London: Die Caritas-Engel
Bis zu 200 Menschen täglich hoffen nicht nur auf eine warme Mahlzeit, sondern suchen auch Zuwendung und Zuspruch. Dass sie dies hier finden, wird spätestens beim Essen im großen Aufenthaltsraum deutlich. Hier sitzen die Mitarbeiter mit den Besuchern gemeinsam zu Tisch und werden von ihnen dankbar als "Engel" und "Retter" angesprochen.
Einrichtungen wie das Cornerstone Day Centre der Caritas in der Diözese Salford sind eine der Antworten von Kirche und Caritas auf die andauernden Missstände auf dem heiß umkämpften Wohnungsmarkt in England. Die Situation in Manchester wird dabei noch von der in London in den Schatten gestellt. Sogar von einer akuten "housing crisis" ist hier die Rede: London zählt zu den teuersten Wohnstädten der Welt. In den vergangenen Jahren stiegen die Mieten in der Millionenmetropole jährlich um zehn bis 20 Prozent, während zugleich die Bevölkerung fast doppelt so schnell wächst, wie Wohnungen bereitgestellt werden können. Bei vielen neuen Bauten handelt es sich um Luxusimmobilien, deren Mieten auch den Mietspiegel für normalen Wohnraum nach oben ziehen.
Tagesangebote und Präventionsarbeit
Auch in London sind Caritas-Mitgliedsorganisationen in diesem Feld aktiv. Mitten im Herzen des zentralen Stadtteils Westminster liegt das Cardinal Hume Centre. Neben Tagesangeboten für viele sozial benachteiligte Gruppen hilft man dort auch obdachlosen Jugendlichen, die bis zu einem Jahr in dem Hostel unterkommen können und Angebote zur Wiedereingliederung erhalten. Darüber hinaus leistet das Centre auch Präventionsarbeit, beispielsweise durch Beratungen für Menschen in kritischen (Wohn-)Situationen, damit es gar nicht erst zu einem Wohnungsverlust kommt. Scheinbar banale Hilfen wie das Aufbereiten von Informationen und Behördenbescheiden oder die Aufklärung über ihre Rechte und Pflichten in einfacher Sprache reichen dabei manchmal schon aus.
Scharfe Caritas-Kritik an der Sozialpolitik
Während sich die Caritas und ihre Mitgliedsorganisationen um die Versorgung und Beratung Bedürftiger kümmern, versucht sich die Politik auf andere Art und Weise an der Thematik der Wohnungsknappheit. Seit Anfang 2013 werden bei Beziehern von Sozialleistungen im Falle einer Unterbelegung ihrer Wohnungen Kürzungen der Wohngelder vorgenommen. Diese Reduktion der "housing benefits" - umgangssprachlich von ihren Gegnern oft "bedroom tax" genannt - steigt bei mehr als der gestatteten Zimmerzahl auf bis zu 25Prozent. In der Praxis, so zeigen erste Studien, schafft diese Maßnahme jedoch nur wenig Entlastung für den Wohnungsmarkt. Viele der Betroffenen können nicht umziehen, da es ihre Arbeitsstelle nicht erlaubt oder kleinere Wohnungen nicht verfügbar sind. Sie müssen notgedrungen die finanziellen Kürzungen tragen, geraten in schwierigste soziale Lagen, im schlimmsten Fall in die Wohnungslosigkeit. Und so bleibt diese politische Maßnahme für ihre Kritiker dann doch nicht mehr als nur eine der vielen Einsparungen, um die öffentlichen Haushalte zu sanieren.
Dieses Ziel hatte sich unter dem Druck der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise die Koalition aus Konservativen und Liberaldemokraten unter Premierminister David Cameron für ihre Legislaturperiode von 2010 bis 2015 auf die Fahnen geschrieben. Dabei erstreckten sich die Einsparungen auch auf soziale Ausgaben. Im Welfare Reform Act von 2012 wurden einige staatliche Sozialleistungen neu definiert, unter anderem besagte Wohngeldregelungen. Gemeinnützige Organisationen, Caritas und Kirche kritisieren die Sozialpolitik der Koalition scharf.
Aufmerksamkeit im Schatten glitzernder Bürotürme
In historischer Betrachtung sind drastische Kürzungen in den Sozialausgaben hingegen kein neues Phänomen in Großbritannien, denn die britische Sozialpolitik ist bereits seit rund 30 Jahren von wiederkehrenden Einsparungen an Wohlfahrtsleistungen gekennzeichnet. In der Zeit rund um das Ende des Zweiten Weltkrieges noch hatte der britische Wohlfahrtsstaat eine enorme Ausweitung erfahren unter großem Einfluss des britischen Ökonomen William Henry Beveridge, dessen 1942 veröffentlichter Bericht "Report to the Parliament on Social Insurance and Allied Services" zur Grundlage des sozialen Sicherungssystems in Großbritannien wurde. Diese wohlfahrtsstaatliche Ausgestaltung hatte parteiübergreifende Akzeptanz. Unter der Regierung von Margret Thatcher, Premierministerin von 1979 bis 1990, wurde das soziale Engagement des Staates jedoch sukzessive zurückgefahren. Dazu gehörte unter anderem eine Verringerung der Sozialausgaben mit dem Ziel der Aktivierung der Leistungsbezieher. Die auf Thatcher folgenden Regierungen führten die Tendenz dieses Kurses fort.
Auf das Lenken der eigenen Geschicke und die Selbstverantwortung der Bürger zu setzen ist auch heute noch stark in der Denkweise der britischen Gesellschaft verhaftet. Für Menschen, die dieser Maxime nicht gerecht werden können, setzt sich das Caritas Social Action Network (CSAN), der nationale Caritasverband in England, ein. Er versteht sich als ihr Anwalt und unternimmt Lobbying-Aktivitäten in Richtung Politik und Gesellschaft. Zum Thema "Wohnen und Obdachlosigkeit" hat sich CSAN jüngst noch einmal positioniert und Politiker im Vorfeld der Unterhauswahlen mit seinen Fragen und Forderungen konfrontiert. Die Caritas hofft, dass ihre Anliegen die notwendige Aufmerksamkeit finden und nicht im Schatten der glitzernden Bürotürme der Londoner Finanzwelt übersehen werden.