Klimawandel und Flucht
Im dürregeplagten Niger ist Wasser zu einem extrem teuren Gut geworden. Insbesondere in den Flüchtlingslagern wie hier in Ayorou herrscht große Wassernot. Simone Stefanelli / Caritas Schweiz
Die Zahl der Naturkatastrophen nimmt weltweit spürbar zu, mittlerweile sind es durchschnittlich 350 pro Jahr - eine Verdoppelung seit den neunziger Jahren. Viele dieser Katastrophen sind auf extreme Wetterphänomene zurückzuführen. Auch wenn nicht jedes Wetterereignis unmittelbar dem Klimawandel zuzuschreiben ist, so sind die Folgen des weltweiten Temperaturanstiegs insgesamt doch unbestritten. Betroffen sind vor allem ärmere Länder, in denen die Lebensbedingungen jetzt schon viel schwieriger sind als bei uns, wie etwa im südlichen Afrika und im Ganges-Delta. Einem Bericht der Weltbank zufolge werden in Afrika bis zum Jahr 2030 rund 40 Prozent der jetzt genutzten Fläche aufgrund von Trockenheit für den Maisanbau unbrauchbar sein.
Vor allem Bauern stellen Veränderungen fest und berichten uns davon: Dürreperioden dauern länger, Regen fällt, wenn er denn kommt, so heftig aus, dass er kaum noch landwirtschaftlich nutzbar ist, sondern Zerstörung und Verwüstung bringt. Auf althergebrachtes Wissen über Regenperioden, Aussaatzyklen und Ernten beispielsweise können sich die Landwirte, mit denen wir in Afrika zusammenarbeiten, immer weniger verlassen. Immer wieder hören wir von ihnen: "So etwas haben wir noch nie erlebt."
Der Klimawandel lässt sich nicht leugnen
Die Wissenschaft stützt solche Beobachtungen: Der globale Klimawandel führt regional nach Angaben des Weltklimarats IPCC schon jetzt zu einer Häufung von starken Tropenstürmen und Orkanen, zu einer Verlängerung der Trockenperioden vor allem in ariden Gebieten und zu häufigeren Dürren - und laut Prognosen des IPCC werden sich diese Entwicklungen noch verschärfen. Auch das Ausmaß und die Häufigkeit von Starkregen und damit verbundenen Fluten und Überschwemmungen sind weltweit gestiegen. Vermutlich intensivieren sich auch die Klimaphänomene El Niño und La Niña, unter denen beispielsweise derzeit Ostafrika leidet, durch die globale Erwärmung. Diese Schwankungen der Meerestemperaturen führen im negativen Fall dazu, dass weniger Feuchtigkeit verdunstet, der Regen nicht mehr aufs afrikanische Festland getrieben wird und Niederschläge in den beiden Regenzeiten des Jahres deshalb ausbleiben. In Ostafrika hat das erheblich zu den Ernteausfällen beigetragen, die - neben Krieg und Terror - mitverantwortlich sind für die Hungerkatastrophe, die Millionen Menschen derzeit in Afrika erlebt.
Und tatsächlich ist das nicht nur ein lokaler, "gefühlter Trend", sondern auch eine durch Flüchtlingsströme weltweit messbare Realität: Seit etwa 40 Jahren nimmt die Zahl extremer Wetterphänomene stetig zu und der Norwegische Flüchtlingsrat schätzt, dass Naturkatastrophen heute doppelt so viele Menschen aus ihrer Heimat vertreiben wie noch vor 40 Jahren. Die Zahl der Menschen, die vor wetterbedingten Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Dürren geflüchtet seien, habe im Jahr 2015 bei mehr als 19 Millionen gelegen.
95 Prozent der Todesfälle durch solche Naturkatastrophen im Zeitraum von 1970 bis 2008 ereigneten sich in Entwicklungsländern. Die drastischen Unterschiede der Opferzahlen liegen zum einen darin begründet, dass extreme Klimaereignisse in tropischen und subtropischen Regionen häufiger sind. Vor allem aber ist es die Armut der Menschen und ganzer Länder, die verletzbar macht. Menschen, die kaum Geld zum Leben haben, wohnen an Hanglagen, in Flussnähe oder an anderen gefährdeten Orten. Sie leben in einfachen Unterkünften, die Fluten und Stürmen oft nicht standhalten. Ihnen fehlt oftmals das Wissen, wie sie sich und ihre Familien vor Katastrophen schützen können. Und vielen Staaten fehlt das Geld, um eine Anpassung der Infrastruktur zu finanzieren, etwa den Bau von Dämmen oder von orkansicheren Gebäuden.
