WGs mit Betonung auf „Gemeinschaft“
Die Kinder- und Jugendhilfe St. Mauritz in Münster ist eine Einrichtung mit differenziertem sozialpädagogischem Betreuungsangebot, in der Mädchen und Jungen jeden Alters vorübergehend oder längerfristig ein sicheres Zuhause finden. Sie verfügt über 207 Plätze und beschäftigt über 100 pädagogische und therapeutische Fachkräfte. Ein psychologischer Diagnostik- und Therapiebereich sowie eine förderdiagnostische Schulklasse ergänzen die Pädagogik.
In der Kinder- und Jugendhilfe St. Mauritz haben es die Pädagog(inn)en mit Kinder- und Jugendlichenbiografien zu tun, die von schwerwiegenden Ereignissen physischer und psychischer Gewalt und schlechten Bindungserfahrungen im frühkindlichen Entwicklungsstadium geprägt sind. Diese Lebensereignisse der Kinder und Jugendlichen sind überwiegend als traumatisch einzustufen.
Weil traumatisierte Menschen ein stabilisierendes Umfeld und verlässliche Beziehungen benötigen, hat die Kinder- und Jugendhilfe St. Mauritz ihre gesamte sozialpädagogische Arbeit auf eine traumapädagogische Grundlage gestellt. Von 2008 bis 2011 fand ein Schulungsprojekt statt, in dem sich alle Mitarbeiter(innen) mit der Theorie und der Praxis traumapädagogischen Handelns vertraut machten. Zentrale Konzeptelemente der Traumapädagogik sind: die Entwicklung einer traumapädagogischen Haltung, die Pädagogik des sicheren Ortes, ein Schutzkonzept für Klient(inn)en und Mitarbeitende sowie das Erleben von Selbstwirksamkeit. Die Rechtsgrundlage für die Betreuung bilden die §§ 34 und 35a in Verbindung mit § 41 SGB VIII "Hilfe für junge Volljährige".
Innerhalb der Stadt Münster bietet das sogenannte City-Team stationäre und teilstationäre erzieherische Hilfen an. Dazu gehört das Angebot von Wohngemeinschaften und Einzelapartments in Stadtnähe für Jugendliche und junge Erwachsene, die durch die Kinder- und Jugendhilfe St. Mauritz angemietet wurden. Das City-Team-Büro liegt im Zentrum der Stadt und hat eine gute Anbindung an alle öffentlichen Verkehrsmittel. So ist es für Jugendämter, Eltern, Jugendliche und junge Erwachsene unkompliziert zu erreichen.
Bis vor einigen Jahren lebten die Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf dem Gelände der Kinder- und Jugendhilfe St. Mauritz in einer Wohngruppe. Doch die jungen Menschen hatten persönliche Schwierigkeiten mit ihrem Lebensort, weshalb sie im Alltag häufig stigmatisiert wurden. Zudem waren ihre Entwicklungspotenziale innerhalb des Gruppensettings eingeschränkt.
Die Kinder- und Jugendhilfe St. Mauritz sah Wohngemeinschaften und Einzelapartments für junge Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten als die geeignetere Wohnform. An den Bedürfnissen und Nöten der Jugendlichen orientiert, entstand das jetzige Konzept als Arbeitsgrundlage des City-Teams. Es ist bei der Neukonzeption vor einigen Jahren dezentralisiert worden, was als äußerst positiv erlebt wird.
Jugendliche leben im Spannungsfeld zwischen Pubertät und der persönlichen Vergangenheit und Zukunft. Die traumatischen Ereignisse werden mehr und mehr verstanden und bekommen Raum, bewältigt zu werden. Das City-Team bietet einen sicheren Ort mit emotionaler Stabilität.
Verlässliche Strukturen für die Trauma-Bewältigung
"Der Schlüssel zur Heilung liegt darin, das ursprüngliche Trauma noch einmal durchzugehen und es erneut zu durchleben, ihm leidenschaftlich und vorbehaltlos zu begegnen und es zu einer Lösung zu führen. Auf diese Weise wird das festgefahrene Verhaltensmuster gesprengt, die Blockade löst sich auf - und dann kann die Lebensenergie wieder frei fließen."1 Die jungen Menschen leben in einem sicheren Umfeld, "weg vom sozialen Brennpunkt", und in ihre Nachbarschaft integriert. Durch aktive Mitgestaltung von Stadtviertelfesten und persönliche Kontakte in den Mietshäusern ist die Arbeit des City-Teams transparent und bekannt. So erhalten auch die Nachbarn Rückhalt und möglicher Verunsicherung wird vorgebeugt.
Vielfältiger Einsatz traumapädagogischer Methoden
Jugendliche sollen bei ihrer Aufnahme ins City-Team unvoreingenommene Pädagog(inn)en kennenlernen und einen Neuanfang machen können: Raus aus dem "Aktensystem", rein in die "Normalität"!
