Ehrenamtliche helfen Geflüchteten in Ausbildung
Wenn Zabihulla Amery von seinem Leben in Deutschland erzählt, fällt immer wieder ein Name: "Frau Schmitz". Zum Beispiel: "Meinen Ausbildungsplatz habe ich durch meine Patin gefunden, Frau Schmitz." Oder, gefragt nach seinen größten Erfolgen, sagt er: "Dass ich Frau Schmitz kenne und ihre Familie."
bei Jugendlichen dafür, sich wie er für eine Ausbildung im Gartenbau zu interessieren.
Foto: Sebastian Lock
Im August 2015 kam der damals 15-jährige Afghane auf der Flucht vor den Taliban in Deutschland an. Heute kann er einen Hauptschulabschluss und eine abgeschlossene Lehre als Landschaftsgärtner vorweisen. Diese beiden Abschlüsse zählt er übrigens, neben Kerstin Schmitz, ebenfalls zu seinen Erfolgen. Seit März arbeitet er nun als Geselle bei seinem Ausbilder, der Garten- und Landschaftsbaufirma John. Darauf ist er stolz, doch einfach war dieser Weg nicht. Die erste Gesellenprüfung ging daneben. "Die Sprache war schwer, die ganze Ausbildung", erklärt Amery, der jetzt ein sehr gutes Deutsch spricht.
Er musste nicht allein kämpfen
Gekämpft hat er, und es hat sich gelohnt. Aber ohne die Unterstützung einiger Menschen hätte er wenig Chancen gehabt: Da ist zum Beispiel besagte Kerstin Schmitz aus Bamberg, 47 Jahre, Lehrerin und Mutter von drei Kindern. Oder Sebastian Bergmann, Ausbilder bei John Garten- und Landschaftsbau in Hallstadt. Oder auch Regina Jans vom Don-Bosco-Jugendwerk in Bamberg. Dort lebte Zabihulla Amery nämlich in einer Wohngruppe, nachdem er seine erste Anlaufstelle, die Flüchtlingsunterkunft in Passau, verlassen konnte.
Regina Jans vermittelte den im Jugendwerk lebenden jungen Männern Integrationspatinnen und -paten. Darunter auch Kerstin Schmitz. "So haben wir uns kennen gelernt", sagt der junge Mann. Das war der Sommer, als in Österreich 71 Flüchtlinge erstickt in einem Kühllaster gefunden wurden. Der Sommer, in dem das Bild eines toten Jungen am Strand um die Welt ging. Bilder, die Kerstin Schmitz bewogen haben, zu handeln. "Es kann nicht sein, dass du immer denkst, wie furchtbar diese Welt ist", sagt die Lehrerin. "Sie ist nur dann furchtbar, wenn du nichts tust."
Das Speed-Dating war eine glückliche Fügung
Ein bisschen Schicksal, findet sie, war bei diesem Kennenlernen auch dabei. Genau an dem Tag, als sie Regina Jans wegen eines möglichen Engagements anrief, hatte die ein Speed-Dating zwischen Geflüchteten und Pat(inn)en organisiert. Und weil eine andere Patin abgesprungen war, kam Kerstin Schmitz dazu. Zu Beginn konnten sich der junge Afghane und die Lehrerin nur mit Händen und Füßen unterhalten. "Aber er sagte von Anfang an ,Mama‘ zu mir." Wohl, weil der Vorname Kerstin für ihn schwierig auszusprechen war, vermutet sie. Für sie wiederum ist er "der Zabi" und fast so etwas wie ihr viertes Kind.
Ein- bis zweimal pro Woche haben sie sich getroffen; sie hat Zabi beim Schriftwechsel mit Arbeitsamt und Versicherungen unterstützt oder ihn vor Lockangeboten dubioser Lotterien gewarnt. Mit der Familie zusammen hat er Ausflüge gemacht, gekocht, Deutsch gelernt. Und im Garten geholfen. Da hat sie gesehen, dass diese Arbeit ihm liegt, und ihm das Praktikum bei der Firma John vermittelt. "Danach wusste ich: Das ist mein Beruf", erinnert sich Amery.
