Am Anfang waren zwei Pfirsichkerne
Der VW-Käfer war ihr Markenzeichen, schwarz, Brezelfenster, knallrote Sitze. Es soll in den 50er und 60er Jahren in Muffendorf am Rhein nur eine Person gegeben haben, die einen Käfer in dieser Farbkombination fuhr: Maria Elisabeth Schwingen. Aber was heißt schon: fuhr. Frau Schwingen raste. Durch die Muffendorfer Hauptstraße, vorbei an der Kirche St. Martin und an den Obstplantagen, ihren Obstplantagen.
Es war Johann Peter Schwingen, ihr Urgroßvater, der Mitte des 19. Jahrhunderts den Grundstein für die wohl größte Obstplantage von Muffendorf gelegt hatte. Mit zwei Pfirsichkernen, die er in den Boden pflanzte. Jahre später glänzt Muffendorf als eines der schönsten Obstdörfer mit seinen am Hang wachsenden Pfirsichbäumen. Jene Pfirsichbäume prägten auch das Leben von Maria Elisabeth Schwingen. Am 12. September 2014 wäre sie 100 Jahre alt geworden.
Afrika faszinierte sie
Muffendorf, ein kleines, beschauliches Fachwerk-Örtchen. Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte es zur Stadt Godesberg, heute ist es Teil der Bundesstadt Bonn. Hier, auf einem Gutshof mit großem Hoftor, wächst Maria Elisabeth Schwingen mit ihren Eltern und ihrem Onkel auf. Nach dem Tod ihres Vaters 1938 bewirtschaftet ihr Onkel die landwirtschaftlichen Flächen und die Obstplantage. Elisabeth, von klein auf der Natur verbunden, hilft bei der Ernte der Pfirsiche.
Ihre Mutter weiht sie in die Geheimnisse des Kochens ein, und Elisabeths Marmeladen mit den Früchten aus der eigenen Plantage sind im Dorf beliebt. Obwohl sehr heimatverbunden, ist Maria Elisabeth Schwingen neugierig auf die Welt. Mit ihrer besten Freundin Beate reist sie immer wieder nach Afrika, die Menschen und Länder haben es ihr angetan, die Gastfreundschaft und die Leichtigkeit, mit der sie ihr Leben meistern. Nach dem frühen Tod ihrer einzigen Schwester und ihres Vaters reist sie seltener. Sie hilft ihrem Onkel bei der Arbeit auf dem Hof und kümmert sich um ihre Mutter. Als diese 1961 stirbt, ist Maria Elisabeth Schwingen allein.
Das Erbe soll Kindern zu gute kommen
Zeitlebens soll sie von einer eigenen Familie geträumt haben, doch dazu kommt es nicht. Wann immer sie kann, umgibt sie sich mit den Kindern ihrer Freundinnen. Maria Elisabeth Schwingen ist großherzig und offen. Die Menschen suchen ihre Nähe, weil sie so gut erzählen kann von ihren Reisen und dabei oft so laut lacht. Nur beim Thema Geld, da ist sie zurückhaltend und verschwiegen. Kaum einer ahnt, dass sie es ist, die die Reisen ihrer Freundinnen zahlt; die schnell mal hilft, wenn das Geld bei Bekannten knapp ist.
Reich wurde ihre Familie durch den Verkauf landwirtschaftlicher Flächen - Bauland ist begehrt im idyllischen Muffendorf in den Nachkriegsjahren. Nach dem Tod ihrer Eltern erbt Maria Elisabeth Schwingen ein Vermögen.
Freunde erinnern sich, dass sie schon damals vor allem Kinder im Blick hatte, als es darum ging, wer einmal von ihrem Geld profitieren solle. Ihre Reisen haben sie darin nur noch bestärkt. Maria Elisabeth Schwingen ist ein tiefgläubiger Mensch, ihr Geld soll irgendwann in eine Stiftung fließen. In ihrem Testament vom 8. September 1993 ernennt Frau Schwingen die Caritas zum Erben. Sie macht ihr zur Auflage, das Vermögen in eine eigene Stiftung einfließen zu lassen, damit es dauerhaft wirken kann.
Stiftung trägt bis heute Früchte
Am 4. Juni 2002 stirbt Maria Elisabeth Schwingen im Alter von 87 Jahren. Gemäß ihrem letzten Willen wird die "CaritasStiftung Elisabeth Schwingen - Hilfe für Kinder in Not" gegründet. Mehr als die Hälfte der Erträge des Stiftungsvermögens kommt regelmäßig bedürftigen Kinder in Entwicklungsländern zugute, mit den übrigen Mitteln wird derzeit das Projekt "Babynest" im Erzbistum Köln unterstützt. "Babynest" begleitet Migrantinnen und Migranten, sehr junge Eltern und Eltern in schwierigen Lebensbedingungen von der Geburt ihres Kindes an und unterstützt sie in Alltags- und Erziehungskompetenzen.
In Sierra Leone unterstützt die "CaritasStiftung Elisabeth Schwingen" Projekte, die dazu beitragen, die Kindersterblichkeit zu senken und den Gesundheitszustand der Mütter zu verbessern. In Jordanien werden aus Stiftungsmitteln Kurse finanziert, die traumatisierte Flüchtlinge therapeutisch behandeln, ihnen eine Schulausbildung ermöglichen und die Chancen auf ein geregeltes Leben deutlich verbessern.
Seit ihrer Gründung hat die Stiftung fast eine halbe Million Euro für Kinder in Not zur Verfügung gestellt.
Maria Elisabeth Schwingen, die Frau mit dem Brezelfenster-Käfer, blieb bis zu ihrem Tod 2002 bescheiden. Die Arbeit in den Obstplantagen, die Neugier auf die Welt, das Interesse an Menschen, die weniger Glück hatten - all das prägte ihr Leben und trägt bis heute Früchte.