Hilfe zur Selbsthilfe
Ohne das Farm-Projekt hätte sie keine Zukunft in Rumänien: Junge alleinstehende Erwachsene, teilweise körperlich oder psychisch behindert, haben in Ineu eine Lebensperspektive gefunden.Gerd Vieler
Über 100-mal war er bereits dort. War es anfangs die pure Nothilfe für verwahrloste, teils psychisch behinderte Heimkinder, so entwickelte sich daraus ein Projekt, das Arbeiten und Wohnen verbindet: Mit Unterstützung des Paderborner Diözesan-Caritasverbandes wurde eine aufgegebene Kolchose mit 35 Hektar Land gekauft. Aus den verfallenen Gebäuden entstand ein integrativer Bauernhof mit angeschlossenen Werkstätten - ein Kraftakt, der ohne die Aufbauhilfe vieler freiwilliger Helfer aus Paderborn und entsprechende Geld- und Baumaterial-Spenden aus Deutschland nicht möglich gewesen wäre.
25 junge alleinstehende Erwachsene, ohne Familie und zum Teil mit psychischen Behinderungen, haben auf der Farm Arbeit und ein neues Zuhause gefunden. Neben Tierhaltung, Gemüseanbau und Pilzzucht gibt es eine Besenproduktion und einen Reparaturbetrieb für Fahrräder. Ausgediente Fahrräder aus Deutschland werden hier wieder "aufgemöbelt" und verkauft. Auch Bienenvölker und Fischteiche gehören zum Angebot des Betriebes. Alle hierdurch erwirtschafteten Einnahmen tragen mit dazu bei, den Lebensunterhalt der jungen Menschen zu sichern. Getragen wird die Einrichtung vom christlichen Verein "IMPREUNA" (deutsch: "Gemeinsam"), der 1998 mit Paderborner Unterstützung gegründet wurde. IMPREUNA betreibt neben der Farm noch drei Kinderhäuser für Waisenkinder in der Umgebung von Ineu.
Caritas in NRW: Herr Bracke, andere verbringen ihren Urlaub auf Mallorca, Sie treibt es seit über 20 Jahren regelmäßig in die tiefste rumänische Provinz. Was ist es, das Sie motiviert und diese Motivation wachhält?
Johannes Bracke: Als die Welt 1989/90 von den unmenschlichen Zuständen in vielen rumänischen Kinderheimen und Behinderteneinrichtungen erfuhr, war auch ich zutiefst vom Elend dieser Menschen berührt. Es war für mich daher keine Frage, den großen Hilfstransport des Diözesan-Caritasverbandes Paderborn Anfang 1990 persönlich aktiv zu unterstützen. Die Eindrücke und Erlebnisse vor Ort haben mich nicht mehr losgelassen.
Die Caritas hatte seinerzeit einen Slogan "Danken und Teilen". Menschen, denen es gut geht, haben allen Grund, dankbar zu ein. Mir ging es gut, und ich war dankbar. Mein "Wohlgefühl" wollte ich mit anderen Menschen teilen, und ich spürte, in Ineu gebraucht zu werden. Dies war und ist meine Motivation mitzuhelfen. Sie wurde wachgehalten durch die großartige Unterstützung, die ich hier in meiner Heimat durchz. B. viele Gruppen in verschiedenen Pfarreien, den SKM und den Diözesan-Caritasverband erfahren habe, aber auch durch die entscheidende Mitwirkung der Hilfeempfänger. Das sind neben den Jugendlichen und jungen Erwachsenen auch deren Betreuer vor Ort. Nur so kann Hilfe zur Selbsthilfe funktionieren.
Caritas in NRW: Herr Bracke, was können Projekte wie das Farm-Projekt in Ineu bewirken?
Johannes Bracke: In erster Linie lindern sie die Not der in Armut und Hoffnungslosigkeit lebenden Menschen. Sie bekommen nicht nur Essen, Trinken, Kleidung und ein Dach über den Kopf, vielmehr bekommen sie eine Perspektive für ihre Zukunft, für ein menschenwürdiges Leben und eine Chance, Selbstverantwortung zu übernehmen. Uns, die wir helfen, gibt es das gute Gefühl, etwas Sinnvolles getan zu haben. Darüber hinaus haben unsere Workcamps in den Jahren 2008 bis 2010 durch das Miteinander-Arbeiten und das gegenseitige Besuchen einen wichtigen Beitrag zur europäischen Verständigung geleistet.
Alles in Eigenleistung: Aus den verfallenen Wirtschaftsgebäuden einer ehemaligen Kolchose entstand ein neues Zuhause für 25 junge Rumänen.Gerd Vieler
Caritas in NRW: Wo sind die Grenzen für derartige Projekte?
Johannes Bracke: Nachdem die Staatsgrenzen in Europa offen sind, gibt es keine Willkür und keine Schikane mehr bei Hilfstransporten. Die Grenzen für ein solches Projekt liegen in der langfristigen Finanzierung. Noch gibt es keine staatliche Unterstützung in der erforderlichen Art und im notwendigen Umfang für Projekte, die sich um junge Erwachsene mit körperlichen oder psychischen Behinderungen kümmern. Bei Kindern ist dies zum Glück im vereinten Europa schon gelungen.
Caritas in NRW: Mal abgesehen von Ihrem Engagement in Ineu - was müsste noch geschehen, damit sich die Lage junger arbeitsloser Menschen in Rumänien verbessert?
Johannes Bracke: In unserem Projekt sind die Menschen nicht nur jung und arbeitslos, sondern auch mehr oder weniger stark körperlich oder psychisch behindert. Das macht die Situation deutlich schwieriger. Es fehlt das Verständnis staatlicher Stellen für die besondere Problematik dieser jungen erwachsenen Menschen und folglich auch das Engagement. Man verlangt von der sozialen Einrichtung die Einhaltung der Regelungen nach europäischem Standard, wie beispielsweise eine personelle Ausstattung. Doch es fehlt die notwendige finanzielle Unterstützung, um diesen Standard erreichen zu können. Es reicht nicht zu fordern, der Staat muss auch fördern!
Johannes Bracke, Geschäftsführer des SKM Paderborn, organisierte von 2008 bis 2010 drei internationale Workcamps, in denen auch junge Leute aus dem Erzbistum Paderborn anpackten, um das Farm-Projekt zu realisieren. Entstanden sind z. B. Gewächshäuser für den Gemüseanbau (oben links), aber auch kombinierte Wohn- und Werkstattbereiche (oben rechts).