Azubi-Botschafter mit Antrieb
Sein Ausbilder Sebastian Bergmann hält viel von seinem frischgebackenen Gesellen: "Er ist handwerklich sehr geschickt, engagiert und hat eine schnelle Auffassungsgabe." Inzwischen ist Amery sogar einer von zwei Auszubildendenbotschaftern der Firma, um junge Leute für den Beruf zu motivieren. "Zabi ist ein Musterbeispiel für die Integration von Flüchtlingen und für menschlichen Umgang, Respekt, Wissbegierde und Antrieb", begründet Bergmann diese Ehre. "Er hat ein extrem offenes und sonniges Gemüt und ehrliches Interesse an unserem Beruf."
Natürlich gab es auch harte Zeiten. Amerys Mutter starb 2018 in Afghanistan. Er hat sich nicht von ihr verabschieden können. Mit ihm über seine Trauer zu sprechen fiel Kerstin Schmitz schwer. Deshalb hat sie nach Unternehmungen gesucht, Kino zum Beispiel, um ihn zu unterstützen. Viele Umbrüche hat er erlebt, verzweifelte aber nie.
Als er ankam, hatte er traditionelle Denkmuster im Kopf. Heute sieht er besonders die Situation der Frauen in Afghanistan sehr kritisch, nicht zuletzt wegen seiner Mutter, sagt Kerstin Schmitz. "Zabi ist ein wirklich heller Kopf. Er schaut sich die Sachen an und zieht seine Schlüsse." Als jemand mit Tiefgang, einer, der warmherzig ist und immer hilfsbereit, so beschreibt sie ihn.
Er sagt über sie: "Meine Patin ist die Beste überhaupt." Seit zweieinhalb Jahren hat er von der Stadtbau - und mit Hilfe von Kerstin Schmitz - eine kleine Wohnung gemietet, gar nicht weit weg von der Familie. Er hat ein, zwei Freunde, "und die meisten Leute sind nett zu mir", findet er.
Zabihulla Amery kann in Deutschland bleiben, wenn er das möchte. "Ich fühle mich sehr wohl hier." Kerstin Schmitz wird ihn weiter begleiten, auch wenn er einmal wegziehen sollte. "Ich habe nur zu ihm gesagt: Beim ersten Kind möchte ich Patin sein."
Wie ein Vater, wie ein Sohn
2015 in den Sommerferien, als die Geflüchteten kamen, rief der Oberbürgermeister um Hilfe - und manche(r) wollte helfen. Auch Wolfgang Metzner meldete sich als Deutschlehrer in seiner Stadt Bamberg. Dort traf er auf einen fast 18-Jährigen aus Eritrea, Aman Yebyo. "Wir waren auf unserer Wohngruppe und sind dann runtergegangen, als Herr Metzner einer Gruppe von ganz neu Angekommenen Unterricht gegeben hat: Keiner hat ein Wort Deutsch verstanden, also haben wir geholfen."
Das war gut, nach der Stunde tauschte man die Handynummern, und der Deutschlehrer - zugleich Dritter Bürgermeister seiner Stadt, Gemeinderat und sozial Aktiver -, lud Aman zum Essen ein beim Türken. So ging es los, heute sagt der eine über den anderen: "Er ist wie ein guter Vater für mich", der andere: "Er ist wie ein Sohn, so ist unser Vertrauensverhältnis. Er hat einen Schlüssel zu meiner Wohnung und kann immer kommen. Mein Freundeskreis lädt ihn immer mit ein, wenn wir uns treffen."
Wolfgang Metzner ist Lehrer für Deutsch und Sozialkunde, es mangelt ihm also nicht an Dauerkontakt zur Jugend, obwohl er keine eigenen Kinder hat. Doch er wurde Pate für inzwischen fünf junge Flüchtlinge, nachdem er sich zuvor schon für Bildung über seinen Beruf hinaus engagiert hatte. Besonders unterstützte er das Don-Bosco-Jugendwerk, wo seine Schützlinge wohnten. Aman Yebyo hat dank dieser Unterstützung gerade die Ausbildung zum Schreiner bestanden.
