Ausgebombt und gefoltert
Mit 150 Zelten ist das Lager Delhamiye in der libanesischen Bekaa-Ebene eines der größten. Die weißen Planen spendete die Caritas Österreich, um die Zelte etwas mehr winterfest zu machen.Markus Lahrmann
"Ich bin ein einfacher Arbeiter und wohnte bei Aleppo. Die Luftangriffe, die Bomben, die Schießereien - wir haben das nicht mehr ausgehalten. Einmal gab es 27 Tage nacheinander Luftangriffe und Schießereien, dann ist die Armee in die Häuser eingedrungen. Sie haben Kinder und alte Leute umgebracht, geraubt und geschlagen. Mich haben sie gefangen genommen, gefoltert und beschimpft und geschlagen." Mit leiser Stimme, immer wieder stockend, als wäre er schwer traumatisiert, berichtet der junge Syrer, der als Namen Mohammed angibt, von seiner Flucht aus dem Bürgerkriegsland Syrien.
Wir sind in einem Caritas-Flüchtlingszentrum in Madaba, einer Kleinstadt südlich der jordanischen Hauptstadt Amman. Im Innenhof neben einer kleinen Kirche warten rund 50 Frauen, Männer und einige Kinder. Mohammed kam einige Zeit später frei, so berichtet er weiter, ging dann mit seiner Familie nach Damaskus "in der Hoffnung, dass sie uns dort nicht finden". Aber auch in Damaskus wurde er festgenommen, und als er doch wieder freikommt, macht er sich mit seiner Frau und den kleinen Kindern im Alter von nun vier, sechs und acht Jahren auf den Weg und überquert schließlich die Grenze an einem unbewachten Abschnitt. "Wir konnten nichts mit uns bringen, kein Geld, keine Vorräte", sagt Mohammed. Im November gelangten sie in das große Flüchtlingscamp Saatari, es ist kalt, regnet, die Zelte sind undicht. "Hier in Madaba geht es uns jetzt besser", sagt er.
Rund 400000 Flüchtlinge hat Jordanien bislang aufgenommen, eine unglaubliche Leistung für ein kleines Land mit rund sechs Millionen Einwohnern. Die Zahlen steigen, derzeit suchen jeden Tag durchschnittlich 2000 neue Flüchtlinge in Jordanien Schutz. Weil das Land Angst vor sozialen Spannungen hat, versuchte es bisher, die Errichtung großer Flüchtlingslager zu vermeiden, lediglich Saatari nahe der syrischen Grenze fungierte als Auffanglager, dort leben rund 90000 Menschen. Der Flüchtlingsdruck überall im Land wächst, die Mieten sind explodiert, Preise für Lebensmittel steigen, es gibt fast keine Arbeit für die Neuankömmlinge.
Caritas Jordanien hat sich entschieden, denen zu helfen, die im ganzen Land verstreut leben. In den Caritas-Flüchtlingszentren wie in Madaba müssen sich die Hilfesuchenden registrieren lassen. Ihre Daten werden mit der landesweiten Datenbank der Caritas abgeglichen. Das dient nicht nur dazu, Zahlen und einen Überblick zu behalten, sondern auch dazu, den Missbrauch von Leistungen zu verhindern. Meist besuchen Hauptamtliche oder Freiwillige die Antragsteller zu Hause, um die Bedürftigkeit zu prüfen. Per Handy (das Handy ist das einzige effektive Kommunikationsmittel auch für die syrischen Flüchtlinge) werden die Familien dann zu einem festen Termin einbestellt, um Hilfsgüter zu empfangen. So kann die Caritas verhindern, dass Flüchtlinge, die von verschiedenen Bürgerkriegsparteien stammen, bei der Ausgabe von Hilfsgütern aufeinanderprallen.
Im Flüchtlingszentrum von Madaba geht es friedlich zu. Jede Familie (mit mindestens vier Angehörigen) erhält heute vier Decken und eine Box mit Hygiene-Artikeln. "Als Caritas haben wir von Anfang an für alle gearbeitet, die in Not sind und bedürftig", erklärt Wael Suleiman, Direktor der Caritas Jordanien, später. In einem Land, in dem 95 Prozent der Einwohner Muslime sind, wirkt die Caritas als sozialer Arm der katholischen Kirche. "Die Menschen spüren, dass sie bei der Caritas respektiert werden", sagt Suleiman. "Unser Traum ist es, die Welt zu ändern."
