitende sowie Angehörige zu sensibilisieren", sagt Tauber. "Es geht um Selbstbestimmung und Würde, auch im hohen Alter und trotz Demenz", betont sie. "Und darum, allen Beteiligten mit Respekt und Verständnis zu begegnen."
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