"Herr Metzner hat mich sehr viel unterstützt und wir haben viel geübt, Bewerbungen zu schreiben. Ohne ihn hätte ich das nicht geschafft." Es war Zug drauf, berichtet Metzner: "Aman hat beim ersten Versuch mit Gut bestanden, am Donnerstag drauf hat er hier 15 Initiativbewerbungen geschrieben, und am Freitag kann die erste Zusage." Ein Familienbetrieb, der Küchen, Möbel und Türen CNC-genau fertigt und einbaut, Aman ist dabei. Auge und Händchen für Holz. In der Hauptschule konnte Aman einmal pro Woche in die Tischlerwerkstatt und fand: Es ist gut, was mit Holz zu machen. So hat er nach dem Abschluss die Schreinerausbildung selbst gewählt. Das erste Jahr an der Berufsschule war er in der Praxis der Beste, für eine Stelle am Bamberger Theater bewarb er sich und lernte Bühnen- und Kulissenbau. "Das erste Jahr vergisst man nicht, denn Schwalbenschwanz- und Zinkenverbindungen macht man ja von Hand."
Inzwischen macht sich Aman Yebyo mit CNC-Maschinen vertraut. Er will den Meister machen und dann, in Zukunft vielleicht ein eigener Betrieb? Die Vergangenheit hat er nicht hinter sich gelassen. Wolfgang Metzner: "Einmal pro Woche ruft er seine Mama an, die jetzt in Addis Abeba lebt." Gut, dass Metzner eine Flatrate weltweit bei seinem Stadtnetz hat. Weil Yebyo eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis und einen Reiseausweis hat, sind ie gemeinsam sogar schon nach Äthiopien geflogen - vor Corona - und haben die Mutter besucht. "Dort ist das Leben und Essen fast wie in der Heimat", erinnert sich Aman Yebyo, "aber Bamberg ist jetzt meine zweite Heimat."
Wie charakterisiert er seinen Paten? "Herrn Metzner kann man nicht beschreiben. Es gibt keinen wie ihn, man kann mit ihm über alles reden. Er kümmert sich um jeden." Sie feiern zusammen Weihnachten, waren zusammen im Kino, aber auch in der Anhörung beim Bundesamt für Flüchtlinge. Sie spielen Spiele, schauen fern, streiten sich und kabbeln sich. "Aman versteht Humor und Ironie, er spricht heute sehr gut Deutsch. Außer bei Behörden, aber manche Amtsformulare überfordern mich auch. Aman hat viele deutsche Freunde", sagt Wolfgang Metzner. "Er wird seinen Weg machen."
Ein Geflüchteter wird Techniker
Farhan Frho ging es nicht so gut in Augsburg: Geflohen war er als Kurde aus dem syrischen Qamishli vor Bürgerkrieg und Einberufung in die Armee. Und jetzt saß er mit fünf anderen Flüchtlingen, Erwachsenen, als gerade 18-Jähriger in einer Wohnung, zu dritt in einem Zimmer, es gab keinen Deutschkurs, nichts. "Mit den Leuten klarkommen, wenn man kein Deutsch kann, ist schwer. Ich habe mich auch abgelehnt gefühlt."
Er meldete sich bei seinem Freund Ibrahim Mohamed, der bereits vor ihm geflüchtet war - und Ibrahim ging es gut. Er war in Bamberg beim Don-Bosco-Jugendwerk, hatte über dieses in Edith Mall eine Patin gefunden, die ihm half. Als Kanzlerin Merkel 2015 "Wir schaffen das" sagte, da sagten sich das Bamberger Ehepaar Jürgen Müller und Edith Mall: Wer ist "wir", wenn nicht wir? Und sie wollten einen eigenen Beitrag leisten.
Den Kontakt zur Don-Bosco-Jugendhilfe hatte Edith Mall als Lehrerin schon zuvor. Ibrahim schilderte Farhans Not, die Pateneltern Müller und Mall setzten einiges in Bewegung und schafften es schließlich: Farhan, obwohl schon volljährig, durfte nach Bamberg zu Ibrahim, eine kleine Zweizimmerwohnung wurde für die beiden gefunden. Dafür sind die beiden sehr dankbar. Farhan hatte bereits Abitur, was aber in Deutschland nicht anerkannt wurde. Er besuchte den Integrationskurs an der Berufsschule, machte den "Quali", den qualifizierenden Hauptschulabschluss, mit einem Durchschnitt von 2,9. Jürgen Müller hat ihm Deutsch beigebracht. "Lesen ging gut, Schreiben war und ist am schwersten."
