Noch einmal das Meer sehen
Klaus Schmidt*, 56 Jahre, aus Siegen liebt das Meer. Er weiß: Er ist unheilbar krank und muss bald sterben. Aktuell lebt er im Marienhospiz in Wilnsdorf bei Siegen. Sein Herzenswunsch: Noch einmal möchte er das Meer sehen. Die Malteser in Bad Laasphe haben ihm diesen Wunsch erfüllt.
Im März 2015 erhält Klaus Schmidt die niederschmetternde Diagnose: Hirntumor. Sie sollte sein Leben von Grund auf verändern. Die Ärzte geben ihm damals noch ein halbes Jahr. Da ist für ihn und seine engsten Freunde sofort klar, dass man noch einmal etwas Schönes gemeinsam unternehmen möchte. Einfach mal raus aus Siegen-Wittgenstein und etwas Neues sehen. Ihre Wahl fällt auf Oostkapelle, ein beschauliches 2.300 Seelen Dorf auf der Halbinsel Walcheren an der Küste der Niederlande. Gesagt, getan.
Ärzte machen keine Hoffnungen
Nach dem schönen Urlaub verstreichen Tage, Wochen, verstreicht ein halbes Jahr - und Klaus Schmidt lebt. Mithilfe einer modernen Bestrahlungstherapie an der Uniklinik in Marburg kämpft Klaus Schmidt gegen seinen Tumor an. Zunächst mit Erfolg: Die palliative Behandlung schlägt an, der Tumor wird sogar kleiner. Nach der Bestrahlung geht es ihm so gut, dass er wieder Auto fahren und arbeiten gehen kann. Doch schon damals machen ihm die Marburger Ärzte keine Hoffnungen auf eine Heilung.
Drei Jahre später, im Juli 2018, fährt Klaus Schmidt zum letzten Mal Auto. Seither baut er gesundheitlich merklich ab. Epileptische Anfälle mehren sich - und sie werden immer stärker. Der Tumor kriecht jetzt das Rückenmark hinab. Innerhalb kurzer Zeit wächst er um 30 Prozent. Seine Ärzte in Siegen schlagen vor, jetzt noch einmal zu operieren. Doch das würde bedeuten, dass Klaus Schmidt anschließend von der Hüfte ab gelähmt ist. Schnell fällt seine Entscheidung gegen eine OP.
Anschließend lebt Klaus Schmidt einige Wochen auf der Palliativstation des Jung-Stilling-Krankenhauses in Siegen. Zu diesem Zeitpunkt schon halbseitig gelähmt, äußert er gegenüber seinen Freunden seinen größten Herzenswunsch: "Ich würde so gerne noch einmal mit euch ans Meer fahren, nach Oostkapelle." Seit seiner Diagnose waren die Freunde jedes Jahr dort. Längst ist der Ausflug im November zur Tradition geworden. Doch auf eigene Faust? Daran ist bei seinem aktuellen Gesundheitszustand nicht zu denken. Ein guter Freund meldet sich daraufhin beim PalliativNetz Siegen-Wittgenstein-Olpe e.V. Dieses vermittelt über eine Schwester im Marienhospiz den Kontakt zu den Maltesern in Bad Laasphe. Dort laufen im Malteser Haus am Bachweg 2 bereits die Planungen für den Herzenswunsch-Krankenwagen auf Hochtouren.
"Beim Herzenswunsch-Krankenwagen erfüllen wir schwerstkranken Patienten, die bald sterben müssen, einen Herzenswunsch in Form eines Ausflugs zu einem von ihnen gewünschten Ziel", sagt Michael Hermann, Stadtbeauftragter der Malteser in Bad Laasphe. "Wir organisieren die Fahrt. Vorher sprechen wir mit den Patienten, Angehörigen, Ärzten oder Pflegeeinrichtungen die Möglichkeiten und Erfordernisse für den Transport ab. Die Patienten werden zu den Zielen ihrer Wünsche gebracht und unterwegs von gut ausgebildeten Sanitätern begleitet." Der Herzenswunsch-Krankenwagen läuft auf Spendenbasis. Mit Michael Hermann und Tim Benner, stellvertretender Stadtbeauftragter, stehen derzeit zwei speziell geschulte Ehrenamtliche in Bad Laasphe für solche Fahrten bereit. Die Helfer sind auch auf die besonderen Bedürfnisse von Palliativpatienten sensibilisiert. Weitere fünf Ehrenamtliche werden aktuell entsprechend weitergebildet.
