Lieber mit den Kühen in Armenien als in Abschiebehaft
Das Touristenvisum oder eine Schlepperroute eröffnen ihnen den Zutritt in den Schengen-Raum. Lockende Anreize sind die Versprechungen von Schleppern oder von Bekannten aus der armenischen Heimat, die es irgendwie geschafft haben, in einem EU-Land Fuß zu fassen und die angeblich helfen können, schnell Aufenthaltspapiere und eine Arbeit zu finden. Nicht wenige Armenier machen sich jährlich mit diesen unrealistischen Vorstellungen auf in die Fremde.
Gründe, Armenien zu verlassen, gibt es durchaus. Auf über 30 Prozent wird die tatsächliche Arbeitslosenquote in Armenien von der dortigen Caritas geschätzt. Die staatliche Statistik spricht von acht Prozent. Allein 1,2 Millionen Armenier leben in Russland, meistens Männer und meistens auf Dauer und nicht nur zum vorübergehenden Broterwerb. Offiziell leben derzeit noch 3,2 Millionen Menschen in Armenien, das flächenmäßig etwa die Größe von Bayern hat. Aber auch hier korrigiert die armenische Caritas die Zahlen nach unten: 2,8 Millionen seien es beim letzten Zensus noch gewesen. Seit 2001 verliert das Land jährlich mindestens ein Prozent seiner Bevölkerung durch Migration. 25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes stammen aus Geldüberweisungen der Migranten aus dem Ausland.
Der Traum vom sorgenfreien Leben in der EU endet für die meisten früher oder später sehr ernüchternd. Denn Armenien gilt nicht als ein Land, dessen Bewohner verfolgt werden und deshalb in der EU Asyl erhalten. Und seit in den EU-Staaten Asylverfahren beschleunigt werden, hat auch die Zahl derer zugenommen, die wieder nach Armenien zurückkehren müssen. "Es sind meist die bildungsfernen Leute, die diesen Weg versuchen", weiß Tigranuhi Tarakhchyan, Leiterin des Caritasbüros in Armeniens Hauptstadt Eriwan. "Wer Grips hat, kommt hier zurecht oder probiert es auf dem legalen Weg. Eigentlich sind diese Rückkehrer alle Opfer. Denn sie verkaufen hier vorher alles, um die Schlepper zu bezahlen", sind die Beobachtungen der Migrationsberaterin.
Im Jahre 2006 hat Caritas Armenien zusammen mit Caritas Belgien ein Projekt für Rückkehrwillige entwickelt - wobei Tigranuhi Tarakhchyan sofort den Begriff "freiwillig" relativiert. "Was ist schon freiwillig, wenn der Asylantrag abgelehnt wurde und ansonsten die Abschiebung droht?" Wer also in Brüssel mehr oder weniger freiwillig in das Flugzeug steigt und zuvor in Belgien in Kontakt mit einer Caritas-Beratungsstelle war, kommt nach Ankunft in Eriwan ins Rückkehrerprogramm "Sustainable reintegration after voluntary return" bei Caritas Armenien. 700 Euro pro erwachsenem Flüchtling und 370 Euro pro Kind bekommt die Caritas vom belgischen Staat, um den Heimkehrern zu einer ersten Bleibe und Möbeln zu verhelfen.
Zinslose Kredite zahlen sich aus
Bis zu 2000 Euro schießt Caritas Belgien zu, wenn im Laufe eines Jahres eine existenzsichernde Maßnahme ergriffen werden soll. Dies kann beispielsweise der Kauf eines Taxis, von Kühen oder einer Schuhmacherausstattung sein. Business Consultant Aida Khachatryan von Caritas Armenien entwickelt zusammen mit den Heimkehrern dazu einen Geschäftsplan. Im Jahre 2012 haben 43 Familien mit 74 Angehörigen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Der armenische Staat begrüßt dieses Integrationsprogramm, kann aber keine eigenen Mittel dafür aufwenden.
Seit 2010 gibt es auch zusammen mit der österreichischen Caritas ein vergleichbares Rückkehrerprogramm. Neben den 700 Euro für die Erstausstattung wird jede weitere Hilfe jedoch als zinsloser Kredit bis zu einer Höhe von 5000 Euro gewährt aus Mitteln der österreichischen Caritas. Voraussetzung ist, dass der Kreditnehmer zwei Bürgen beischafft. Oft sind dies Verwandte oder auch Nachbarn. "Dieses System hat sich sehr bewährt", resümiert Aida Khachatryan. "Wenn eine Rate nicht zurückgezahlt wird, genügt oft ein Anruf bei den Bürgen." 83 Familien mit 189 Angehörigen haben seitdem auf diesem Weg aus Österreich in die Heimat zurückgefunden.
Migration am Entstehungsort verhindern
"Wäre es nicht sinnvoller, gleich in Armenien verarmten Leuten, von denen man gehört hat, dass sie auswandern wollen, ohne den Umweg einer Migration in ein vermeintlich glückbringendes Land zu einem existenzsichernden Kredit zu verhelfen? Und somit viel Kosten, Stress und Frust zu sparen?" Für diese Überlegungen hat Caritas Armenien bei der Regierung von Liechtenstein ein offenes Ohr gefunden. Und so kam es, dass 2012 erstmals vier Familien, die mit lokalen Caritasdiensten in Kontakt standen und dort von ihren Ausreiseplänen berichtet hatten, einen zinslosen Kredit erhalten haben. Bei einer der Familien ist beispielsweise der Vater seit 20 Jahren in Russland. Aber seit geraumer Zeit hat er den Kontakt abgebrochen und die Zahlungen eingestellt. Zu Hause haben sie sich nun Kühe gekauft, um von der Landwirtschaft leben zu können. "Wir sehen darin eine sinnvolle Vorsorge vor illegaler Migration und Verelendung", beschreibt Tigranuhi Tarakhchyan die Absicht. Denn immer heiße es, Migration solle am besten dort bekämpft werden, wo sie entstehe. Auch 97 arbeitslose Jugendliche haben sie und ihr kleines Team deshalb 2012 beraten und begleitet, um zu einer Berufsförderung an einer staatlichen Schule und damit zu besseren Aussichten auf dem Arbeitsmarkt zu gelangen.
Insgesamt 600.000 Euro haben Caritas Österreich und der Liechtensteiner Staat in diese Programme für Migration und Entwicklung sowie für Vorsorge gesteckt. Jetzt geht das auf drei Jahre beschränkte Programm mit weiteren drei Jahren in eine zweite Runde. Ausschlag dazu hatten die lokalen Erfolge in Armenien gegeben.