Wie das Potsdamer Institut für Klimaforschung jüngst in einer Studie zeigte, gibt es auch eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass extreme Wetterbedingungen wie Hitzewellen oder Dürren das Risiko bewaffneter Konflikte in ethnisch zersplitterten Ländern erhöhen und somit zu treibenden Faktoren für Flucht und Vertreibung werden. Auch wenn jeder Konflikt immer Ergebnis einer komplexen und fallspezifischen Mischung von Faktoren ist, habe sich bei der Auswertung von Daten aus drei Jahrzehnten gezeigt, so die Wissenschaftler, dass der Ausbruch von Gewalt in ethnisch zersplitterten Ländern häufig mit Naturkatastrophen zusammenhängt. Diese können offenbar schwelende gesellschaftliche Spannungen anheizen. Die zukünftige globale Erwärmung durch die von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen erhöht demnach also das Risiko von Naturkatastrophen und damit vermutlich auch von Konflikten und Migration.
Verantwortung übernehmen und Vorsorge leisten
Um den globalen Trends entgegen zu wirken, müssen wir an beiden Seiten ansetzen: Klimaschutzprogramme mit konkretem Zeitplan, um weltweit den Ausstoß klimaschädlicher Abgase relevant zu reduzieren. Und wir brauchen eine Ausweitung der Programme zur Katastrophenprävention. Caritas international, das Hilfswerk der deutschen Caritas arbeitet schon seit Jahren weltweit in der Katastrophenvorsorge. Modellprojekte in Ostafrika oder Südostasien zeigen, dass Vorbeugung tatsächlich Leben retten kann.
Das weitgehend agrarisch geprägte Kambodscha beispielsweise, das zu den ärmsten in Südostasien zählt, ist besonders betroffen von den negativen Auswirkungen des globalen Klimawandels. Im vergangenen Jahrzehnt waren bereits 11,4 Prozent der kambodschanischen Bevölkerung von Naturkatastrophen betroffen. Besonders gefährdet ist das Land von Stürmen und Taifunen, Überschwemmungen und Erdrutschen. In den Trockenzeiten kommt es aber auch zu erheblichen Dürren. Dort geht es beispielsweise darum, in enger Zusammenarbeit mit Partnern vor Ort und den betroffenen Menschen Evakuierungspläne zu entwickeln, Schutzbauten für Mensch, Saatgut und Vieh zu errichten, Dämme zu bauen und Rettungsboote anzuschaffen, um sich besser vor Überflutungen schützen zu können. Und nicht die gesamte wirtschaftliche Existenz weggespült wird.
In Ostafrika haben Wassermanagement-Systeme zum Beispiel während der Dürren in den vergangenen Jahren tausenden Menschen das Leben gerettet. Kleine, dezentral durchgeführte Maßnahmen, wie sie z.B. Caritas international in Äthiopien oder Kenia umgesetzt hat, funktionieren ohne großen technischen Aufwand: kleine Staubecken; Brunnen, Wasserrückhaltebecken, Zisternen, Dämme sowie Getreidespeicher und Silos haben in ihrem Zusammenwirken mit Beratung und Trainings dafür gesorgt, dass Dürren weit besser als früher überbrückt werden können.
Fazit: Dass der Klimawandel auch Auswirkungen auf Fluchtbewegungen haben kann, scheint kaum jemand ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Zumeist wird der Klimawandel einer unter mehreren Faktoren sein, der Menschen dazu bringt, über eine Auswanderung nachzudenken. Vorsorge kann helfen Menschenleben zu retten und ein Leben in der angestammten Heimat weiterhin zu ermöglichen.
Von Dr. Oliver Müller, Leiter von Caritas international
Erschienen in: "Der geteilte Mantel" der Diözese Rottenburg-Stuttgart