Keine Angst vorm Shitstorm
"Wir reden viel von Globalisierung und Digitalisierung; deren Folgen bescheren uns nun eine neue Welt. Die gewohnten Grenzen unseres Miteinanders werden gesprengt" (Bischof Overbeck). Auch heute noch lesenswert – die Predigt zum Caritas-Sonntag 2015, die einen Sturm auf Facebook auslöste.Facebook-Screenshot: Bistum Essen | Post vom 20.09.2015
Am Caritas-Sonntag im September 2015 waren es gerade mal drei Sätze einer Predigt des Essener Bischofs Dr. Franz-Josef Overbeck, die eine Flut von Kommentaren und Rückmeldungen auslösten. Für die Stabsabteilung Kommunikation im Bischöflichen Generalvikariat in Essen begann die Arbeitswoche bereits am Sonntagabend.
Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck hatte im Gottesdienst unter anderem die aktuelle Flüchtlingssituation und die damit verbundenen Herausforderungen für die Gesellschaft thematisiert. Ein zentraler Gedanke seiner Predigt war: "Deutschland und Europa müssen sich auf eine ganz neue Zeit einstellen. Unser Wohlstand und die Weise, in Frieden zu leben, werden sich ändern. So wie die Flüchtlinge ihre Lebensgewohnheiten ändern müssen, werden auch wir es tun müssen."
Darüber berichteten auch die Pressestellen der Caritas und des Ruhrbistums in gewohnter Weise. Die übliche Pressemitteilung und der Wortlaut der Predigt wurden an die Redaktionen im Ruhrgebiet und die Nachrichtenagenturen versandt und auf den Internetseiten von Caritas und Bistum veröffentlicht. Zusätzlich postete die Redaktion ein Visual Statement, bestehend aus einem Porträtfoto des Bischofs und dem oben genannten Zitat aus der Predigt, auf Facebook, Twitter und Instagram. Diese Multi-Channel-Verwertung einer Nachricht ist in der Stabsabteilung Kommunikation des Bistums Essen Standard. Die sozialen Medien betreuen zwei Redakteure, die darüber hinaus für weitere Aufgaben zuständig sind. Neben der Content-Produktion gehört vor allem das sogenannte Community-Management dazu.
Gerade Letzteres war nach der Veröffentlichung des Visual Statements besonders gefordert. Dies hatte gleich mehrere Gründe:
1. Das Zitat wurde verfälscht wiedergegeben und verbreitete sich stark.
Die Wochenzeitung "Junge Freiheit" hat sowohl in der Printausgabe wie auch in der Onlineausgabe über die Predigt am Caritas-Sonntag berichtet. In den Mittelpunkt der Berichterstattung stellte die "Junge Freiheit" das oben genannte Zitat des Bischofs. Bereits in der Überschrift des Artikels ("Bischof: Deutsche sollen sich Asylbewerbern anpassen") wurde der Inhalt der Predigt verzerrt wiedergegeben und entstellt. Sowohl der Bericht in der Onlineausgabe wie auch der dazugehörige Post auf der Facebook-Seite der "Jungen Freiheit" wurden sehr stark kommentiert und geteilt. Allein auf Facebook wurde der Beitrag rund 3 000-mal geteilt und über 2000-mal kommentiert.
2. Starke Verbreitung im Kontext der rechtspopulistischen Szene
Die Headline der Wochenzeitung "Junge Freiheit" wurde vor allem in rechtspopulistischen und konservativen Kreise rezipiert und geteilt. Man reduzierte die Predigt des Bischofs fast ausschließlich auf die verfremdende Headline und kommentierte sie dementsprechend. Sowohl der Beitrag der "Jungen Freiheit" als auch der Post des Bistums sorgten innerhalb kürzester Zeit für eine Welle von Kommentaren. Über 1 500 Kommentare mussten die Social-Media-Redakteure der Kommunikationsabteilung sichten und bearbeiten. Hinzu kamen zahlreiche Briefe und
E-Mails, die sowohl direkt an den Bischof adressiert waren als auch an die Pressestelle.
