Ein kleiner Garten Eden
Wenn die Sonne lacht, hüpft das Herz – nicht nur bei den Initiatoren des Mehrgenerationengartens in Lippstadt: Sozialpädagogin Veronika Böttcher, SKM-Geschäftsführerin Gabriele Leifels und Sozialarbeiter Pietro Basile (v. l. n. r.).Jürgen Sauer
Mit dem "internationalen Mehrgenerationengarten" gelingt es seit 2008, alle Altersschichten und Nationalitäten im Viertel zu erreichen: vom Kita-Kind bis zum Rentner, vom alten Lippstädter "Poalbürger" bis zur arabischstämmigen Mutter. Direkt nebenan betreibt der SKM seit 1998 den "Treff am Park" (TAP), einen "Magnet" für Kinder und Jugendliche: An sechs Tagen in der Woche gibt es hier attraktive Freizeitangebote, dazu Hausaufgabenhilfe oder besondere pädagogische Hilfen.
Das Prinzip des Gartens besteht darin, Bewohnern und Gruppen aus dem multikulturell geprägten Stadtteil einen Teil des Parks zur privaten Nutzung anzubieten, d.h., Gemüse, Kräuter und andere leckere Dinge aus ihrer Heimat anzubauen. "Wir knüpfen damit an die Liebe zum Garten an, die viele Menschen aus den Mittelmeerländern, aber auch Russlanddeutsche mitbringen", sagt SKM-Geschäftsführerin Gabriele Leifels. Auch Einrichtungen wie Kitas dürfen ihren eigenen Garten pflegen. Die zehn Parzellen liegen nebeneinander und sind durch hübsch gestaltete Holzschilder gekennzeichnet: So gibt es beispielsweise einen türkischen Garten, einen syrischen, einen russlanddeutschen, einen indischen oder griechischen. Zäune sucht man vergeblich. Oder es sind höchstens ganz kleine, wie etwa beim deutschen Garten. "Mehr als 15 Zentimeter habe ich nicht erlaubt", lacht Dr. Pietro Basile, Sozialarbeiter beim SKM Lippstadt und "Motor" des Projekts.
Einträchtig gärtnern so Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, Sprachen, Religionen nebeneinander: Sie bewundern die Bohnen der türkischen Nachbarn, lernen Kräuter aus Indien kennen oder die besonders leckere Tomatensorte aus Italien, die man in deutschen Supermärkten vergeblich sucht. Oft weckt das eigene Stück Land verschüttet geglaubte Lebensgeister. "Für Migranten ist der eigene Garten sehr wichtig. Er zeigt einem, dass man in der Fremde langsam Wurzeln geschlagen hat", weiß Dr. Basile. Selbst bei depressiven Verstimmungen helfe die Gartenarbeit. "Ich brauche keine Medikamente mehr", sagte ihm neulich ein griechischer Hobbygärtner, der kurz vor der Rente seinen Job verloren hatte und darüber krank geworden ist.
Zähmung durch Verantwortung
Verbunden werden die hufeisenförmig angelegten Parzellen durch einen Kräutergarten und einen "Naschgarten", der allen Besuchern offen steht und gerade Kindern vermittelt, wie frisch gepflückte Beeren oder Äpfel schmecken. Eine halbhohe Trockenmauer, die u.a. mit Erdbeeren bepflanzt ist, ermöglicht auch Rollstuhlfahrern oder Senioren mit Rollator, von den süßen Früchten zu kosten. Spiel- und Sportgeräte, eine Boule-Bahn und eine Bühne runden das Gelände ab. Eine Besonderheit ist das Insekten-Hotel - Ergebnis eines Sozialeinsatzes von Jugendlichen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren. Auch sie konnte Dr. Basile begeistern, ihre Talente für eine gute Sache einzusetzen.
