Von Integrationspatenschaften zu Chancenpatenschaften
Seit 2016 unterstützen ehrenamtliche Pat(inn)en im Programm "Menschen stärken Menschen" geflüchtete Menschen: Sie helfen beim Deutschlernen, bei Behördengängen oder Arztbesuchen und der allgemeinen Orientierung in der neuen Umgebung. Auch bei der Suche nach einem Ausbildungs- oder Arbeitsplatz oder einer Wohnung, spielen die Netzwerke der Pat(inn)en oft eine wichtige Rolle. Doch nicht nur für die Geflüchteten öffnen sich durch dieses Engagement neue Türen. Die Pat(inn)en lernen neue Perspektiven, Lebensweisen und Einstellungen kennen: Oft entstehen dadurch Freundschaften. Was die Patenschaften von anderen Unterstützungsangeboten unterscheidet, ist die persönliche Beziehung, die sich zwischen den Tandempartner(inne)n entwickelt. Auf der Basis dieses Vertrauens kann gemeinsam viel erreicht werden.
94.000 Patenschaften in vier Jahren an mittlerweile 500 Standorten bundesweit
Eine große Vielfalt von Trägern und Organisationen hat es sich im Bundesprogramm zur Aufgabe gemacht, solche Patenschaften zu stiften und zu begleiten. Beteiligt sind unter anderem die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege, Migrant(inn)enorganisationen, Freiwilligenagenturen, Sozialdienste, Flüchtlingsinitiativen, Bürgerstiftungen, Seniorenbüros, Mehrgenerationenhäuser, Schulen und Fördervereine sowie Moschee- und Kirchengemeinden. Gefördert wird das Programm durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Seit Anfang 2016 sind so schon über 94.000 Tandems entstanden. An über 500 Standorten deutschlandweit werden derzeit Patenschaften gestiftet – 27 dieser Standorte sind unter dem Dach des Deutschen Caritasverbands.
Von Integrationspatenschaften für Geflüchtete zu Chancenpatenschaften für Benachteiligte
In den ersten Jahren des Programms wurde sichtbar, welches Potenzial in Patenschaften steckt. Sowohl Pat(inn)en als auch Geflüchtete berichteten von den positiven Auswirkungen der Patenschaften auf ihr Leben und ihr persönliches Umfeld. Dieses Potenzial des Modells Patenschaft sollte auch anderen Menschen in benachteiligenden Lebensumständen zu Gute kommen und so wurden ab Ende 2018 Patenschaftsprojekte für benachteiligte Kinder- und Jugendliche und Familien, für Senior(inn)en, Menschen mit Behinderung, für Alleinerziehende und andere Menschen in besonderen Lebenslagen aufgelegt. Mit Hilfe von bürgerschaftlichem Engagement sollen zusätzlich zu den Geflüchteten nun auch diejenigen Menschen erreicht werden, denen eine Perspektive für die Zukunft fehlt und die auch durch andere Angebote schwer zu erreichen sind.
Chancen eröffnen für Kinder und Jugendliche
So können beispielsweise Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Familien durch Patenschaften unterstützt werden. Laut der aktuellen Shell-Jugendstudie besteht beispielsweise immer noch "ein starker Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und sozialer Herkunft. Bei Jugendlichen aus bildungsfernen Elternhäusern ist es nur halb so wahrscheinlich, dass sie das Abitur schaffen (39 Prozent) wie bei Jugendlichen aus bildungsnahen Elternhäusern (81 Prozent)." Die Pat(inn)en können ihren Mentees einerseits konkrete Nachhilfe beim Lernen geben, aber auch Vorbilder sein und realistische Vorstellungen von Berufs- und Lebensplanung vermitteln. Gerade für einen gelingenden Übergang von Schule zu Beruf oder die Vorbereitung auf eine passende Ausbildung fehlt jungen Menschen oft individuelle Unterstützung.
