Wenn Bücher sprechen
Ladan Ahmed. Die Tochter somalischer Einwanderer hat 2015 Abitur gemacht, beginnt jetzt ein Studium und trägt Kopftuch – und zwar ganz bewusst und als Einzige aus ihrer Familie. Sie ist eines von zwölf „Büchern“ der „Lebenden Bibliothek“.Markus Harmann
Diese Bücher im Bonner Haus Mondial sind Menschen. Menschen mit außergewöhnlichen Geschichten oder Berufen, mit anderer Hautfarbe oder Herkunft. Und weil Menschen so spannend, unterhaltsam und humorvoll sein können wie echte Bücher, tauften die Initiatoren vom Kölner Diözesan-Caritasverband ihr Projekt "Lebende Bibliothek".
Ein Gespräch hilft zu etwas mehr Verständnis
Wer sich in dieser Bibliothek zum Beispiel ein Werk aus Somalia ausleiht, der hat die Garantie für ein ausgesprochen informatives Gespräch mit einer jungen Frau, deren Eltern einst vor dem somalischen Bürgerkrieg nach Deutschland geflohen sind. Ladan ist 19 Jahre alt und trägt Kopftuch. Sie ist eines von zwölf Büchern, die hier im Haus Mondial von Lesern, also Gesprächspartnern, ausgeliehen werden können. Die anderen sind unter anderem: Oliver, ein junger Mann jüdischen Glaubens, der sich zu seiner Homosexualität bekennt; Guido, Ex-Junkie und seit mehr als drei Jahren clean; Abdou, ein junger Maler aus dem Senegal, der sich in Deutschland als Kulturvermittler selbstständig gemacht hat.
"Ein Gespräch kann Vorurteile ins Wanken bringen", sagt Sabine Kern, die das Projekt leitet, und erinnert an den Polizisten, den sie einmal als Buch engagiert hatte. Eine Frau aus der linksautonomen Szene kam als Leserin vorbei. Sie lieh sich den Polizisten aus und wollte ihm wohl vor allem ihre Meinung geigen. Die beiden sprachen miteinander, erst eine halbe, dann eine ganze Stunde. "Und am Ende sagte die Frau: ,Ich teile zwar nicht die Meinung des Polizisten, aber er war mir zumindest sympathisch.‘"
Auch Ladan, die Somalierin, merkt immer wieder, wie vorgefertigt die Meinung vieler Menschen ist, die ihr begegnen. "Die meisten sind überrascht, dass ich akzentfrei Deutsch spreche", sagt die 19-Jährige, die in Bonn geboren wurde. Weil sie ein Kopftuch trage, würden ihre Gesprächspartner auch meist nicht davon ausgehen, dass sie 2015 Abitur gemacht habe und bald ein Studium der Soziologie beginne. "Wir können den Menschen unsere ganz persönlichen Geschichten erzählen", sagt Ladan. "Das hilft, um etwas mehr Verständnis zu bekommen."
Ein Erfolg
"Die lebende Bibliothek" gibt es seit 2014. Das Projektteam blickt auf Dutzende Veranstaltungen mit mehr als 275 Stunden Dialog, 250 lebenden Büchern und 584 Leserinnen und Lesern zurück.