„Die Bilder aus Italien sind jedem durch Mark und Bein gegangen“
Jürgen Frech, Leiter der Kommunikation des Klinikums, im Interview.
Wie kam es, dass zwei italienische Patienten im Klinikum Bochum gelandet sind?
Die nordrhein-westfälische Regierung hatte Mitte März angeboten, im Land zehn Corona-Patienten zu übernehmen. Zu der Zeit war die Lage in Italien katastrophal, das Gesundheitssystem war zum Teil kollabiert. Die Bilder von dort sind jedem durch Mark und Bein gegangen. Bei uns in Deutschland hingegen waren in den Krankenhäusern viele Kapazitäten geschaffen worden, die befürchtete Welle ist aber ausgeblieben. Angefragt wurden in NRW die Universitätskliniken, ob Patienten übernommen werden könnten. Und so sind, nach einigen Vorbereitungen und Absprachen, Ende März zwei Patienten aus Bergamo, dem Epizentrum der Krise in Italien, per Spezialtransport der Luftwaffe zu uns gekommen, ein 56-Jähriger und ein 65-Jähriger. Beide waren im künstlichen Koma und beatmet.
Anfang April kam noch ein Patient aus den Niederlanden dazu. In den Niederlanden gab es ebenfalls große Kapazitätsprobleme in der Intensivmedizin.
War bei der Behandlung dieser Patienten irgendwas Besonderes?
Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spielt es keine Rolle, wer da liegt, wo sie herkommen und was sie für einen Hintergrund haben. Alle werden mit demselben Einsatz und derselben Sorgfalt behandelt. Eine Besonderheit war, dass die Patienten keine Ahnung hatten, in Deutschland zu sein und dass wir dafür sorgen mussten, dass sie das früh und gut erklärt bekommen, wenn sie wieder zu sich kamen. Wir haben hier im Klinikum 5.200 Mitarbeitende aus 70 Nationen, darunter über 20 Kolleginnen und Kollegen mit italienischer Nationalität. Wir haben eine Ärztin, Dr. Ines Siglienti aus der Neurologie, den beiden Patienten zur Seite gestellt - nicht zur Behandlung, sondern zur Betreuung aller weiteren Angelegenheiten, der Absprachen mit den Behörden zum Beispiel. Sie war es auch, die den beiden später erklärt hat, wo sie sind und warum - auch, wo Bochum überhaupt liegt! Dr. Siglienti hat in dieser ganzen Zeit auch regelmäßigen Kontakt zu den Familien in Italien gehalten und sie über den Gesundheitszustand informiert.
Wie geht es ihnen jetzt?
Beide Patienten wurden jetzt mehrfach negativ getestet. Einer von ihnen hat letzte Woche die Intensivstation verlassen, ist gestern (6. Mai 2020) zum ersten Mal an der frischen Luft gewesen und hat sich des blauen Himmels erfreut. Wir versuchen gerade, seine Rückkehr nach Italien zu organisieren. Das ist nun eine logistische und organisatorische Frage, keine gesundheitliche mehr - aus unserer Sicht kann er nach Hause. Zu ihm gibt es auch eine schöne, fast herzzerreißende Geschichte, denn die Krankheit war auch der Anlass, dass nach über zwölf Jahren der Kontakt zu seiner Tochter wieder zustande gekommen ist. So lange hatten sie nämlich nicht miteinander gesprochen. Wenn er nach Hause fährt, wird er seine drei Enkelkinder kennenlernen können, die er noch nie gesehen hat.
Der andere Patient aus Bergamo liegt noch auf der Intensivstation, aber er ist ganz klar auf dem Weg der Besserung und seine Verlegung in eine andere Station steht bevor.
Und unser niederländischer Patient hat die Klinik nach drei Wochen Aufenthalt bei uns wieder verlassen und ist zurück in seiner Heimat.
Welche Bilanz ziehen Sie von der Aktion?
Als die Anfrage kam, haben wir keine Sekunde gezögert. Es war für uns selbstverständlich und einfach nur menschlich, hier einzuspringen. Manche haben damals auch gesagt: Wer weiß, ob wir nicht auch eines Tages einmal froh sind, wenn uns ein anderes Land hilft. Schließlich wusste damals niemand, mit welcher Wucht uns die Welle hier in Deutschland treffen würde. Bisher haben uns keine weiteren Anfragen aus dem Ausland erreicht, der Bedarf scheint nicht mehr so akut zu sein. Aber wenn, dann würden wir nicht zögern, uns erneut solidarisch zu zeigen.