Jungen Menschen Beteiligung ermöglichen
Kinder und Jugendliche sind bei allen sie betreffenden Entscheidungen bislang deutlich zu wenig beteiligt. Warum muss sich das deiner Meinung nach ändern?
Ich war immer laut und für alle nur das schwererziehbare Kind. Nachdem ich in der Jugendschutzstelle gelandet bin, war ich in verschiedenen Heimen. Da hat es nicht immer geklappt. Ich wurde sogar einmal von Wuppertal bis nach Schleswig-Holstein gebracht. Da durfte ich in den ersten sechs Wochen mit niemandem aus meiner Familie reden und musste die ganze Zeit in der Nähe meiner Betreuer sein. Man hat immer alles für mich entschieden und immer den anderen mehr geglaubt als mir: mehr den Eltern und mehr den Betreuern. Ich konnte gar nicht mitsprechen. Es wäre gut, wenn man den Kindern auch mal zuhört. Vielleicht sollte mal eine ganz andere Person von außen dazu kommen, die nicht zum Heim oder zum Jugendamt gehört. Warum soll immer das Wort aus dem Heim vertrauenswürdiger sein als das Wort des Kindes? Ich möchte nicht, dass man mit mir umgeht als wäre ich eine Marionette.
Es gibt Hilfeplangespräche, bei dem auch die Kinder und Jugendlichen beteiligt werden sollen. Gab es die bei dir und haben sie dir geholfen?
Ich hatte drei bis vier Hilfeplangespräche. Da war der Chef der Hausleitung und mein Jugendamt dabei. Aber niemand, dem ich vertraue. Wenn man weiß, dass einem das Jugendamt sowieso nicht glaubt, ist das schwierig. Ein Kind braucht Hilfe. Ich bin auch mal wütend geworden, weil ich mich ungerecht behandelt gefühlt habe. Und wenn man sich ohnmächtig fühlt, wird man laut und weiß einfach nicht mehr weiter.
Corona war und ist eine schwierige Zeit, gerade als während des Lockdowns alles geschlossen war. Wie hast du das erlebt?
Im Lockdown hatten einige meiner Anlaufstellen geschlossen. Aber der "Raum 58", die Leute aus der Notschlafstelle, haben mir trotzdem immer geholfen. Ich hatte einmal kein Klopapier, weil alles weggekauft war. Dann hat mir jemand von einer Maßnahme das und auch noch Tabak geschenkt. Aber das war eine Ausnahme. Schlimm war, dass ich mir am Anfang teure Essenssachen kaufen musste, weil die Leute alle billigen Lebensmittel wie Nudeln, Dosen und so weggehamstert hatten. Ich konnte mir die teuren Sachen nicht leisten.
„Ich habe selten Unterstützung gefunden, die ich wirklich gebraucht hätte. Aber wer hört schon einem Kind zu?“ Tanja Fischer war früher obdachlos.privat
Ich war sehr froh als meine niederschwellige Maßnahme wieder geöffnet hat. Hier können wir Bilder malen, Vogelhäuschen bauen, gemeinsam Kochen. Wegen Corona ging das mit dem Kochen nicht. Da konnte ich dann leider dort nicht kostenlos essen. Erst habe ich mich hier nicht wohlgefühlt, aber dann habe ich Leute gefunden und sogar die Neuen unter meine Fittiche genommen. Wir haben uns alle miteinander verabredet. Einige Kontakte habe ich immer noch.
Die Caritas meint, Kinder und Jugendliche müssten beispielsweise vor Familiengerichten mehr als jetzt angehört werden. Es gibt auch schon seitens der Caritas Jugendforen, in denen Jugendliche aktiv bei der Ausgestaltung der Erziehungshilfe mitreden. Wie könnten deiner Meinung nach, Kinder und Jugendliche ihre Sorgen, aber auch Lösungsideen einbringen?
Man sollte Kindern und Jugendlichen auch erlauben, Fehler zu machen. Oft hat man gar keine Freiheiten. Da sind häufig wildfremde Menschen, die dir etwas vorschreiben, dich aber als Person nicht anerkennen. Und dich auch nicht fragen. Das Schubladendenken muss weg. Jedes Kind ist anders und individuell. Und man kann nicht alles, was nicht läuft, mit Strafe, Strafe, Strafe regeln. Die Kinder sind ja nicht schuld an ihrer schwierigen Situation. Sie sollen aber funktionieren. Und wenn dann das Jugendamt wechselt, fängt die ganze Geschichte von vorne an.
Es müsste unabhängige Stellen geben, die mehr auf Jugendliche eingehen und hören, was ihre Vorstellung ist. Sie ist nämlich oft anders. Man könnte fragen: Bist du bereit für die Schule, oder noch nicht? Bist du mit dem Heimwechsel einverstanden? Möchtest du gern bei der Betreuerin bleiben? Welchen Schulabschluss möchtest du machen und was brauchst du dafür? Möchtest du in die Heimschule oder die normale Schule gehen? Das wäre Beteiligung.
Was sind deine Sorgen, Nöte und Wünsche?
Bei den Sorgen kann ich sagen: Ich weiß jetzt, wie teuer ein voller Kühlschrank ist. Ich möchte mir jetzt auch einen Therapieplatz suchen. Ich werde mal meine Sozialarbeiterin fragen, welche Therapie passen könnte. Mir ist Vertrauen wichtig. Ich bin eher ein zurückgezogener Mensch. Ich möchte den richtigen Therapeuten für mich finden, das ist schwierig. Im Straßenkinder-Projekt Momo kann ich jetzt für ein, zwei Jahre im Minijob arbeiten. Ich möchte auf jeden Fall später etwas Soziales machen. Eigentlich bräuchte ich bei dem ganzen Papierkram für Strom, Telefon und für die Jobcenter-Unterlagen Unterstützung. Ich tue mich schwer damit anderen zu vertrauen, deshalb möchte ich nicht, dass mir jemand bei den ganzen Unterlagen hilft.