Seit über 30 Jahren ist der Mann aus Kalabrien in Lippstadt in Sachen "Integration und Migration" unterwegs. Der "internationale Mehrgenerationengarten" bildet quasi die Summe seiner Berufserfahrung: "Zähmung durch Verantwortung", so nennt er scherzhaft das Prinzip. Die Übergabe von Verantwortung an die Bewohner, ob Jung oder Alt, ist für ihn der Schlüssel für eine Vielzahl sich gegenseitig verstärkender Effekte: So sind Vandalismus und Diebstahl hier Fremdwörter - entgegen allen Unkenrufen zu Beginn des Projekts. "Es ist unser Garten", so lautet das Credo der Bewohner. Dass dieser Garten picobello sauber ist, versteht sich von selbst. Er ist das Sonntagsziel mancher Familie, Ersatz für unerreichbar teure Urlaube im Süden. Verständlich, dass die Anlage gehütet wird wie der eigene Augapfel.
Auch die Jugendlichen, die mit Gartenarbeit nicht zu begeistern sind, lassen sich einbinden - wenn man ihnen frühzeitig zu erkennen gibt, dass sie Verantwortung haben, zum Beispiel auch für die Freizeitgestaltung in der Gartenanlage. "Es reicht nicht, ihnen einfach nur Outdoor-Trimmgeräte hinzustellen", erläutert Gabriele Leifels. "Die Jugendlichen müssen das Gefühl haben, dass es ihre eigenen Geräte sind." Um solche Effekte zu erreichen, sind viele Einzelgespräche und Bewohner-Versammlungen nötig, aber vor allem ein glaubwürdiges "personales Angebot" in Gestalt von Dr. Pietro Basile. Als "Allrounder" hat sich der Sozialarbeiter bewährt: ob beim Trockenmauer-Bauen, bei der Kräuterkunde bis hin zum Pizza-Backen im großen Garten-Ofenhaus.
Kein Zweifel, das Image des Viertels hat sich durch das SKM-Projekt deutlich verändert. "Während man früher etwas verschämt seine Adresse nannte, sagt man heute voller Stolz: Ich wohne am Treff am Park", weiß Gabriele Leifels. Wie gut das Projekt verankert ist, zeigt die jährlich steigende Besucherzahl beim Stadtteilfest: 700 Personen waren es beim letzten Mal. Indes: Ohne Spenden wäre das Garten-Projekt nicht möglich. Über 30000 Euro musste der SKM in den vergangenen Jahren an freien Mitteln sammeln. Heimische Unternehmen, Parteien und Einrichtungen engagieren sich mit Sachspenden, sei es mit neuen Obstbäumen oder Baumaterialien wie Steine und Holz.
Ausgrenzung und Abschottung überwinden
Dr. Pietro Basile blickt in der warmen Mai-Sonne voller Stolz auf die gepflegten Gartenparzellen, auf die Trockenmauer mit den Erdbeerpflanzen und die Kräuter wie die Wolfsmilch-Gewächse. "Wirkt gegen Warzen", wird er gleich wieder einigen staunenden Kita-Kindern erklären, die spontan vorbeischauen. Dieser Garten ist für ihn auch ein Zeichen, ein hoffnungsvolles Beispiel, dass Ausgrenzung und Abschottung überwunden werden können - so tief sie auch in den Köpfen sitzen mögen. Tief verwurzelt sei das Misstrauen gegen alles Fremde, auch hier im Lippstädter Südwesten: Schon vor dem Krieg sei den Kindern eingeredet worden, nicht mit den "Schmuddelkindern" aus einem anderen Stadtteil zu spielen. Nach dem Krieg kamen dann die Flüchtlinge und Vertriebenen, dann die Engländer, die Gastarbeiter und später die Übersiedler aus der ehemaligen DDR. Nein, hohe Mauern und Zäune sind keine Erfindung Gottes, so seine Lebenserfahrung, es geht auch anders. Der kleine Garten Eden in Lippstadt zeigt das ganz deutlich.