Jongleur mit 145 Bällen
Es könnte so einfach sein. Da gibt es in Oberhausen mit seinen rund 210000 Einwohnerinnen und Einwohnern einen Caritasverband, der Hilfen für unterschiedlichste Zielgruppen anbietet. Für Kinder, Jugendliche und Familien, für Menschen mit psychischer und geistiger Beeinträchtigung, für Menschen mit Migrationshintergrund, für Wohnungslose oder Seniorinnen und Senioren. Es gibt ambulante Betreuung, Beratung, stationäre Wohnangebote, ein quartiersorientiertes Bistro, in dem Menschen mit und ohne Beeinträchtigung arbeiten. Die Dienste, Angebote und Projekte sind ausgelastet, der Bedarf ist da, die Qualität der Arbeit anerkannt. Es könnte so einfach sein - wenn nur die Frage der Finanzierung nicht wäre.
Ein Komplexanbieter in der Sozialwirtschaft, was örtliche und regionale Caritasverbände in der Regel sind, steuert komplexe Finanzierungssysteme. Stellen Sie sich einen Jongleur vor, der versucht, 145 Bälle in der Luft zu halten. So viele Finanzierungstitel gibt es im Caritasverband Oberhausen - für 46 Angebote. Während der Bäcker Brötchen, Kuchen und Teilchen verkauft und vom Kunden Geld dafür bekommt, bietet ein Caritasverband eine Dienstleistung an und kann dafür aus drei, vier, fünf unterschiedlichen Quellen Geld bekommen - oder auch gar keins.
Leistung wirksam - Finanzierung wackelig
Beispiel Schuldnerberatung: Die Kommune gibt nach langer Verhandlung 20000 Euro freiwillig, ein dafür gesetzlich vorgeschriebener Fonds der Giro- und Sparkassenverbände noch mal 12000 Euro, der Rest für die Finanzierung einer halben Stelle plus Sachkosten kommt aus Kirchensteuermitteln. Dafür gibt es ein kostenfreies Angebot für den oder die Schuldnerin und für die Allgemeinheit eine nachgewiesenermaßen hochwirksame Leistung zur Verhinderung von dauerhafter Armut. Dieses Angebot kostet die Gesellschaft viel weniger, als es kosten würde, die Schuldner alleinzulassen. Das ist eigentlich eine simple Kosten-Nutzen-Rechnung mit eindeutiger Rendite für die Gesellschaft. Dennoch steht der Dienst auf der Kippe, weil Oberhausen als Ruhrgebietskommune notorisch klamm ist (Haushaltssicherung), ebenso wie das im Vergleich zum Erzbistum Köln oder Paderborn arme Bistum Essen. Ein wichtiger Dienst, drei Finanzierungsquellen, zwei davon wackelig: Fällt ein Ball runter … Das Land streitet seit Jahren mit den Kommunen darüber, wer Schuldner- und Insolvenzberatung eigentlich zahlen soll. Eine sichere Finanzierung? Nicht in Sicht. Das ist ein Angebot unseres Orts-Caritasverbandes. Eines von 46.
Gehälter sind regelmäßig fällig
Natürlich gibt es Finanzierungen aus einer Hand, aber eben auch noch deutlich komplexere - wie etwas Kitas (siehe hier oder Seite 20 dieser Ausgabe), davon gibt es im Caritasverband Oberhausen drei, eine davon wird allerdings wiederum über die Eingliederungshilfe finanziert. Es gibt gute Finanzierungen und schlechte. Gemein ist allen eins: Von den Einnahmen wollen rund 450 menschlich und fachlich qualifizierte Mitarbeitende zu Mitte des Monats ihr Gehalt bekommen. Die Immobilien müssen instand gehalten und der Aufwand für die Abrechnung des Personals muss finanziert werden.