3. Wenig Interesse an konstruktivem Dialog
Die Kommentare und Diskussionen sowohl auf der Facebook-Seite des Bistums wie auch bei Twitter machten eines schnell deutlich: Es ging vielen nicht um eine kontroverse Auseinandersetzung über das Thema, sondern schlichtweg darum, ihren Unmut über das fälschliche Zitat aus der "Jungen Freiheit" kundzutun. Signifikant war, dass kaum ein Kommentarschreiber das Zitat im Original gelesen hatte, geschweige denn die Predigt im Ganzen. Auch der Hinweis der Social-Media-Redaktion des Bistums, dass die Überschrift des Artikels in der "Jungen Freiheit" nicht den Inhalt der Predigt wiedergibt, wurde vielfach ignoriert oder als "Schönrederei" abgetan. Es zeigte sich deutlich, dass viele Kommentatoren durch ihre Netzwerke auf die verfälschende Überschrift aufmerksam wurden und dann, ohne den Kontext zu kennen, kommentierten. Ein Dialog über den eigentlichen Inhalt war nur sehr selten möglich.
Tausendfach und kommentiert stellte das Bischofszitat die Online-Redaktion der Pressestelle auf eine harte Probe. Geduld und Sachlichkeit, aber auch entschiedene Klarheit sind da gefragt. Und öffentliche Solidaritätsäußerungen von Unterstützern.Facebook-Screenshot: Bistum Essen | Post vom 20.09.2015
Vielfach erschreckend waren die Wortwahl und die Sprache, in denen die Kommentare, aber auch die E-Mails und Briefe verfasst waren. Dabei waren "Gutmensch", "Pädophiler" und "linksversiffter Grüner" noch die harmlosen Beschimpfungen. Vielen Kommentaren fehlte jegliche Basis für einen konstruktiven Austausch. Im Zentrum der Beschimpfungen stand vor allem Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck. Darüber hinaus wurden aber auch die Mitarbeiter der Stabsabteilung Kommunikation angegangen, oder es wurde allgemein gegen Christen gewettert.
Klare Regeln, Fakten und eine Menge Liebe
Für das Community-Management in der Stabsabteilung Kommunikation gibt es klare Regeln. Prämisse hierbei ist es, dass auf möglichst jeden Kommentar mit einer Frage oder einer Rückmeldung durch die Stabsabteilung reagiert wird. Leider war dies bei der Masse von über 1 500 Kommentaren nicht immer möglich. Für den Dialog auf der Facebook-Seite des Bistums Essen gibt es klare Hausregeln, die auch auf der Seite einzusehen sind. Bei Verstößen werden die Kommentatoren auf diese Regeln hingewiesen. Weitere Verstöße werden sanktioniert, was bei vielen Kommentaren zum Caritas-Sonntag zu Löschungen führte. Hierzu zählten vor allem Beleidigungen gegenüber Bischof Overbeck und anderen Kommentarschreibern. Um den Ansturm der Kommentare bewältigen zu können, wurden Facebook-Nutzer, die beleidigend agierten, von der weiteren Nutzung der Facebook-Seite des Bistums ausgeschlossen und geblockt. Trotz aller Wut und aller Beleidigung reagierte die Social-Media-Redaktion stets besonnen und möglichst neutral. Man wurde nicht müde, auf das Originalzitat zu verweisen und den Link zur Predigt zu posten.
Lesson learned
Knapp zwei Wochen beschäftigte die Auseinandersetzung über die Predigt des Ruhrbischofs zum Caritas-Sonntag die Social-Media-Redaktion des Bistums. So schnell wie die Empörungswelle auftauchte, verschwand sie auch wieder. Am Ende zeigte sich, dass die Regeln des Community-Managements gegriffen hatten. Der Fall machte deutlich, dass an einigen Stellen eine Nachjustierung notwendig war. Es wäre hilfreich gewesen, wenn schon während der aufkommenden Kommentarwelle Hintergrundinformationen und Fakten zur Sachlage der Auseinandersetzung zur Verfügung gestanden hätten, um so zeitnah im Diskurs auf diese Fakten verlinken und verweisen zu können.
Rückblickend kann festgehalten werden, dass es für ein erfolgreiches Community-Management in Krisenzeiten unerlässlich ist, im Diskurs nicht müde zu werden, mit Fakten gegen Falschinformationen gegenzuhalten, Lügen aufzudecken und Emotionen aus der Diskussion herauszunehmen sowie den Blick auf die Fakten des Themas zu lenken.