"Weil ich das als wichtig empfinde"
Kaum hat sich Claudia Ziegler-Fischer mit dem Druck auf die Türklingel angekündigt, hört sie von oben durch das Treppenhaus den begeisterten Ruf „Mammi kommt“. Dabei übernimmt sie eher die Großmutter-Rolle für die junge nigerianische Mutter und die drei Kinder, die auf ihrer Flucht vor wenigen Monaten in Ahaus angekommen sind. Aber das tut der Freude von Emanuel (5) und Jeffrey (1,5) keinen Abbruch und auch Phineas (sechs Monate) strahlt sie auf dem Arm seiner Mutter an. Regelmäßig schaut die pensionierte Lehrerin vorbei, mal einfach zum Reden, dann um beim Papierkram zu helfen oder um Kinder und Mutter zum Arzt zu begleiten. Sie ist eine von 32 Integrationslotsen, die die Caritas Ahaus in einem neuen Projekt innerhalb von wenigen Monaten gewonnen und geschult hat. Stadt Ahaus und Aktion Lichtblicke teilen sich für zwei Jahre die Finanzierung.
Warum sie das macht, ist für die 60jährige, die aus gesundheitlichen Gründen frühzeitig aufgeben musste, Mathe und Kunst am Gymnasium zu lehren, keine Frage: „Weil ich das als wichtig empfinde“. Seit 17 Jahren verwitwet, die Kinder groß, suchte sie eine neue Aufgabe, „um den Tag zu strukturieren“. Jetzt, das ist spontan spürbar, haben sich zwei gefunden, die mit gleichem Elan und Optimismus den Widrigkeiten des Lebens begegnen.
Flucht macht misstrauisch
Denn leicht ist das Leben für die junge afrikanische Mutter nicht. Ihren Namen möchte sie nicht veröffentlicht wissen. Die Flucht hat sie misstrauisch gemacht und noch ist ihr Aufenthaltsstatus nicht geklärt. Auch über die Gründe spricht sie selbst mit Carmen Esposito-Stumberger nicht, die das Integrationslotsen-Projekt aufbaut und ihr Claudia Ziegler-Fischer vermittelt hat.
Ganz wichtig, das weiß die Integrationslotsin, ist häufig schon allein die menschliche Nähe, im fremden Land jemanden zu haben, mit dem sie sich unterhalten kann. Sprachlich ist das in diesem Fall glücklicherweise kein Problem. Claudia Ziegler-Fischers Sohn wohnt in Australien, Englisch ist auch die Amtssprache in Nigeria.
OhneWörterBuch
Ansonsten ist das nicht immer so einfach, erlebt Carmen Esposito-Stumberger, die selbst lange in Italien gelebt hat und neben ihren zwölf Wochenstunden im Projekt als Italienisch-Dozentin an der Volkshochschule arbeitet: „Notalls eben mit Händen und Füßen oder mit dem OhneWörterBuch“ mit den Symbolen für viele Lebenslagen. Irgendein Weg der Verständigung findet sich immer.
Der pragmatische Ansatz gilt insgesamt für das Projekt Integrationslotsen, das Maria Revers, Mitarbeiterin im Migrationsdienst der Caritas Ahaus-Vreden im vergangenen Jahr in Kooperation mit dem „aktuellen forum Volkshochschule“ und der Freiwilligenagentur „handfest“ auf den Weg gebracht hat. Es entwickelt sich sehr erfreulich, kann sie inzwischen feststellen, denn es hat sich schon ein kleines Netzwerk gebildet. Ehrenamtliche zu finden, war für Carmen Esposito-Stumberger kein Problem. Die älteste Lotsin ist 80, die jüngsten zwei 17jährige Schüler, berichtet Carmen Esposito-Stumberger. Sie geben Nachhilfeunterricht, und begleiten Flüchtlingskinder zum Fußball. Ganz unkompliziert sei es hier gewesen, den Kontakt zu knüpfen. Eigentlich habe der Austausch der Handy-Nummern gereicht: „Berührungsängste gab es nicht.“
Auch ansonsten ist das Verfahren, Lotsen und Familien zusammenzubringen, nicht kompliziert. Erst spricht Esposito-Stumberger alleine mit ihnen, dann folgt ein gemeinsames Treffen „auf neutralem Boden“ im Büro oder schon direkt bei der Familie. Wobei das nicht immer zum Erfolg führt, schränkt die Caritas-Mitarbeiterin ein. „Es gab auch schon Fälle, da stimmte die Chemie nicht“, erklärt sie. Dann wird eben ein neuer Versuch gestartet.
Chancen eingeschränkt
Die Integrationslotsen versuchen auch, mit den Familien eine Perspektive zu entwickeln. So haben einige von ihnen in einer Unterkunft mit 21 Männern Bewerbungen geschrieben. Bislang hat nur einer von ihnen dadurch eine Hausmeister-Stelle gefunden, aber Maria Revers gibt die Hoffnung nicht auf. Allerdings sind die Chancen nicht nur durch die Sprache eingeschränkt. Asylbewerber dürfen zwar inzwischen nach drei Monaten arbeiten, aber Leih- oder Zeitarbeit ist ihnen nach wie vor bis zu einer Aufenthaltsdauer von vier Jahren verboten. Unverständlich für Revers, denn gerade dies sei eine Einstiegsmöglichkeit.
Auf Arbeitssuche will sich auch die junge Nigerianerin begeben. Für alle drei Kinder sind Betreuungsmöglichkeiten ab August gefunden, dann will sie einen Deutschkurs besuchen und alles an Arbeit annehmen, was sich findet. Da wird sie die Unterstützung von Claudia Ziegler-Fischer gut gebrauchen können. Die gibt sie gerne, aber sie weiß auch, „dass ich Grenzen ziehen muss, um weiter machen zu können.“ Das zu erkennen und zu lernen, gehört ebenso zu den Inhalten der Schulungen für die Lotsen, um sie auf ihr Ehrenamt vorzubereiten.