Innerhalb der Betreuung bekommt jede(r) junge Klient(in) die Möglichkeit, zu einem selbstbestimmten Zeitpunkt die eigene Lebensgeschichte unter traumapädagogischen Gesichtspunkten aufzuarbeiten. Das City-Team arbeitet dabei mit unterschiedlichen Methoden:
- Big Talk: Einmal monatlich wird ein Klient zum Gespräch mit dem kompletten City-Team eingeladen. Prinzipien dabei sind Transparenz im Hilfeprozess, Austausch gegenseitiger Befindlichkeiten unter Vermeidung von Spaltung sowie Konzentration auf ein Thema. Der "Big Talk" wird positiv angenommen.
- Sicherer Ort: eigenes Zimmer, eine Wohnung in einer freundlichen Nachbarschaft, 24-Stunden-Betreuung.
- City-Team-Konferenz: ein Treffen von allen Jugendlichen, um Ideen bezogen auf die Betreuung und die Freizeitplanung zu entwickeln. Damit werden das "Wir- Gefühl" und das Verantwortungsbewusstsein gestärkt. Es geht um die gemeinsame Planung von Gruppenaktivitäten, soziale Vernetzung und eine entspannte Atmosphäre. Ò
- Kosmetik: Nach Bedarf gibt es Gesichtskosmetik, Massagen und weitere Kosmetik-Angebote in den Büroräumen. Das fördert den Abbau von Aggressionen und daraus resultierend den Vertrauensaufbau. Oft entwickeln sich intensive Gespräche. Es geht um Körperempfinden, Auszeit, Entspannung und das Zulassen von Körperkontakt.
- Kreativabende: Raum für Erfolgserlebnisse und das Erkennen und Ausbauen persönlicher Fähigkeiten.
- Traumapädagogik: Ziele sind Selbstbemächtigung der Klienten und die Schaffung sicherer Strukturen (individueller Wochenplan), körperorientierte psychotherapeutische Arbeit und die Aufarbeitung von Flashbacks und von Übertragung/Gegenübertragung bei Klienten wie Fachkräften.
Darüber hinaus arbeiten die Fachkräfte zu den Themen Sucht, Sexualität, Eltern-Kind-Beziehung, Ernährung sowie zu individuell anfallenden Themen.
Zu hoher Erwartungsdruck
Das City-Team arbeitet täglich in einem Spannungsverhältnis: Einerseits haben junge Menschen innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe St. Mauritz ein Recht darauf, "dort abgeholt zu werden, wo sie gerade stehen". Andererseits haben Kostenträger die Erwartung, dass Menschen in möglichst kurzer Zeit so "repariert" werden, dass sie einen eigenständigen Lebensalltag bewältigen können. Doch was brauchen die jungen Klient(inn)en tatsächlich innerhalb der Erziehungshilfe? Sind sie mit Eintreten der Volljährigkeit so erwachsen und weitsichtig, ihr Leben ohne Rücksicht auf ihre schwierige Biografie selbst gestalten zu können? In den meisten Fällen werden an die Klient(inn)en zu hohe Erwartungen gestellt.
Hilfeplanziele sind realitätsfern, weil die Leistungsfähigkeit des einzelnen jungen Menschen nicht richtig eingeschätzt wird. Ohne seine emotionale und persönliche Situation einzubeziehen, wird vom Klienten erwartet, innerhalb der Hilfe Grundkompetenzen zu Haushaltsführung, Ausbildung, Verwaltungsangelegenheiten und Finanzen zu erwerben.
Der Druck entsteht durch die angespannte finanzielle Situation der Jugendämter und die damit verbundenen kommunalen Einsparungen. In Gesellschaft und Politik wird der Fokus auf Kinder und Familien gelegt. Jugendliche und junge Erwachsene hingegen haben ganz oft keine Lobby, die sich für ihre Interessen und Entwicklungschancen einsetzt. Hier muss ein Umdenken stattfinden! Alle Hilfen zur Erziehung für junge Menschen, auch nach Eintritt der Volljährigkeit, sind ebenso sinnvolle präventive Maßnahmen wie die Angebote zur Stärkung von Familien.
Zu den erforderlichen Rahmenbedingungen gehören: eine realistische Zeiteinschätzung, ein sicherer finanzieller Hintergrund, gute Kooperationspartner und ausgebildetes Personal. Darüber hinaus gelingt die Hilfe nur, wenn zum richtigen Zeitpunkt menschliche Begegnungen stattfinden. Das braucht Freiraum - "technisch herstellen" lassen sie sich nicht.
Wer Unterstützung sucht und wer Hilfe annehmen kann, dem kann geholfen werden. Die pädagogischen Fachkräfte müssen die Geheimsprache der jungen Menschen verstehen und übersetzen lernen. Kooperation bedeutet Kommunikation.
Anmerkung
1. Williams, Strephon K: Durch Traumaarbeit zum eigenen Selbst. Interlaken, 1987.