Mehr Gender-Strategie tut gut
Tatsache ist, dass Frauen und Männer nach wie vor unterschiedliche Berufe ausüben und in unterschiedlichen Positionen (horizontale und vertikale genderspezifische Segregation) tätig sind.1 Diese Beschäftigungsverhältnisse unterscheiden sich aufgrund erhöhter weiblicher Teilzeittätigkeit stark voneinander (Gender Time Gap) und gehen langfristig für Frauen mit geringerem Verdienst (Gender Wage Gap) aufgrund geringerer Aufstiegsmöglichkeiten und schmaleren Jahres- und Stundenlohns bei gleicher Tätigkeit einher. Das Verdienstgefälle zwischen Männern und Frauen lag laut Statistischem Bundesamt 2012 im Durchschnitt bei 22 Prozent.
Trotz umfangreicher Anstrengungen auf staatlicher Ebene und in Organisationen für mehr Geschlechtergerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt kann bis heute nicht von der Gleichstellung ausgegangen werden. Gender-Mainstreaming2 als Organisations-, Personalentwicklungs- und Qualitätssicherungsinstrument sollte deshalb auch in der Sozialwirtschaft an Bedeutung gewinnen, um Aufstiegschancen für Frauen zu ermöglichen sowie eine Organisationskultur-Veränderung im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit zu befördern.3
Wissen um Geschlechterverhältnisse (Gender-Kompetenz) bildet die Grundlage für Gender-Mainstreaming, das eine Basis für politische, strukturelle und organisatorische Veränderungen schaffen will. Gender wird als eine Kategorie verstanden, die in der Regel mit anderen soziale Ungleichheit produzierenden Merkmalen einhergeht, wie zum Beispiel mit Behinderung, Klasse oder Ethnie. Die mit dem Begriff Gender verbundenen sozialen Rollen, Zuschreibungen und Geschlechtsstereotype von Frauen und Männern, die mit unterschiedlichen Positionszuweisungen (Geschlechterhierarchisierung) einhergehen, werden dabei vor allem als gesellschaftlich produziert verstanden. Diese Hierarchisierung, von den Akteur(inn)en mittels sozialer Interaktionen sowie durch spezifische Struktur- und Organisationsvorgaben erzeugt, basiert auf traditionellen Geschlechtervorstellungen und -verhältnissen. Letztere werden durch die Grundannahme der Zweigeschlechtlichkeit und durch eine vermeintliche Gegensätzlichkeit der Geschlechter erzeugt und reproduziert. Die Orientierungsfunktion und die Verhaltenssicherheit, die traditionelle Geschlechterverhältnisse insbesondere in hochkomplexen und auf Arbeitsteilung basierenden Gesellschaften zu bieten versprechen, tragen zu ihrer Beständigkeit, zum Mainstream bei.
Aufgabe für Aufsichtsräte
Da Gender-Mainstreaming die Gleichstellung der Geschlechter verfolgt, gilt es bei allen Managementaufgaben in der Organisationsentwicklung, die unterschiedlichen Lebenslagen, vielfältigen Lebensentwürfe (Gender/Diversity) und Interessen von Frauen und Männern von vornherein systematisch zu berücksichtigen. Neben eher allgemeinen Werten und Zielsetzungen wie Demokratiezuwachs und soziale Gerechtigkeit, die durch Gender-Mainstreaming befördert werden können, sind mit diesem Prinzip auch konkrete Kulturveränderungen und Qualitätsverbesserungen in Organisationen auf verschiedenen Ebenen verbunden. Durch konsequent angewandtes Gender-Mainstreaming können Organisationen wettbewerbsfähiger werden, weil sie hierdurch eher auf die unterschiedlichen Bedürfnisse und Interessen ihrer Mitarbeiter(innen)schaft und ihrer "Kund(inn)en" reagieren können. Nicht zuletzt vermögen Gender-Mainstreaming-Maßnahmen die Attraktivität von Organisationen für potenzielle und für bereits eingestellte Arbeitnehmer(innen) zu erhöhen: Die stark ansteigende Bedeutung von Personalgewinnung und -bindung aufgrund demografischer Entwicklungen zum Fachkräftemangel verleiht auch dem Gender-Mainstreaming immer mehr Gewicht - es ist zu einer vordringlichen Aufgabe für Geschäftsführung und Aufsichtsrat geworden. Sie müssen Gender-Mainstreaming als strategische Managementaufgabe implementieren, die zur Zukunftssicherung des sozialen Unternehmens beiträgt. Mit dem Blick auf ihre eigene Gender-Zusammensetzung sollten die Gremien beginnen.
Anmerkungen
1. Der Beitrag basiert auf einem bereits veröffentlichten Text. Vgl. Henschel, Angelika in: Bassarak, Herbert; Schneider, Armin (Hrsg.): Forschung und Entwicklung im Management sozialer Organisationen. Augsburg, 2012.
2. In der EU gilt das Gender-Mainstreaming-Prinzip seit dem Amsterdamer Vertrag (1997) als Bestandteil der Politik und Strategie. Das Bundeskabinett beschloss 1999 seine Übernahme.
3. Das "Rückenwind"-Projekt des DCV "Gleichgestellt in Führung gehen" lässt sich im Sinn der Gender-Mainstreaming-Strategie verstehen.