Bestätigung aus der Forschung
Auch Bildungsforscher Klaus Hurrelmann ist vom großen Potenzial von Patenschaften überzeugt, die soziale Benachteiligung junger Menschen auszugleichen, da sie neben der Bildung auch die Persönlichkeitsentwicklung unterstützen können. Gerade wenn die jungen Menschen unter Perspektivlosigkeit, Ausgrenzung oder geringem Selbstbewusstsein leiden, können Pat(inn)en gezielt die Ressourcen der jungen Menschen herausarbeiten und dabei deren Selbstwertgefühl steigern. Die Jugendlichen erhalten die Möglichkeit, verlässliche Erwachsene zu erleben, die ihre Fähigkeiten sehen, schätzen und fördern. Ziel ist es, die jungen Menschen auf dem Weg zu einer eigenverantwortlichen, selbstständigen Lebensführung zu begleiten. In den professionellen Jugendberatungsstellen der Caritas, erhalten die jungen Menschen vielerlei Hilfestellungen bei der Suche nach Praktika und Ausbildungsplätzen, im Bewerbungsprozess, in persönlichen Konfliktsituationen oder auch bei Wohnungsproblemen oder Schulden. Was die Patenschaften zusätzlich zu den professionellen Hilfsangeboten beitragen können, ist die persönliche Beziehungsebene zwischen Pat(inn)en und Mentees und die Möglichkeiten der Pat(inn)en, sehr individuell und mit größeren zeitlichen Ressourcen als Hauptamtliche, auf die Bedürfnisse und Interessen der Jugendlichen eingehen zu können.
Jede Patenschaft ist einzigartig
Die Patenschaften im Programm „Menschen stärken Menschen” sind so vielfältig, wie die Menschen, die in Ihnen aufeinander treffen. Wenn es einen Bedarf gibt, so wird ein(e) passende(r) Pate/in gesucht. So besuchen einige Ehrenamtliche regelmäßig Senior(inn)en im Altenheim, die keine Angehörigen mehr haben, sich über kleine Spaziergänge und Gespräche freuen oder eine Begleitung für Besorgungen benötigen. Alleinerziehende, die vielfältigen Herausforderungen gerecht werden müssen und körperlich und physisch erschöpft sind, sind für die Unterstützung von Pat(inn)en dankbar, die sie bei der Kinderbetreuung entlasten, zu Ämtern begleiten und bei der Beantragung von staatlichen Hilfeleistungen unterstützen. Manchmal werden sogar ehemalige Mentees selbst zu Paten: Malik S., den seine Patin beim Deutsch lernen unterstützte, engagiert sich nun selbst als Lernpate und erteilt Nachhilfe in Mathematik.
Ein passendes Gegenüber finden
Ein wichtiger Baustein für den Erfolg des Konzepts, sind die hauptamtlichen Koordinator(inn)en, die in den Projekten vor Ort dafür sorgen, dass die passenden Tandempartner(innen) zusammenfinden. Denn nur ein starkes Team kann gemeinsam auch schwierige Situationen meistern. Dazu werden vor Beginn der Patenschaft beide Partner(innen) genau zu ihren Interessen, Ressourcen und Bedarfen befragt. Die Koordinator(inn)en begleiten die Tandems auf ihrem weiteren Weg und vermitteln, wenn es einmal zu Missverständnissen kommen sollte, organisieren Themen- und Reflektionsabende für die Ehrenamtlichen und vermitteln an Fachberatungsstellen und Angebote.
Perspektiven
Im Jahr 2019 sind in den Projekten der Caritas 1.300 Patenschaften entstanden. Menschen in verschiedenen Lebenslagen und aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen sind sich begegnet, haben andere Lebenswirklichkeiten und Perspektiven kennengelernt und sich füreinander eingesetzt. Die zunächst im Raum stehende Halbierung der Fördermittel für "Menschen stärken Menschen" für das Jahr 2020 ließ die Sorge aufkommen, dass viele Projekte ihre Arbeit mit den Tandems nicht im bisherigen Umfang weiterführen können. Nach großem Einsatz aller Beteiligten, die aufgezeigt haben, wie viel Engagement und Wirkungskraft in den Patenschaften steckt, konnte die Förderung für "Menschen stärken Menschen" für ein weiteres Jahr gesichert werden.