Nach dem Abschluss hat sich Farhan Frho für den Beruf des Orthopädietechnik-Mechanikers entschieden: ein komplexes und forderndes Handwerk, das vielen deutschen Jugendlichen gar nicht bekannt ist, für das sich nicht sehr viele bewerben. Orthopädietechnik-Mechaniker fertigen nach ärztlicher Verordnung medizinische Hilfsmittel und Prothesen für Menschen mit Behinderungen und körperlichen Einschränkungen an. Farhan ist handwerklich sehr geschickt, sagt Jürgen Müller, der als Kaufmann auch "in der Seele Handwerker" war. "Mein Opa in Syrien hat Amputationen, darum habe ich diesen Beruf gewählt", erklärt Farhan: "Wenn in einem Land Krieg war, gibt es viele Leute, die wie mein Opa Hilfe brauchen."
Beim angesehenen Bamberger Sanitätshaus Göttling ist er im dritten Lehrjahr, er gilt als "pflichtbewusst, fleißig und loyal". Sehr geschätzt und beliebt ist er, weil er nicht nur in der Werkstatt Orthesen konstruieren und anfertigen kann, sondern auch mit den Patienten spricht, sie berät, beim Anprobieren und Anpassen sehr hilfsbereit ist, weiß Jürgen Müller. Das ist bei individuellen Hilfsmitteln wichtig, weil sie ihren Nutzer(inne)n mehr Lebensqualität ermöglichen.
Kein einfaches Gewerbe: Im Berufsbildungszentrum gibt es auch einen Orthopädie-Meister, der Farhan praktisch hilft. Es braucht aber auch präzises theoretisches Wissen. "Farhan lernt leicht die lateinischen Begriffe für Muskeln und Knochen", berichtet Jürgen Müller, "aber die Berufsschule bereitet ihm Probleme. Ich muss ihm beim Durcharbeiten der Lernvorlagen manche Begriffe erklären, gerade weil es auch in dem Beruf um Mathe und Geometrie geht." Einmal pro Woche treffen sie sich bis heute dazu.
Berufsziel: den Menschen helfen
Aber auch in der Freizeit sehen sie sich oft, weil es eben nicht nur um Hilfe geht, sondern darum, Familie zu erleben. Farhan telefoniert oft mit seinen Eltern in Syrien und hält Kontakt auch zur Verwandtschaft. Mit seinen Pateneltern war er in Mallorca und Paris: "Wir haben beide Jungs in den Urlaub mitgenommen, sie gehören zu unserer Familie." Wie sieht für Farhan die Zukunft aus, wo sieht er sich in zehn Jahren? "Wenn alles gutgeht, arbeiten, mal sehen, den Meister machen, heiraten." Und wenn die Verhältnisse in Syrien dann in Ordnung sind, vielleicht nach Hause und den Menschen helfen: anwenden, was er hier gelernt hat.
DAS DON-BOSCO-JUGENDWERK BAMBERG
... wird getragen vom Orden der Salesianer Don Boscos, die sich besonders der Seelsorge, Förderung und Bildung der Jugend widmen. In Bamberg gibt es seit über 100 Jahren pädagogische Angebote für Kinder, Jugendliche und Familien. Ziele sind unter anderem Optimismus, Prävention, Teilhabe, Gerechtigkeit, Respekt und Gastfreundschaft.
Im Bereich Jugendsozialarbeit hat das Don-Bosco-Jugendwerk Bamberg seit 2008 das Programm "Schüler. Bilden. Zukunft" aufgebaut. Es bietet neben musikalischer und Lernförderung an Grund- und Mittelschulen auch Patenschaften mit Schülerinnen und Schülern, Kindern aus den Wohngruppen und geflüchteten Jugendlichen.
Als Paten werden ehrenamtliche Privatleute angeworben; die Personal- und Sachkosten werden im Wesentlichen durch das Bundesprogramm "Menschen stärken Menschen" getragen.