"Tut endlich etwas für die Familienpflege"
Frank Polixa ist Geschäftsführer des Caritasverbandes Mönchengladbach.
Als wir Melanie H. (Name geändert) kennenlernen, lebt die Mutter von zwei Söhnen in Scheidung und ist psychisch erkrankt. Sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Depression. Melanie H. soll täglich zur Therapie in eine Tagesklinik gehen.
Unsere Familienpflege nimmt ihr eine große Sorge ab: Sie kümmert sich um die beiden Jungs, zehn und fünf Jahre alt. Der Fünfjährige besucht den Kindergarten. Sein älterer Bruder, der eine geistige Beeinträchtigung hat und unter Epilepsie leidet, geht in die Schule. Beide müssen täglich auf dem Weg in die jeweilige Einrichtung begleitet und auch wieder abgeholt werden. Das ist aufwendig, denn Kita und Schule liegen in entgegengesetzten Richtungen.
Fachlich qualifizierte Arbeit angemessen bezahlen
Unsere Familienpflegerin Andrea Wimmers kümmert sich auch um den Haushalt, kauft ein, kocht, betreut am Nachmittag die Kinder und unterstützt Melanie H., wenn die 39-Jährige von der Tagesklinik nach Hause kommt. Der Mutter hilft die Therapie sehr, es geht ihr besser. Auch deshalb, weil sie weiß, dass die Kinder gut aufgehoben sind. Zwei Monate ist Andrea Wimmers in dieser Familie im Einsatz. Vieles von dem, was sie während ihrer dreijährigen Ausbildung zur Familienpflegerin gelernt hat, benötigt sie dabei: Kenntnisse aus der Psychologie, Pädagogik, Ernährungslehre, Hauswirtschaft, Pflege, Sozial- und Rechtskunde.
Dennoch sind die Krankenkassen offenbar der Meinung, all dies könnte eine Haushaltshilfe leisten. Sie weigern sich, fachlich qualifizierte Arbeit angemessen zu bezahlen. Unser Caritasverband hat den Einsatz bei der Familie H. mit 28,80 Euro pro Stunde vergütet bekommen. Das reicht bei Weitem nicht, um die Kosten zu decken. Wir benötigen 45 Euro - und das ist immer noch weniger, als viele Handwerker berechnen, wenn sie das Dach reparieren oder die Heizung warten.
Kurzsichtige Krankenkassen
Wie kurzsichtig das Verhalten der Kassen ist, zeigt sich ebenfalls am Beispiel der Familie H. Denn was wäre passiert, wenn die Caritas-Familienpflege die Aufgabe nicht übernommen hätte? Ganz einfach: Die Mutter hätte nicht die Tagesklinik besuchen können, sondern stationär behandelt werden müssen. Und die Kinder? Sie hätten irgendwo untergebracht werden müssen. Einmal ganz abgesehen davon, dass die zeitweise Trennung sicher weder Melanie H. noch ihren beiden Jungs gutgetan hätte - es wäre auch viel, viel teurer geworden.
Dabei muss man wissen: Wir haben "Fälle" in der Familienpflege, die noch sehr viel schwieriger sind als das geschilderte Beispiel. Mütter, die unheilbar an Krebs erkrankt sind und im Sterben liegen. Kinder, die irgendwie damit zurechtkommen müssen. Familiensysteme, die in höchstem Maße belastet sind. Bei allem Respekt: Da hilft eine noch so wohlmeinende Haushaltshilfe nicht wirklich weiter. Da braucht es gut ausgebildete, kompetente und liebevolle Profis, um die Familie zu unterstützen. Niemand käme auf die Idee, einen Büroarbeiter in der Autowerkstatt die Bremsen reparieren zu lassen.
Familienpflege ist uns als Caritas wichtig. Weil in der Familie die Grundlagen fürs Leben gelegt werden und weil wir dazu beitragen wollen, dass Familien es so gut wie möglich haben. Ja, Familienpflege gehört zur DNA von Caritas - auch in unserem Caritasverband Region Mönchengladbach.
Fünfstellige Defizite
Aber wahr ist auch: Unser Engagement hat Grenzen. Wir können nicht endlos finanzielle Defizite tragen, die bei uns in Mönchengladbach im mittleren fünfstelligen Bereich liegen. Viele regionale Caritasverbände haben die Familienpflege aus diesem Grund bereits aufgegeben. Auch wir in Mönchengladbach können den Dienst nur mit großer Mühe aufrechterhalten.
Krankenkassen, Politik, letztlich die Gesellschaft müssen sich entscheiden: Was sind ihnen Familien in Not wert? Welchen Stellenwert messen sie schwer belasteten Familien in diesem Land zu? Welche Unterstützung wollen sie ihnen zukommen lassen?