Rigide Verwendungsvorschriften
Während die Öffentlichkeit über die inhaltliche Arbeit der Caritas für benachteiligte Menschen gut informiert ist, sind die Hintergründe der Finanzierung kaum bekannt. Viele vermuten, dass Geld aus der öffentlichen Hand fließt. Dem ist auch so: Wir bekommen Mittel von EU, Bund, Land und Kommune. Hinter jeder dieser Abrechnungsformen stehen oft komplizierte Antrags- und Abrechnungsmodalitäten - vor allem bei mit EU-Mitteln geförderten Projekten. Für ein einziges Projekt mit zwei Mitarbeitenden sind Regeln zu beachten, die auf knappen 83 Seiten zusammengefasst sind. Da müssen Fristen, unterschiedliche Laufzeiten oder differenzierte Richtlinien mit rigiden Vorschriften über Mitteleinsatz, Mischfinanzierung oder Qualifikationsvorgaben für den Einsatz von Mitarbeitenden beachtet werden - ansonsten drohen Rückzahlungen oder Vertragskündigung. Wenn es einmal vorkommt, dass Geld übrig bleibt, kann es nicht etwa als Kompensation für andere unterfinanzierte Bereiche genutzt werden. Es ist schlicht untersagt - also kein Geld von übrig gebliebenen Projektmitteln etwa für die Schuldnerberatung.
Hinzu kommt, dass viele Fördertitel separat verhandelt werden müssen - kein Kinderspiel in einer Kommune wie Oberhausen, die bundesweit am unteren Tabellenende der finanzschwachen Städte steht. Hier steht in der Regel nur ein Minimum an Leistungsentgelt zur Verfügung. Es gibt positive Beispiele wie den Pflegekinderdienst, der im Auftrag der Kommune Pflegefamilien gewinnt und die Kinder vermittelt: Nach langen Verhandlungen gibt es hier eine auskömmliche Finanzierungsbasis. Aber das ist mitnichten die Regel. Beispiel offener Ganztag an Grundschulen: 67 Mitarbeitende leisten hier täglich gute Arbeit, 2025 gibt es einen Rechtsanspruch. Die Kommune muss neuerdings für die Verwaltungskosten der Träger aufkommen, wollte nur sechs Prozent zahlen, wobei die nachgewiesenen Kosten bei knapp zwölf Prozent liegen. Alle Träger drohten mit Aufgabe, jetzt gibt es eine Einigung auf zehn Prozent. Eine Unterdeckung für einen künftigen staatlichen Pflichtbereich. Das kostet Nerven, Zeit und Geld - und geht auf Dauer nicht gut, wenn das Land nicht einspringt. Und so geht es nicht nur in der OGS, sondern auch in der Schulsozialarbeit und dem Lese-Rechtschreib-Projekt und, und, und. Angesichts der Corona-Belastungen steht zu befürchten, dass sich die Kommune aus freiwilligen Aufgaben verabschieden wird, obwohl diese dringend erforderlich sind. Ein weiteres Risiko.
Spenden (siehe hier oder Seite 14 dieser Ausgabe) sind zwar im Gesamtumsatz von 23 Millionen Euro prozentual eine relativ kleine, dafür aber eine ungemein wichtige Quelle: Unser Kontaktcafé "Gleis 51" etwa, das an 365 Tagen im Jahr allen offensteht für eine Suppe und ein warmes Wort, wird nur aus Kirchensteuermitteln und Spenden finanziert. Kein anderer kommt dafür auf. Eine wichtige Aufgabe, die wir nur mithilfe von Bürgerinnen und Bügern, Unternehmen und Kirchensteuerzahlerinnen und -zahlern stemmen können, weil wir dies für notwendig und wichtig erachten. Und genau das ist eben keine Kür, sondern eigentlich unsere Pflicht: an die Stellen zu gehen, wo sonst keiner ist (und die eben auch keiner finanziert).
Das Spannungsfeld von Ökonomie und Nächstenliebe gilt es fast täglich auszutarieren. Ein Caritasverband muss mit vielen Bällen jonglieren, um dem eigenen Anspruch gerecht zu werden: keinen Menschen fallen zu lassen.