Mindestens vier Personen müssen zu einer Familie gehören, damit sie von der Caritas Jordanien Unterstützung erhält.Christian Laas, Caritas
Opfer von beiden Seiten
Wenige Tage später im Libanon: "Keine Fotos, keine Fotos" - Ablehnung und Angst stehen den Menschen ins Gesicht geschrieben. Sie haben uns in ihr Zelt eingeladen, das seit einigen Tagen ihr neues Zuhause ist. Am Rande der Bekaa-Ebene am Fuß der Berge stehen acht Zelte, ein barmherziger Libanese erlaubt syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen, hier umsonst zu wohnen. Ahmal (57), seine Frau Mona (53) mit ihren Töchtern Delal (25) und Minya (19) und drei kleinen Kindern leben hier - mit Teppich, dünnen Matratzen und einigen Habseligkeiten, die sie auf ihrer Flucht aus Syrien mitnehmen konnten. Wir sitzen auf dem kalten Boden, trinken den angebotenen Tee und hören ihre Geschichte: Sie wohnten in einem Vorort von Damaskus, erleben die Kämpfe und das Morden der Assad-Soldaten. Minya muss als Sozia auf einem Motorrad miterleben, wie vor ihr der Fahrer erschossen wird. Als ihr Haus einen Granaten-Treffer erhält und zerstört wird, fliehen sie.
Sie halten zur Freien Armee, gegen den Diktator Assad. Alle in ihrem Stadtviertel seien politisch einer Meinung, sagt Ahmal. Und dann bricht es aus ihm heraus: "Warum greifen die westlichen Staaten nicht ein?", fragt er uns. "Wir wollen keine Spenden, wir wollen kein Essen, wir wollen zurück nach Syrien." Zurückgehen werden sie, "wenn Assad verschwindet", sagt Ahmal.
Ungefähr drei Stunden später sitzen wir nicht weit entfernt in der Stadt Zahleh in einer kleinen Wohnung bei einer christlichen Familie, die aus Syrien geflüchtet ist. Ein altes Ehepaar mit seiner erwachsenen Tochter (Georges, 76, Mariam, 62, und Mirna, 32) lebt hier ohne Strom, nur mit einem kleinen Ofen und zwei Betten, und sie beweinen ihr Unglück: Auch sie wohnten in einer kleinen Stadt nahe Damaskus. Als die Krise begann, kamen die Rebellen als Erstes zu ihnen und forderten sie auf, die Stadt zu verlassen. Diese Region gehöre jetzt den Muslimen, sagte man ihnen. Sie haben alles verloren, was sie einmal besaßen. Sie berichten über Kidnapping und Erpressung, die Kirchen und Glaubensbilder sind zerstört, das Haus ihrer Schwester haben die Rebellen besetzt. "Wir wollen die Ordnung und die Sicherheit zurück, die vor der Revolution herrschten", sagt Mirna. Kein Zweifel, sie halten zu Assad, sie hoffen, dass er die Oberhand behält. Es lässt sich leicht vermuten, dass sie für seinen Sieg auch beten. "Wenn Gott will, werden wir zurückkehren", sagt Mirna, "aber wenn die Rebellen gewinnen, werden wir nicht gehen", fügt sie hinzu.
Beide Geschichten gehen unter die Haut. Es ist einfach, sich mit Betroffenen zu identifizieren und sich in ihr Schicksal einzufühlen. Die Verteilung von "Gut" und "Böse" ist bei beiden Familien allerdings genau entgegengesetzt. In vielen westlichen Medienberichten ist Assad der Schurke, sind die Rebellen Freiheitskämpfer. Doch die Wahrheit ist komplizierter. Opfer finden sich auf beiden Seiten - und sie sind die wahren Verlierer. Als Caritas-Mitarbeiter ist klar: Die Caritas hilft den Opfern - auf beiden Seiten.
Inzwischen ist rund eine Million Menschen aus Syrien geflohen. Achtzig Prozent der Flüchtlinge sind Frauen und Kinder. Nach zwei Jahren Krieg kommen sie oft vollkommen mittellos in den Zentren an. Ihre Situation verschlechtert sich zunehmend, weil auch die aufnehmenden Länder mehr und mehr überfordert sind. Die zugesagte internationale Hilfe ist bislang nur zu einem kleinen Teil ausgezahlt worden.
Caritas international leistet Hilfe für die Flüchtlinge in zwölf Caritas-Zentren in Jordanien und im Libanon.
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Stichwort: Nothilfe Syrien