Nur 3 Grad zeigt das Thermometer in Wilnsdorf an einem Freitag Ende November. Vor dem Marienhospiz, wo Klaus Schmidt mittlerweile lebt, fahren Michael Hermann und Tim Benner mit einem Krankenwagen vor. Alle Schwestern des Hospizes sind heute Morgen gekommen, um Klaus Schmidt bei seiner Abreise zu verabschieden. "Da war ich ehrlicherweise gerührt", verrät er später auf der Fahrt. Anschließend holen die Malteser noch Daniel Launicke, Intensivpfleger am Kreisklinikum ab. Er wird sich die gesamte Fahrt über um Klaus Schmidt kümmern.
Nach acht Stunden, inklusive 3 ½ Stunden Stau, kommt der Krankenwagen am Freitagabend endlich in Oostkapelle an. Vor einem Ferienhaus warten schon acht von Klaus Schmidts Freunden. Viele von ihnen kennen sich schon seit 1995, seitdem sie gemeinsam Fußball spielen. Die Wiedersehensfreude der Hobby-Kicker ist groß, sodass dieser Tag erst um 3 Uhr morgens endet. Für Klaus haben sie extra ein Pflegebett organisiert.
Fast genau wie früher
Am nächsten Tag wird erstmal ausgeschlafen und nach dem Mittagessen dann der langersehnte Ausflug. Dazu haben die Freunde einen speziellen Strandrollstuhl organisiert. Mit seinen großen Ballonreifen kann er problemlos über Sand fahren, ohne dass der Rollstuhl einsinkt. Vom Strand in Oostkapelle setzt sich der Freundeskreis gemeinsam in Bewegung, vier Kilometer den Strand entlang bis nach Domburg. Ihren Freund Klaus haben sie in einen dicken Schlafsack eingepackt, damit er bei dem eisigen Wind nicht friert, und zusätzlich den Sitz gepolstert. Ein-, zweimal merkt Klaus Schmidt, dass ihn die Fahrt sehr anstrengt. Doch immer wieder sagt er: "Lasst uns doch noch ein Stück weiterfahren." Gerne möchte er als Andenken ein paar Muscheln mitnehmen, sodass seine Freunde einige für ihn sammeln. In Domburg angekommen, kehren sie in einer Gaststätte ein und stärken sich. Anschließend geht es zurück nach Oostkapelle, wo sie um 17 Uhr wieder eintreffen. Abends schauen sie dann gemeinsam Sportschau, machen Käsefondue - so wie früher, so wie immer. Doch schon einen Tag später, am Sonntag, endet die schöne Zeit am Meer. Und am Sonntagnachmittag nehmen die Mitarbeiterinnen des Marienhospizes einen erschöpften aber sichtlich berührten Patienten in Empfang, nachdem ihn die Malteser sicher nach Wilnsdorf zurückgebracht haben.
"Wir sind sehr dankbar, dass es dieses Angebot der Malteser nun auch in Siegen-Wittgenstein gibt und wir unseren Patienten so ihre Herzenswünsche erfüllen können", sagt Juliane Schneider, Leiterin des Marienhospizes. "Einer unserer Pflegefachkräfte mit Palliativausbildung hat das Konzept so sehr gefallen, dass sie sich jetzt dem Team der Malteser anschließen möchte."
Der erste Einsatz sei sehr eindrucksvoll gewesen, berichtet Michael Hermann. "Es war auch für uns ein sehr emotionales Erlebnis zu sehen, wie dankbar der sterbenskranke Mensch die Fahrt ans Meer aufgenommen hat." Medizinische Komplikationen habe es glücklicherweise nicht gegeben. "Wenn wir mit dem Herzenswunsch-Krankenwagen einem Patienten eine Herzensangelegenheit erfüllen können und er so vielleicht ein letztes Mal von der Palliativstation oder dem Hospiz herauskommt und etwas Schönes erlebt, dann hat der Dienst seinen Zweck erfüllt."
Daher wollen die Malteser jetzt noch mehr Menschen ihren Herzenswunsch erfüllen. Die Wahl der Ziele liegt ausschließlich bei dem kranken Menschen, der vielleicht noch einmal das Meer sehen möchte, sich einen Besuch im Zoo oder im Fußballstadion wünscht. Wenn es der Gesundheitszustand noch zulässt, ermöglichen die Malteser dann die Fahrt.
*Name geändert